Wilde Karibik: Trail-Wandern auf Dominica
Foto: mauritius images/ Reinhard Dirscherl
von Mara Simperler
Karibikurlaub muss kein Strandurlaub sein. Auf der kleinen Insel Dominica findet man den ersten Fernwanderweg und die letzten Ureinwohner der Karibik.
Was nimmt man mit von einem typischen Karibikurlaub? Etwas Sand in den Sandalen, Salz am Badeanzug, ein buntes Cocktailschirmchen? Nicht von Dominica. Diese Insel verlässt man mit schlammverkrusteten Wanderschuhen, Muskelkater und einer Lebensweisheit.
Dominica liegt in den Kleinen Antillen zwischen den französischen Übersee-Departments Guadeloupe und Martinique. Ihren Namen „Sonntagsinsel“ verdankt sie Christoph Kolumbus, der 1493 an einem Sonntag an dem Eiland vorbeisegelte. Groß ist Dominica nicht, 50 Kilometer lang und 20 Kilometer breit, mit nur 70.000 Einwohnern. Die meisten Touristen sehen von der Insel trotzdem nur einen Bruchteil – es sind die Passagiere riesiger Kreuzfahrtschiffe, die für die Dauer eines Tagesausflugs anlegen. Ein Fehler.
„Dominica ist die einzige Insel der Karibik, die Kolumbus heute noch wiedererkennen würde“, sagt Annette Peyer-Lörner. „Sie hat sich am wenigsten verändert. So gesehen ist Dominica vielleicht doch die typischste Karibikinsel von allen.“
Annette ist Schweizerin, seit 20 Jahren lebt sie mit ihrem Mann auf Dominica, die beiden führen das Tamarind Tree Hotel. Ihre Gäste sind vor allem Taucher und Wanderer, denn für beide Sportarten ist Dominica prädestiniert. Im Meer tummeln sich bunte Fische und weiter draußen Wale, das Landesinnere ist ein bergiger Dschungel mit nur wenigen Straßen. Gerade hat Annette Mitglieder des Deutschen Alpenvereins auf Besuch. Sie wollen auf Dominica den ersten Fernwanderweg der Karibik entlangwandern, der vor fünf Jahren eröffnet wurde.
„Angeblich stand Dominica der Beschreibung des Paradieses in der King-James-Bibel Pate“, erzählt Annette. John Layfield, einer der Übersetzer dieser berühmten englischsprachigen Bibel, war im 16. Jahrhundert auf Dominica gelandet. Man kann verstehen, warum er sich die Insel zum Vorbild nahm: Durch den Dschungel plätschern Süßwasserflüsse und rauschen Wasserfälle. An der Küste wechseln sich Sandstrände und steil abfallende Klippen ab. Es gibt keine giftigen Tiere, und überall wachsen Mangos, Papayas, Sternfrüchte, Orangen, Bananen und Kokosnüsse. Für einen Engländer muss Dominica wirklich wie der Garten Eden gewirkt haben.
Aber Dominica ist ein wildes Paradies. Das beweist ein Ausflug zum Syndicate Nature Trail. Es ist der älteste Teil des Regenwaldes, ein breiter Pfad führt zwischen Bäumen hindurch, deren gigantische Wurzeln sternförmig aus dem Boden ragen.
Regen im Regenwald
Eigentlich sind wir hierhergekommen, um Vögel zu beobachten, etwa den Blaukopfkolibri, den es nur auf Dominica und Martinique gibt. „Sagt der Zivilisation Auf Wiedersehen“, hat Bertrand Jno Baptiste noch lachend gerufen, als wir in seinen Wagen gestiegen sind. Auf den Nummerntafeln steht „Birdy“, denn unter diesem Namen kennt ihn jeder auf der Insel. Der fröhliche Mann mit Glatze und Kinnbart ist der bekannteste Vogelkundler auf Dominica. Doch schon auf dem Weg zum Syndicate Nature Trail zeigt sich, dass seine Ansage nur ein halber Witz war.
Während es an der Küste sonnig war, hängen zwischen den Bergspitzen die Wolken. Der Regenwald macht seinem Namen alle Ehre. Kaum sind wir beim Naturparkzentrum angekommen, beginnt es zu schütten. Noch ist Birdy optimistisch, er presst den Daumen an die Lippen und macht ein zirpendes Geräusch. Tatsächlich, ein kleiner schwarzer Vogel fliegt herbei, ein Bartgimpelfink. „Ich kann am Ruf der Vögel erkennen, was sie vorhaben“, sagt Birdy. Aus der Stille des Waldes kann man wohl deuten: Es wird ungemütlich.
