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Iran: Vom Kaspischen Meer auf den Damavand (5.671 m)

Reise

9 Min.

02.11.2020

Foto: YourBigStories

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Riesige Gebirgsketten, über 40 Viertausender, zahlreiche Gletscher: die islamische Republik am Persischen Golf lockt immer mehr Bergsportler aus aller Welt. Speed-Bergsteiger Benedikt Böhm wagte 2018 ein ganz besonderes Vorhaben: „Sea to Summit“ – mit Mountainbike, Laufschuhen und Tourenski nonstop von Meereshöhe auf den Gipfel des Damavand (5.671 m). Ein Abenteuer mit Hindernissen.

Die Luft ist dünn und es weht ein leichter, gleichmäßiger Wind. Der Himmel strahlt azurblau wie das Kaspische Meer. Die Sonne scheint mit voller Kraft und unter mir liegt eine Decke aus Wolken, die nur wenige Blicke auf das umliegende Gebirge freigibt. Mein Herz pocht laut und stark in meiner Brust, mein Atem ist flach und gleichmäßig, meine Muskeln und Knochen schmerzen. Vollkommen ausgelaugt von den körperlichen Strapazen des Anstiegs überkommt mich hier dieses unglaubliche Gefühl der Freude und Euphorie, das jeder Bergsteiger kennt, das aber nur schwer in Worte zu fassen ist: Ich habe es geschafft!


14 Stunden, 20 Minuten

Hinter mir liegen 5.970 Höhenmeter und 130 km. 14 Stunden und 20 Minuten, die meinem Körper alles abverlangt haben und sicherlich zu den intensivsten physischen Erlebnissen meiner Karriere als Speed-Bergsteiger zählen. Aber jetzt stehe ich hier oben auf dem Gipfel des Damavand. Glücklich, zufrieden und erschöpft. Gleich muss ich wieder los und den Rückweg antreten. Doch bevor ich in die Ski steige, halte ich für ein paar Minuten inne. Dankbar bestaune ich die karge, mondähnliche Landschaft, die mich umgibt und blicke auf die Fußstapfen, die ich in der dünnen Schneedecke hinterlassen habe. Ich genieße den Moment und freue mich über die Aussicht und die perfekten Wetterbedingungen, von denen ich in den letzten Tagen nicht zu träumen gewagt habe und die mein Vorhaben fast zum Scheitern verurteilt hätten.


Zwei Männer, viel Gepäck und eine Schlechtwetterfront

Es ist Montag, der 3. April, 11 Uhr morgens. Osterferien in Bayern. Ich treffe mich mit meinem Kollegen und Freund Alex am Münchner Flughafen. Unser gemeinsames Ziel: der Iran. Während die anderen Passagiere mit Sonnenschirm und Badeutensilien in Richtung Süden fliegen, sorgt unser Gepäck beim Flugpersonal für irritierte Blicke: Zwei Räder, Skibag und Rucksäcke sind auch für die routinierte Dame am Check-In alles andere als gewöhnlich. Eine Woche haben wir insgesamt eingeplant, um den Damavand vom Kaspischen Meer aus zu besteigen – inklusive Akklimatisierung und Ruhepausen. Ein äußerst eng gesteckter Zeitplan, selbst wenn das Wetter mitspielt. Aber dafür dauert der Flug in den Iran gerade einmal 4,5 Stunden.

In der Hauptstadt Teheran angekommen, erwarten uns angenehme 20 Grad und ein wolkenbedeckter Himmel, aber leider auch schon die ersten schlechten Nachrichten: Die Wettervorhersage hat sich komplett geändert, bereits ab Donnerstag ist mit heftigen Regenfällen und einen starken Temperaturumschwung zu rechnen. Wir überlegen kurz, ob wir unsere Speed-Besteigung vorziehen können, verwerfen die Idee jedoch im Laufe des Abends wieder, da sich die Vorhersagen ständig ändern und sich die Regenfront jetzt sogar noch früher ankündigt. Es bleibt dabei, wir wollen unser Glück am Sonntag oder am Montag versuchen.


