Alpiner Erster-Hilfe-Kurs: Was tun im alpinen Notfall?
Foto: ORTOVOX - Hansi Heckmair
von Claudia Timm
Trotz guter Tourenplanung kann es beim Wandern, Bergsteigen, Klettern oder auf Hochtour zu Unfällen oder plötzlichen Erkrankungen kommen. Speziell bei Notfällen im alpinen Gelände sind Eigeninitiative und das Wissen um die Besonderheiten der Ersten Hilfe im Gelände essentiell. Um dieses relevante Wissen möglichst praxisnah zu vermitteln, bietet ORTOVOX in Kooperation mit der Erste-Hilfe-Expertin Dani Hornsteiner alpine Erste-Hilfe-Kurse im Rahmen der SAFETY ACADEMY an. Wir haben am 17. und 18. Juli 2019 den ersten Grundlagen-Kurs in Nauders besucht und waren begeistert.
Ein Erste-Hilfe-Kurs so spaßig und erlebnisreich wie ein Tag am Berg? Klingt utopisch, wird aber beim ORTOVOX Alpinen Erste-Hilfe-Kurs mit Ausbilderin Dani Hornsteiner zur Wirklichkeit. Das Prinzip ist einfach: Gelernt wird nicht nur theoretisch, sondern anhand von vielen praktischen - und vor allem sehr realitätsnahen - Fallbeispielen vom allergischen Schock, über den Knochenbruch bis hin zum Herzinfarkt. Gute Schauspieler, künstliches Blut, aufgemalte blaue Flecken und sogar Steinschlag machen jedes Fallbeispiel zum intensiven Erlebnis. So sind die einzelnen Notfallszenarien besonders einprägsam, man verspürt beim Üben die Nervosität des Ernstfalls und es wir vor allem niemals langweilig. Doch nun von vorne.
ROUTINE GEWINNEN MIT DEM ERSTE-HILFE-ALGORITHMUS
Nach einer Begrüßung durch das ORTOVOX Team und Ausbilderin Dani Hornsteiner auf dem Gelände der Natur- und Lebensschule Native Spirit in Nauders und einer kurzen Vorstellungsrunde wurde es gleich einmal hektisch: Innerhalb von fünfzehn Minuten sollen wir circa 30 bunte Kärtchen zum Erste-Hilfe-Algorithmus, der im Notfall die Reihenfolge der zu treffenden Maßnahmen bestimmt, in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Unter Zeitdruck auf Anhieb keine leichte Aufgabe. Doch im Team kommen wir - bis auf ein paar kleine Patzer – zu einer stimmigen Lösung.
Im Nachgang erklärt uns Dani die einzelnen Punkte im Detail. Von der „Disco-Regel“ – anschauen, ansprechen und anfassen bis hin zur immensen Bedeutung des Eigenschutzes am Berg und der Wichtigkeit, sich in Ruhe einen Überblick zu verschaffen. Zum Abschluss ein kleiner Test: schaffen wir die gleiche Übung nach der Besprechung in zwei Minuten? Schnell bringen wir die Karten in Position. Geschafft! Weniger als zwei Minuten. Na gut, ein kleiner Fehler hat sich noch eingeschlichen. Aber wir stehen ja erst am Anfang.
ERSTE-HILFE HACKS FÜR DEN BERG ERLERNEN
Nachdem wir nun das Grundwerkzeug für die Erste Hilfe im Gelände intus hatten, starteten wir direkt mit den einzelnen Verletzungsszenarien durch. Als Einsatzleiterin und Ausbilderin in der Bergwacht, Mitglied im Rettungsdienst, Bergwanderführerin und passionierte Outdoorsportlerin weiß Dani Hornsteiner aus eigener Erfahrung um die Besonderheiten der Ersten Hilfe im alpinen Gelände und verrät uns einige „Erste-Hilfe-Hacks“ fürs Gelände. Zum Beispiel wie man aus einem Handschuh mit kalter Erde oder Wasser eine kühlende Kompresse bastelt oder wie man einen gebrochenen Arm mit Hilfe einer Wanderkarte schient.
Nach der Theorie folgt die Praxis. In Zweier-Gruppen stabilisiere ich einen verletzten Arm mit einem Dreieck und versorge ein verdrehtes Knie nach der „PECH-Regel“: Pause – Eis (= Kühlen) – Kompression und Hochlagern. Schaut komplizierter aus, als es ist. Ein schönes Gefühl, wenn man weiß, was zu tun ist!
JETZT WIRD ES ERNST: DER ALPINE NOTFALL IM GELÄNDE
Ausgestattet mit Rucksäcken, Erste-Hilfe-Paket und Biwaksack rücken wir aus ins Gelände. Auf dem Plan steht eine Wanderung. In zwei Gruppen werden wir weitere Verletzungsszenarien durchleben und behandeln lernen. Schon nach wenigen Metern hören wir leises Schluchzen aus dem Gebüsch. Circa drei Meter vom Wegesrand entfernt, liegt bäuchlings auf einem großen Stein, im vermeintlich mäßig steilen Gelände, eine junge Frau. Aus einer Kopfwunde sickert das (künstliche) Blut, am rechten Unterarm schimmert dunkelblau eine etwa handflächengroße Prellung.
Nach kurzer Absprache setzt ein Mitglied unserer Gruppe sofort einen Notruf ab. Die Übrigen eilen zur Verletzten. Gar nicht so einfach: Das Gelände ist steiler als gedacht und der Untergrund unter unseren Füßen will einfach nicht an seinem Platz bleiben. Als wir die Verunfallte erreicht haben, wird schnell klar: Ohne fremde Hilfe können wir sie nicht bergen. Jedenfalls nicht ohne unsere eigene Sicherheit und die der Verletzten zu gefährden. Hilflosigkeit macht sich breit. Die Verunfallte ist kaum ansprechbar. Stöhnt nur manchmal leise vor sich hin. Wir entscheiden, sie aufgrund ihrer Kopfverletzung in eine aufrechte Lage zu bringen, was nach einigen heiklen Momenten, in denen sie abzustürzen droht, auch gelingt.