Vom Himmel kommt kein Schnürlregen, es regnet Taue. Das Blätterdach hilft nur wenig, an manchen Stellen waten wir durch knöcheltiefes Wasser. Nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei. An der Küste scheint tatsächlich noch immer die Sonne. Bloß eine gesperrte Brücke und die nassen Wanderschuhe sind Beweis dafür, welche Kraft die Natur in den Bergen entladen hat.
Man kann diese Kraft sehr unmittelbar erleben, indem man Dominica zu Fuß entdeckt. Auf 185 Kilometern und 14 Segmenten führt der Waitukubuli National Trail von Süden nach Norden über die Insel. Es ist der erste Fernwanderweg der Karibik, und man sollte sich davor hüten, ihn nicht ernst zu nehmen. Denn obwohl der Morne Diablotins, der höchste Berg der Insel, nur 1.447 Meter zählt, sind die Pfade auf ihn und die anderen Gipfel steil und fordernd. Der Waitukubuli National Trail ist kein Sonntagsspaziergang. Manche der Wege sind uralte Pfade aus einer Zeit, als es noch keine Straßen auf Dominica gab. Andere Segmente wurden neu geschaffen, um die sonst kaum zugänglichen Bergwälder zu erschließen.
Auf dem Segment 6 des Waitukubuli National Trails, das an der Ostküste verläuft, ist der Weg von Pflanzen überwuchert. Dominica mag ein fruchtbares Land sein, das bedeutet aber auch, dass jeder Weg, der nicht permanent frei gehalten wird, schnell ein Abenteuerpfad wird. Selbst auf moderaten Wanderwegen tut man deshalb nicht schlecht daran, einen Guide wie Peter Green dabeizuhaben, dessen Spezialgebiet die anspruchsvollen Wanderungen im Landesinneren sind.
Piraten und Kalinago
Heute heißt unser Guide Derick Joseph, er stellt sich mit den Worten vor: „Derick klingt zwar britisch, aber ich bin einer der letzten Arawak.“ Und schiebt nach: „Ich habe Johnny Depp gekidnappt.“
2005 wurden auf Dominica der zweite und der dritte Teil von „Fluch der Karibik“ gedreht. Die Arawak oder Kalinago sind die indigenen Bewohner Dominicas. Im Film spielte Derick einen der Kannibalen, die Johnny Depp alias Piratenkapitän Jack Sparrow kochen wollten. Schon Kolumbus glaubte, dass die Kariben, wie er die Ureinwohner der Karibikinseln nannte, ihre Feinde verspeist haben sollen. Das ist mit ein Grund, weshalb die meisten Kalinago diese Bezeichnung ablehnen.
Trail Nummer 6 verläuft durch das Gebiet der Kalinago, wechselt zwischen Küstendschungel und Dörfern, in denen man als Wanderer freundlich gegrüßt wird. Dominica ist eine Insel, auf der beinahe jeder jeden kennt, und so muss Derick häufig stehen bleiben, Hände schütteln und ein paar Worte wechseln.
„Ich möchte für die Menschen hier eine Zukunft schaffen, auf die meine Vorfahren stolz wären“, sagt abends Louis Patrick Hill bei einer Flasche Gewürzrum. Wie Derick ist er einer der 3.500 Kalinago, die an der rauen Ostküste Dominicas leben. Anders als Derick ist er einer, der bewusst hierher zurückgekehrt ist, nach 30 Jahren im Ausland. Louis hat das Aywasi Kalinago Retreat geschaffen. Hier schläft man in Hütten, die an die traditionellen Bauten der Kalinago erinnern.
Er möchte mehr Touristen an die Ostküste holen, denn bisher bleiben Besucher oft im Westen des Landes, machen nur kurze Ausflüge zu den Wasserfällen im Landesinneren. Daran ist nichts auszusetzen, die Natur ist wunderschön. Wer länger bleibt, lernt aber auch das gelassene Wesen der Inselbewohner kennen und schätzen. „Jedes Mal, wenn ich nach Dominica zurückgekehrt bin, war ich erstaunt von der Großzügigkeit der Menschen, die nichts besitzen“, sagt Louis, „das hat mich daran erinnert, dass die wichtigsten Dinge im Leben sehr einfach sein können.“
Vielleicht ist diese Erkenntnis das beste Souvenir, das man mitnehmen kann von einer Insel, wo immer Sonntag ist.
Infos und Adressen: Dominica, Karibik
Infos und Adressen: Dominica, Karibik
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