Der Damavand – Wahrzeichen mit Unwegsamkeiten

Nach einer erholsamen Nacht brechen wir am nächsten Morgen auf in Richtung Damavand – mit einer Schartenhöhe von 4.660 Metern einer der höchsten freistehenden Berge der Welt. Majestätisch erhebt sich sein Gipfel über die umliegenden Berge des Elburs-Gebirges und versprüht damit bereits aus der Ferne eine ganz besondere Anziehungskraft. Doch der Damavand versprüht auch noch etwas ganz anderes: Frei übersetzt bedeutet „Damavan“ so viel wie „der dampfende Berg“ – und diese Bezeichnung kann man getrost wörtlich nehmen. Zwar raucht der Vulkankegel nur noch leicht, aber ab etwa 5.000 Metern liegt ein ziemlich starker Schwefelgeruch in der Luft, der das ohnehin erschwerte Atmen noch zusätzlich belasten und für viele Bergsteiger zu einer echten Herausforderung werden kann.

Aus technischer Sicht ist der höchste Gipfel des Iran kein schwieriger Berg und lässt sich von nahezu allen Seiten aus über Geröll und Sand und teilweise in leichter Kletterei erklimmen. Dennoch sollte man ihn nicht unterschätzen. Die größte Hürde ist oftmals das Wetter, wie auch Reinhold Messner bereits im Jahr 1970 feststellen musste. Er kehrte bei seinem Versuch, den Damavand zu besteigen, um.

Die bekannteste und am meisten begangene Route auf den Damavand führt von Süden aus auf den Gipfel. Dies ist auch die klassische Variante für eine Skitour mit insgesamt drei fest eingerichteten Camps. Das Kaspische Meer, von dem aus wir unsere Besteigung starten wollten, liegt im Norden. Dazwischen gibt es eine Hauptverbindungsstraße, die am Damavand vorbei führt und der wir mit dem Fahrrad direkt zum Start der eigentlichen Aufstiegsroute folgen wollen. So zumindest unser Plan.

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Camp 1: Freundliche Menschen, mieses Wetter

Doch von unserer Gipfelbesteigung sind wir noch weit entfernt. Die nächsten Tage sind für uns von einem Wechselbad der Gefühle geprägt. Wir können nicht abschätzen, ob wir ein günstiges Wetterfenster erwischen oder unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren müssen. Im Camp 1 in Reineh, einem kleinen Dorf am Fuße des Damavand-Massivs, treffen wir unser Kamerateam und erkunden die Gegend. Alle Iraner, denen wir unterwegs begegnen, treten uns aufgeschlossen gegenüber und sind stets nett, interessiert und freundlich. Immer wieder gibt es Tee, wir werden um Fotos gebeten und die Verständigung funktioniert in gebrochenem Englisch sowie mit Händen und Füßen. Die viel gerühmte Gastfreundschaft der Perser enttäuscht uns nicht, anders als das Wetter, das uns leider einen Strich durch die Rechnung macht.

Der nächste Tag führt uns zu Camp 2 auf 3.020 Metern. Von dort aus starten wir unsere erste richtige Akklimatisierungstour hinauf zu einer kleinen Hütte, die sich auf 4.200 Meter befindet. Obwohl die Sicht oft nur wenige Meter weit reicht, steige ich bis auf 5.100 Meter auf, um ein Gefühl für die Begegebenheiten zu bekommen. Es liegt wenig Schnee und erst ab 3.800 Metern kann ich die Ski anschnallen. Vom Gipfel des Damavand fehlt jedoch jede Spur, wodurch die Zweifel über die Durchführbarkeit unseres Projekts natürlich nicht gerade weniger werden. Die folgende Nacht tut ihr Übriges. Die Temperaturen in der Hütte liegen knapp unter dem Gefrierpunkt. Es gibt keine Heizung und der einzige warme Ort ist die Küche, wo der Chef zwischen all seinen Vorräten einen winzig kleinen Benzinofen aufgestellt hat. Die drei freien Plätze drumherum sind enstprechend heiß begehrt – auch wenn man nach fünf Minuten bereits riecht wie ein alter Auspuff.