An dieser Stelle wird die Übung abgebrochen und nach einer kurzen Rekapitulation von Helfern und Verletzten erklärt uns Dani, wo in unserer Rettungskette noch Optimierungsbedarf besteht. Wir üben die Bergung im steilen Gelände mit Hilfe eines Biwaksacks und bewältigen nach einigen Startschwierigkeiten ein weiteres Verletzungsszenario in einem Steinschlaggebiet. Schnell wird klar: Die Erste Hilfe im Gelände ist gar nicht so einfach. Permanent gilt es im Wechselspiel zwischen Eigenschutz, Hilfeleistung und Gruppendynamik abzuwägen, schnelle und vor allem richtige Entscheidungen zu treffen.
SURVIVAL-HACKS FÜR DAS ÜBERLEBEN IN DER WILDNIS
Damit ist der Erste-Hilfe-Teil für den ersten Tag abgeschlossen und wir widmen uns am Zeltplatz den Survival-Techniken für das Überleben in der Wildnis. Thomas Holzer von Native Spirit Nauders ist ausgebildeter Wildnistrainer und kann uns allerhand über das Leben in der Natur erzählen. Wir lernen, wie man mit Hilfe von Ästen, Zweigen, Moos, Laub und Stroh einen provisorischen Schlafsack baut und wie man mit Bogen, Stein, Holz und Stroh Feuer macht.
Apropos Feuer: Im Hintergrund prasselt bereits ein schönes Lagerfeuer, im Grill fangen die ersten Kohlestücke an zu glühen. Bei dem Gedanken an Feuer, kommt Hunger auf. Und so sitzen bald alle Teilnehmer im Kreis um das Lagerfeuer und rösten ihr Steckerlbrot. Da werden Kindheitserinnerungen wach.
Nach einer leckeren Grillerei endet der erste Tag mit einem gemütlichen Zusammensitzen am Lagerfeuer. Im sanft flackernden Licht werden Berggeschichten ausgetauscht und die vielfältigen Eindrücke des ersten Tages besprochen. Die Nacht im Tipi ist ein echtes Erlebnis.
ROUTINE GEWINNEN IM ZIRKELTRAINING
Am zweiten Tag wird es nochmal ernst. An vier Stationen gilt es - diesmal im Alleingang - die unterschiedlichsten Verletzungsszenarien zu bewältigen. Mehr oder weniger schnell wird klar: Wir haben es mit Herzinfarkt, Unterzucker, einem verdrehten Knie und einem akuten Bauchtrauma zu tun.
In der ersten Station bin ich noch hilflos. Der Verletzte stöhnt vor Schmerzen, wiederholt immer wieder die gleichen Worte. Kein gutes Zeichen. Panisch überlege ich: Wie war das nochmal mit dem Erste-Hilfe-Algorithmus? Gedanklich trete ich einen Schritt zurück. Und unglaublich: Es funktioniert! Plötzlich weiß ich wieder, was zu tun ist und taste mich mit den richtigen Fragen und Untersuchungen langsam an die richtigen Erste-Hilfe-Maßnahmen heran.
Schade nur, dass mir nicht früher klar war, dass es dem Verletzten wirklich nicht gut geht. Sonst hätte ich den Notruf deutlich eher abgesetzt. "Als Ersthelfer müssen wir keine Diagnosen stellen", betont Dani in der Nachbesprechung. "Es ist also nicht erforderlich, dass der Ersthelfer den Herzinfarkt als solchen diagnostiziert. Wichtig ist nur, dass er professionelle Hilfe anfordert, den Verunfallten in eine aufrechte Position bringt und ihm gut zuredet." Das Gute daran? Es ist nur eine Übung und so schnell werde ich die Situation nicht vergessen. Der gleiche Fehler passiert mir sicher nicht noch einmal.
Mit jedem weiteren Fall gewinne ich an Sicherheit und Routine. Plötzlich erscheint mir alles nicht mehr so schwer und kompliziert. Das Feedback der Verunfallten nach gelungener Rettung ist durchweg positiv und ich merke: ICH kann tatsächlich helfen. Lähmende Hilflosigkeit wird zu Selbstvertrauen, vorsichtiges Herantasten zur Routine. In diesem Moment bin ich mir sicher: Ich bin bereit für den Ernstfall.
FÜR ZUKÜNFTIGE ERSTHELFER?
Willst auch du im Ernstfall schnell und sicher helfen können, wenn ein alpiner Notfall vorliegt? Dann solltest du dir das Kurs-Angebot von ORTOVOX genauer anschauen. Im Rahmen der ORTOVOX SAFETY ACADEMY werden neben Kursen in Tirol werden auch Ausbildungen in Bayern und Vorarlberg angeboten. Was den Ausbildung zu etwas Besonderem macht? Das Konzept ist speziell auf die Besonderheiten von Bergsportlern ausgerichtet, die im alpinen Gelände unterwegs sind. In Kleingruppen lernst du die Grundlagen lebensrettender Sofortmaßnahmen anhand praktischer Fallbeispiele und wie du im Ernstfall gezielt mit einfachen Mitteln reagierst. Und übrigens: Die Anzahl der verfügbaren Plätze ist begrenzt. Ihr solltet also schnell sein, wenn ihr noch in dieser Saison dabei sein wollt.
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