Winterurlaub in schönster Ruhelage: Das Tannheimer Tal
Foto: Julian Rohn
An der Grenze zwischen Bayern und Tirol hat sich ein Tal quergestellt und folgt dem Lauf der Sonne: Das Tannheimer Tal lockt mit kleinen Skigebieten, kurzen Wegen und dreimal so vielen Loipen- wie Straßenkilometern.
Sissi Pärsch für das Bergwelten-Magazin Dezember/Jänner 2018/19
Kaum treffen Bayern und Tirol auf dem Grat des Bscheißer aufeinander, gehen die Meinungen auch schon auseinander. Bschießer nennt man ihn auf der Allgäuer Seite. Bscheißer sagen die Bewohner des Tannheimer Tals. 2.000 Meter hoch ist er laut den Bayern, 1.998 Meter laut den Tirolern. Und weil die Deutschen aufrunden, passt eben auch der Name Bscheißer ganz wunderbar. „Wobei eine Sache noch dazukommt“, meint Petra.
„Der Anschein beim Zustieg trügt: Beim letzten Sattel denkst du, dass du gleich oben bist. Und dann streckt es sich doch noch. Da b’scheißt er dich schon auch.“ In diese Diskussion lassen wir uns lieber nicht hineinziehen und sind deshalb unterwegs zum Nachbarn des umstrittenen Berges.
Der Kühgundkopf ist ebenfalls ein Grenzgipfel, aber bei ihm sind sich Petra und ihr Freund Thomas einig – und das, obwohl er aus Nesselwang jenseits der Grenze stammt, sie hingegen aus dem kleinen Ort Schattwald im Tannheimer Tal. Dort sind sie mittlerweile gemeinsam zu Hause und führen im Winter eine Schneesportschule. Eine reine Skischule ist es nicht, weil es „grad schad“ wäre, meint Petra.
In dem 16 Kilometer langen Tal ist nichts riesig, aber dafür gibt es viel von allem. „Du kannst vormittags eine Skitour gehen und nachmittags langlaufen. Oder kannst einen halben Tag pisteln und dann rodeln. Oder wellnessen.“ Thomas, der vorausspurt, hält kurz an, um zu versichern: „Das bieten wir aber nicht an.“
Ski-Reviere mit Charakter
Wenn wir die Köpfe wenden, haben wir einen großartigen Blick auf den weiten Talboden sowie auf Allgäuer und Lechtaler Alpen. Die Ortschaften hier liegen immerhin auf einer Höhe von 1.100 Metern. „Es ist schneesicher, und man ist schnell oben“, sagt Thomas und lobt in seiner charmanten Allgäuer Art: „Das kann man schon mögen.“ Die sechs Skigebiete sind klein und über das Tal verstreut, von hier oben sind sie kaum wahrnehmbar.
Das liegt in erster Linie daran, dass sie nicht durch Skischaukeln miteinander verbunden sind. Wer will, der pendelt mit dem Skibus zwischen den Revieren, von denen jedes seinen speziellen Charakter hat. Hinten im Tal, oberhalb des Haldensees, fährt man in Nesselwängle noch ausschließlich auf Naturschnee. Ein Stück weiter vorn bekommt das Neunerköpfle viel Sonne ab und viele Gleitschirmflieger dazu.
Während man vom nordseitigen Schattwald-Zöblen-Gebiet – so wie wir jetzt – immer gut zu einer Skitour starten kann. Dazwischen lässt das Tal Luft. Das tut Flora und Fauna gut und unserem Auge auch. Gute 700 Höhenmeter haben wir durch die Wanne nach oben gespurt. Jetzt geht es am Scheitel entlang auf den Gipfel zu.
Petra erklärt die Bergwelt, deutet zum Füssener Jöchle, „wo du bei einer Skitour fast immer Gämsen begegnest“, zum Aggenstein und dem Gimpel mit seinen beliebten Kletterrouten und weiter zu einem markant eigenwilligen Gipfel, der Einstein heißt. „Was uns auch sehr stark hierhält“, sagt die 38-Jährige, „ist, dass die Landschaft ohne Kitsch und Pomp auskommt. Sie darf noch sein, wie sie ist, und wir dadurch auch.“ Ihr Freund präzisiert:
„Bei uns kann man nicht nur gut urlauben, sondern auch gut leben.“ Das ist auch der Grund, warum wir nach dem Abfellen zügig abfahren. Die beiden schulen nämlich nicht nur Gäste, sie trainieren auch die einheimischen Kinder – und die werden gleich wie die Orgelpfeifen unten am Lift stehen. Erst einmal dürfen wir aber unsere Schwünge genussvoll in die aufgefirnten Hänge ziehen.
