David Lama: Über Alleingänge
Foto: Martin Hanslmayr / Red Bull Content Pool
von David Lama
Eigentlich wollte der Ausnahmekletterer David Lama in Seilschaft auf den Lunag Ri klettern. Schlussendlich stieg er aber solo in die unbezwungene Wand ein (erschienen im Bergwelten Magazin April/Mai 2017).
Dass es am Lunag Ri zu einem Versuch ohne Conrad Anker, meinen amerikanischen Seilpartner, kommen würde, war nicht geplant. Wie schon 2015 wollten wir zusammen auf den unbestiegenen, 6.900 Meter hohen Berg in Nepal klettern. Doch auf 5.800 Metern spürte Conrad plötzlich extreme Schmerzen im Brustbereich. Wir seilten uns sofort ab und riefen einen Hubschrauber, der ihn vom Wandfuß ins Krankenhaus nach Kathmandu flog. Die Diagnose: Herzinfarkt. Nach einer Notoperation war er wieder auf den Beinen und reiste ab.
Mit dem Wissen, dass es Conrad besser ging und er nicht zum Berg zurückkehren würde, fasste ich den Entschluss, allein einzusteigen. Ich glaubte fest daran, eine faire Chance auf den Gipfel zu haben.
Über steile Schnee- und Eisflanken kletterte ich am ersten Tag seilfrei über eine andere Linie bis unter den Nordwestgrat. Den restlichen Tag verbrachte ich mit Gedanken über die verbleibenden 700 Meter bis zum Gipfel. Bis auf den Wind und gelegentlichen Steinschlag hörte ich dort oben nichts. Auch wurde diese Stille nicht durch Seilkommandos unterbrochen. Ich war allein mit mir selbst.
Immer wieder stolperte ich über die gleichen Fragen, meine Gedanken drehten sich im Kreis. Allein gibt es keine Möglichkeit, sich abzulenken. Ich beschäftigte mich mit Wasserkochen und Trinken.
In der Nacht stieg ich weiter. Das Gelände wurde schwieriger und diktierte den Rhythmus: Solange man komplett ungesichert solo klettert, kommt man schnell voran. Fängt man allerdings an, sich selbst zu sichern, wird es komplex, und man macht jeden Meter doppelt. Nach jedem Stand muss man sich wieder abseilen, um Sicherungen und Rucksack zu holen, bevor man die Seillänge ein zweites Mal hinaufsteigt. Es gibt keine Pausen, in denen sonst der Partner vorsteigen würde. Man ist ständig am Schuften.
Als ich endlich im zweiten Biwak ankam, war ich zwar nur noch 250 Meter unter dem Gipfel, aber völlig am Ende. Würde ich am nächsten Tag weitersteigen, hätte ich keine Kraftreserven mehr für den Abstieg. Es ging nicht mehr darum, auf den Gipfel zu steigen – für mich ging es nur darum, die Kraft aufzubringen, heil wieder runterzukommen.
Der Wille weiterzukämpfen ist am Berg oft von kritischer Bedeutung, und gerade hier spielt der Partner eine entscheidende Rolle. Man ist gemeinsam unterwegs, und deshalb ist jeder für die gesamte Seilschaft verantwortlich. Wer aufgibt, tut es nicht nur für sich selbst. Oft ist der gemeinsame Wille der einzig verbleibende Antrieb.
Am nächsten Tag machte ich mich an den Rückzug, der sich kompliziert und höllisch anstrengend gestaltete. Nach mehr als 20 Stunden kam ich am Wandfuß an.
Alleingänge mögen wertvolle und intensive Erfahrungen sein, aber das „normale“ Bergsteigen ersetzen können sie nicht: Es fehlen das gemeinsame Erlebnis am Berg und das Teilen der Verantwortung für das Gelingen des Projekts.
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