Freeriden im Engelbergertal
Unberührte Hänge, Mistgeruch und freundliche Bauersleute: auf Powder-Tour mit kleinen Seilbahnen abseits der Massen.
Johan Jonsson für das Bergweltenmagazin Dezember/Januar 2018/19 aus der Schweiz
Wenn man übers Freeriden in der Zentralschweiz spricht, dann führt kein Weg an Engelberg vorbei. Mit seinen Big Five – Laub, Sulz, Steintäli, Steinberg und Galtiberg – gilt das Gebiet unter Kennern als eines der besten weltweit. Die Anzahl der Routen, die man ohne einmal die Ski abzuschnallen direkt vom Lift aus erreichen kann, ist erstaunlich.
In den letzten Jahren werden jedoch immer öfter lokale Bergführer gesichtet, die mit ihren Gästen am frühen Morgen das Dorf verlassen und am Abend rechtzeitig zum Après-Ski mit einem breiten Grinsen auf den Gesichtern zurückkehren. Die Frage drängt sich auf: Wo sind sie gewesen? „Buiräbähnli" klingt nicht besonders attraktiv für Skifahrer.
Tourismusdestinationen werben lieber mit Hochgeschwindigkeitsgondeln oder Achtersesselliften mit Sitzheizung. Diese sind zwar praktisch, aber eine andere Art von Bahnen kann den Weg zu einer neuen Art des Skifahrens bereiten.
Eine völlig andere Welt
Das 25 Kilometer lange Engelbergertal sieht auf der Karte eher klein aus, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Man achte auf der Zug- oder Autofahrt von Stans nach Engelberg nur einmal auf all die Seile, welche links und rechts von der Straße die Hügel emporreichen. Viele führen zu Bauernhöfen in den Bergen.
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Warum uns das kümmern sollte? Nun, da wären wir wieder bei den Bergführern und ihren bis über beide Ohren grinsenden Kunden. Denn hier in der beschaulichen Region zwischen Vierwaldstättersee und Engelberg liegt ein verstecktes Freeride-Paradies abseits der verspurten Hänge. Möglich machen es die kleinen Bergbahnen der Bauern, die Buiräbähnli eben.
Zehn Autominuten vom Zentrum des trendigen Skiorts entfernt eröffnet sich eine ganz andere Welt. Der einheimische Bergführer Dani Perret kennt sie bestens: „In den letzten Jahren erhalten wir immer öfter Anfragen von Leuten, die für ein oder zwei Tage die ausgetretenen Pfade verlassen wollen. Die Kleinseilbahnen sind zwar eigentlich nicht für Skifahrer gedacht, eignen sich aber perfekt für sie."
Bauernhöfe, Hütten, Käsereien, Häuser, kleine Hotels und Restaurants – viele sind im Winter nicht über die Straße erreichbar oder haben überhaupt keine Straßenanbindung. Und hier kommen die Kleinseilbahnen ins Spiel. Zwar sind nicht alle für die Öffentlichkeit zugänglich, aber alles in allem doch eine stattliche Anzahl. Die Kleinseilbahn Rugisbalm ist eine davon.
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Der Parkplatz neben der Talstation in Mettlen bietet nur für wenige Autos Platz, normalerweise ist das aber mehr als genug. Die kleine blaue Gondel sieht zwar nicht unzuverlässig aus, aber abgenutzt. Sehr abgenutzt. Neben der Gondel hängt ein altes Telefon, mit dem Passagiere ihre Fahrt bestellen.
Die Tonqualität ist alles andere als berauschend, aber gut genug. Für Skeptiker mögen die kleinen Gondeln etwas beängstigend aussehen, aber alles funktioniert einwandfrei. Taschen und Ski werden im Außenkorb verstaut. Aufkleber aus aller Welt bedecken die zerkratzten Wände in der Gondel, in der es bei mehr als zwei Leuten ganz schön eng wird.
Auf Du und Du mit den Locals
An der Mittelstation wartet bereits jemand vom ansässigen Bauernhof, kassiert das Münz ein und fragt, ob man mit der nächsten Bahn bis nach Eggen weiterfahren möchte (insgesamt 7 Schweizer Franken). Dort ist es jedenfalls ratsam, einen ortskundigen Bergführer dabeizuhaben, der die Routen kennt und die Lawinengefahr richtig einschätzen kann.
Bei Skitouren im Engelbergertal sind die Kontraste wirklich beeindruckend. Nur ein kleines Stück talaufwärts liegen all die topmodernen Anlagen und hippen Restaurants des belebten Skigebiets. Doch wenn man die ersten Spuren durch die tief verschneiten Wiesen zieht, vorbei an alten Häusern und lottrigen Scheunen, scheint dies alles meilenweit entfernt zu sein. Hier ticken die Uhren langsamer. Durchaus ein Vorteil, wie Dani Perret findet.
„Vielleicht machst du in kleinen Skigebieten oder mit Kleinseilbahnen nicht so viele Meter pro Tag, aber das ist nicht immer der beste Maßstab für einen fantastischen Tag", sagt er. „Für sich alleine sein, etwas anderes sehen und einen Eindruck von der echten lokalen Kultur bekommen – für viele Skifahrer stehen diese Dinge immer stärker im Vordergrund."
An einheimischer Kultur mangelt es definitiv nicht, wenn man bei der Fahrt mit der winzigen roten Seilbahn ab dem kleinen Dorf Oberrickenbach am beschaulichen Bauernhof bei der Zwischenstation Spis vorbeikommt: Kühe muhen im Hintergrund, und die weißen Spuren im Pulverschnee von oben vermischen sich unten mit den braunen Spuren der Stallgummistiefel.
Die beiden Brüder des Hofes sehen nicht so aus, als wären sie oft in der Stadt anzutreffen. Sind sie auch nicht. Um einen kurzen Schwatz und ihre Meinung zum Skirennsport muss man Sepp und Wendelin Durrer dafür nicht zweimal bitten. Die Spisbahn wird oft benutzt, um nach einer größeren Tour in den hoch aufragenden Bergen von dem auf 1.200 Meter gelegenen Bauernhof zurück nach Oberrickenbach zu gelangen, wenn in tieferen Lagen zu wenig Schnee für die Abfahrt liegt.
Wer es gerne etwas intensiver mag, ist in diesem Gebiet mit dem riesigen Couloir namens El Canal del Emperador bestens bedient. Allerdings braucht es sowohl einen Bergführer als auch Seile, um dorthin zu gelangen. Diejenigen, die genug Mut und das nötige Können mitbringen, werden dafür mit einem epischen Erlebnis belohnt.
Nach einem Skitourentag rund um die Bauernbahnen des Tals mutet der Après-Ski zurück in Engelberg fast schon surreal an. Obwohl man nur ein oder zwei Seitentäler entfernt war, fühlt es sich an, als wären wir durch die Zeit gereist. Der Geruch der Kühe auf den Höfen ist immer noch im Gedächtnis – zusammen mit der Erinnerung an unberührten Pulverschnee und kleine, alte Seilbahnen.