Exotische Gewürze und Instagram

Nach einer kurzen Nacht in der ich aufgrund der Kälte und der Höhe kaum eine Auge schließen kann, stimmt der Morgen umso positiver: Der Himmel ist blau und der Gipfel des Damavand thront schneeweiß angezuckert vor unserem Fenster. Leider währt der Anblick nur kurz und Wolken ziehen wieder auf. Wir kehren ins Camp 1 zurück und fahren anschließend zum Kaspischen Meer. Dabei können wir uns ein Bild der Straße verschaffen, die uns später mit dem Fahrrad wieder zum Einstieg führen soll.

Die folgenden beiden Tage nutzen wir, um uns etwas zu erholen und die iranische Kultur zu erkundenschaften. Unser Fahrer Faiteh zeigt uns die schönsten Ecken des Städtchens Mahamouabad. Wir stärken uns mit herrlich duftendem Kebap, selbst gebackenem Fladenbrot und frischen Salaten. Exotische Gewürze und Gerüche liegen in der Luft und wir lassen uns im geschäftigen Gewusel der Straßen treiben. Wir besuchen einen Bazar, auf dem vom frischen Fisch über saftiges Obst hin zu Autobatterien, Staubsaugern und lebenden Hühnern alles angeboten wird, was das Herz begehrt. Immer wieder werden wir um Fotos gebeten. Instagram ist auch im Iran äußerst beliebt und blonde Europäer sind ein überaus gefragtes Motiv.

Die aktuellen Wetterupdates sind eindeutig. Sonntag ist es noch zu wechselhaft und mit etwaigem Neuschnee zu riskant. Die Nacht von Sonntag auf Montag verspricht klar zu werden und der Montag recht stabil und ohne Niederschlag. Wir setzen alles auf eine Karte, denn am Montagabend müssen wir den Rückweg Richtung Teheran antreten. Alles oder Nichts.


Der Gipfeltag: Von Null auf 5.671 m

Am Sonntag, den 9. April um Mitternacht ist es endlich so weit: Wir treffen uns in der Lobby und kontrollieren ein letztes Mal unsere Ausrüstung. Glücklicherweise konnte ich davor sogar noch ein paar Stunden schlafen und fühle mich topfit und ausgeruht für die anstehende Herausforderung. Um Punkt 1:03 Uhr starten Alex und ich in die wolkenlose Nacht. Es hat 11 Grad und es weht ein leichter Wind – ideale Bedingungen.

Alex wird bei den folgenden 120 Kilometern die Führung übernehmen. Radfahren ist seine Stärke und er wird mich als Zugpferd über diesen Teil der Strecke begleiten. Ob er mit mir bis zum Gipfel kommt, will er unterwegs entscheiden. Zu unserer Verwunderung ist die Straße auch nachts voller Menschen und der Verkehr genauso stark wie untertags. Wir treten in die Pedale, begleitet vom freundlichen Hupen der überraschten Autofahrer, die uns aufmunternd zurufen. Die ersten 50 km laufen überraschend gut. Der Seitenstreifen der vierspurigen Autobahn gehört uns alleine. Allerdings machen die vielen Autogase, der Dreck und der Staub der Straße das Atmen teilweise wirklich unerträglich. Langsam wird die Straße steiler und meine Beine werden immer müder. Fahrradfahren ist nicht meine Stärke und ich hätte vielleicht wirklich etwas mehr trainieren sollen für diese Disziplin – aber jetzt gibt es kein Zurück mehr und Alex hält das Tempo unbarmherzig hoch.


Straßenstaub, Schweiß und Schokokekse

Nachdem wir endlich von der Hauptstraße abgebogen sind, wird es zunehemend steiler. Aber auch ruhiger. Nach 5,5 Stunden auf dem Mountainbike erreichen wir Camp 1 im Morgengrauen. Wir stärken uns kurz für die letzten 10 Kilometer der Radstrecke, die uns über eine steile, zerfahrene Schotterstraße führen wird.

Die ersten Sonnenstrahlen wärmen die kalten Muskeln und der Damavand zeigt sich uns erstmals in seiner ganzen Pracht – ohne Wolken und mit klarer Sicht bis zum Gipfel. Das gibt uns einen unglaublichen Motivationsschub, auch wenn die letzten 1.000 Höhenmeter nochmals richtig Kraft, Schweiß und Anstrengung fordern. Nach weiteren zwei Stunden erreichen wir Camp 2 auf 3.020 Metern Höhe. Für das Gesicht gibt es eine Ladung Sonnencreme, für die müden Beine zwei Energieriegel und Schokokekse.