Neben der überschaubaren Größe gibt es einen weiteren Grund, warum das Hochtal eine derart geruhsame Ausstrahlung hat. Es liegt am äußersten Nordwestende Tirols und hat sich noch dazu auch gleich quergestellt: Mit seiner Ost-WestAusrichtung hat es einen Sonderstatus unter den Tälern, die sonst meist in NordSüd-Richtung verlaufen. Das Tannheimer Tal hingegen folgt dem Lauf der Sonne – womöglich leistet das einen Beitrag zum entspannten Tal-Gemüt.
Es geht auch größer im Tal
Nein, bestätigt Petra, groß, laut, schnell – das passe nicht zum Naturell der Tannheimer. Allerdings gehe es ihr manchmal ein wenig allzu behaglich zu. „Es ist schon wichtig, dass es immer wieder Antreiber gibt, die die anderen mitziehen“, meint sie. So wie vor über einem halben Jahrhundert Raimund Gutheinz. Der war eigentlich damit beschäftigt, Wagenräder zu bauen. Aber die konnte er nicht neu erfinden, während es beim Skibau noch ans Tüfteln ging.
Seine Modelle verkauften sich richtig gut, glaubt man dem Slogan von einst: „Ob Hase oder Renngenie, alle fahren den Gutheinz-Ski.“ Doch ein Ski braucht Fahrer, und so musste 1957 ein Lift her – und der lief entgegen aller Skepsis unter der Talbevölkerung so gut, dass ein Café und bald auch ein Bettenlager folgten. In der dritten Gutheinz-Generation ist das Lager zu einem stattlichen Hotel angewachsen.
Und der Original-Lift ist heute als „Museumsstück“ in das Hotel Jungbrunn integriert, unweit des 7.000 Quadratmeter großen Spa-Bereichs und der beiden Hallentennisplätze. Ein wenig größer geht es also schon im Tannheimer Tal. Auch weiter vorn im Tal, in Zöblen, wurde gerade ein rustikales Skilokal in ein modernes Biohotel verwandelt, angeführt von einer Mannschaft aus unter Dreißigjährigen. Chef Hermann Sammer wollte schon immer Hotelier werden – mit ökologisch verträglicher Ausrichtung. „Mit der‚Passt scho, reicht scho‘-Mentalität im Tal konnte ich nie etwas anfangen“, sagt er.
Mittlerweile hat auch der Cousin seinen Bauernhof auf Bio umgestellt. Und ganz allgemein sei „eine Talverjüngung spürbar“, ist der Hotelier überzeugt. „Natürlich ist es immer noch ruhig – und das bleibt es hoffentlich auch. Hier fühlen sich eben die wohl, die etwas anderes suchen – und die direkt vor der Haustür die Ski anschnallen wollen.“ Oder gern auch die Langlaufski.
Im Tannheimer Tal werden 155 Kilometer gespurt; das sind fast dreimal so viele Loipen- wie Straßenkilometer. Selbst der Haldensee, der mitten im Tal liegt, wird belaufen – sofern der von der Gemeinde beauftragte Eismann sein Okay gibt. Wenn die Probebohrung zufriedenstellend ausfällt, darf die Spurmaschine aufs Eis und die Langläufer und Wanderer hinterher. So kommt es kaum überraschend, dass Petra und Thomas am nächsten Tag mit einer bewundernswerten Leichtigkeit auf den dünnen Ski dahingleiten.
Irgendwann lösen wir unseren neidischen Blick von den beiden vor uns. Die Landschaft bietet ausreichend Ablenkung: Von den weiten Wiesenflächen geht es den Bach entlang tiefer hinein in das Naturschutzgebiet. Arme und Beine machen sich schon bemerkbar, als wir den Vilsalpsee erreichen. Ganz versteckt liegt er am Ende des Talabzweigs, umzingelt von steil aufragenden Felsen. Linker Hand die Spitzen: Schochenspitze, Lachenspitze und Rote Spitze. Rechter Hand, in Richtung deutsche Grenze, die Hörner: Gaishorn, Rauhhorn und Kugelhorn.
Wir halten an und lassen unseren Atem zur Ruhe kommen. Vor uns liegt der zugefrorene Bergsee, der von einer frischen Schneeschicht überzogen und somit bestens getarnt ist. „Still und starr ruht der See“, murmelt man vor sich hin. Petra zieht die Augenbrauen hoch und lacht. „Nicht mehr lange“, sagt sie, hebt die Stöcke, und schon ziehen die beiden doch nicht ganz so Ruhigen frische Spuren über die See-Schneedecke.
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