Von hier aus geht es für mich alleine weiter. Während Alex noch die Räder verstaut, ziehe ich meine Laufschuhe an und mache mich auf den Weg. Die Beine sind schwer, aber der neue Bewegungsablauf ist eine echte Wohltat nach 120 Kilometern in den Pedalen. Ich finde meinen Rhythmus wieder und bahne mir durch Schotter und Schneefelder meinen Weg in Richtung des nächsten Zwischenziels auf 4.200 Metern.

Dabei schaffe ich es, meinen Körper mit einem mentalen Trick zu überlisten: Ich rede mir ein, dass ich gerade erst losgelaufen bin und keine 120 Kilometer mit dem MTB hinter mir habe. Das klappt gut und Schritt für Schritt geht es weiter. Ich freue mich auf den Wechsel in die Skitourenschuhe. Der schnelle Aufstieg mit Ski ist meine Paradedisziplin und trotz der zunehmenden Höhe genau jener Teil der Besteigung, der mir vermutlich am leichtesten fallen dürfte. Ich folge den Fußspuren von früheren Bergsteigern, worduch ich viel Kraft sparen kann. Ab 4.500 Höhenmeter wird es jedoch richtig anstrengend für mich. Die Luft ist sehr dünn hier oben und ich habe das Gefühl kaum voranzukommen.


Die Luft wird dünner

Der Aufstieg zieht sich ewig hin und nagt unglaublich an meinen Kräften. Aufgeben ist für mich aber zu keinem Zeitpunkt eine Option. Immer weiter versuche ich mich in Richtung Gipfel bergauf zu schieben.

Nach weiteren knapp drei Stunden sehe ich endlich den höchsten Punkt des Damavand. Zwar weiß ich, dass es noch eine weitere Stunde dauert, bis ich ganz obene stehen werde, aber die Gewissheit, dass der Gipfel in greifbarer Nähe ist, gibt mir neue Kraft. Rhythmisch, Schritt für Schritt, Meter für Meter stapfe ich weiter, bis ich nach 14 Stunden und 20 Minuten um exakt 15:23 Uhr am Gipfel stehe. Überglücklich und vollkommen erschöpft.

Aber lange kann ich nicht verweilen. Der Bus in Camp 1 wartet bereits. Keine 15 Stunden später werde ich schon an meinem Schreibtisch in Aschheim sitzen: Mit müdem Körper, aber großartigen Erinnerungen im Gepäck und im Herzen. An ein faszinierendes Land mit beeindruckenden Bergen und unglaublich freundlichen und hilfbereiten Menschen.


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„Sea to Summit“ – Das Projekt in Zahlen

  • Bike: 120 km, 3.300 Höhenmeter

  • Laufen: 4,7 km, 1.160 Höhenmeter

  • Hike/Ski: 3,3 km, 1.470 Höhenmeter

  • Total: 130 km / 5.970 Höhenmeter / 14.20 Stunden


Zur Person

Benedikt Böhm (40 Jahre) ist Speed-Bergsteiger und internationaler Geschäftsführer des Bergausdauer-Spezialisten DYNAFIT. Für Bergwelten.com berichtete er exklusiv von seinem spannenden Projekt im Land von 1001 Nacht.


Wissenswertes: Reisen in den Iran

  • Touristen-Visum am besten vor Ort besorgen: Das spart Geld und Zeit. Wir hatten unsere Visa vorab in Deutschland besorgt, was nicht nur umständlich, sondern auch recht teuer ist. Leichter geht es direkt am Flughafen.

  • Das Land ist weitaus fortschrittlicher, als man vielleicht oft denken mag – Social Media ist auch hier allgegenwärtig.

  • Jeder Iraner kann zumindest einen Satz auf Englisch „Hello my friend – how are you?“ – dananch hört es meistens auf. Aber mit einem Lächeln kommt man immer irgendwie weiter.

  • Der Iran hat mittlerweile zwei gängige Währungen die beide IRR – iranischer Rial –heißen. Etwas verwirrend.

  • Der Iran ist definitiv eine Reise wert. Einziger Wermutstropfen: Das fehlende Bewusstsein für Müll und die Umwelt.