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Es ist schön da oben

Menschen

5 Min.

19.12.2018

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Er war 1970 an einer legendären Rettungsaktion am afrikanischen Mount Kenya beteiligt, die Reinhold Messner nun für ServusTV verfilmte. Der Arzt und Bergsteiger Oswald Oelz über das Bergsteigen 
in der Todeszone und das Glück, einen Gipfel zu erreichen.
 Das Interview ist im Bergwelten Magazin (Oktober/November 2016) erschienen.

Interview: Markus Honsig

Bergwelten: Dr. Oelz, wie gesund ist Bergsteigen?

Oswald Oelz: Höhenbergsteigen ist nicht sehr gesund. Einmal davon abgesehen, dass es gefährlich ist, weil man herunterfallen kann: Viele Höhenbergsteiger bekommen mit der Zeit körperliche Probleme – mit den Gelenken, mit dem Rücken, an den Knochen. Und es gibt Berichte, dass extremes Bergsteigen über 8.000 Metern auch für das Gehirn nicht gut ist.

Bis zu welcher Höhe ist es gesund?

5.000 Meter. Die Entwicklung des Menschen hat sich in Höhenlagen bis zu 5.000 Meter vollzogen, bis dorthin können sich Menschen voll akklimatisieren. Auf 6.000 Metern funktioniert das nicht mehr. Auf Dauer können in dieser Höhe auch Indios nicht überleben.

Was ist denn der Stand der Forschung in der Höhenmedizin?


Die Höhenmedizin hat sehr große Fortschritte gemacht. Wir haben die Krankheiten, die in der Höhe auftreten, charakterisiert: Hirnödem, Lungenödem, die schwere akute Bergkrankheit. Und wir haben Therapien entwickelt. Das Beste ist natürlich immer, hinunterzugehen, Sauerstoff zu bekommen. Aber wenn das nicht möglich ist, haben wir Blutdruckmedikamente, die den Druck im Lungenkreislauf senken. Das wirkt fabelhaft.

Gibt es offene Fragen?

Ja. Die Hauptfrage ist, wie sich die verschiedenen Empfindlichkeiten erklären. Tibeter vertragen ganz andere Höhen als wir Europäer, und das wird jetzt genetisch erforscht.

Wenn es schon nicht besonders gesund ist: Macht Bergsteigen glücklich?


Das ist verschieden. In dem Moment, in dem wir es tun, macht es viele von uns glücklich. Aber man fragt sich auch immer wieder, warum man sich das alles antut, warum man sich so schrecklich schindet. Und dann gibt es diese Momente, wo man platzen könnte vor Glück.

Zum Beispiel?

Ich kenne das beispielsweise vom Mount Vinson – das ist der höchste Berg der Antarktis – 1986 gemeinsam mit Reinhold Messner. Da hatte ich auf den letzten Metern, als ich das Eisbeil hineinschlug und mich hinaufzog, so ein Flush aus der Tiefe des Bauches. Und das hat nicht mehr aufgehört, das war großartig. Wie andere Höhepunkte, nur länger.

Macht man es für diesen Moment?

Nein. Das ist nur Zugabe. Man macht es aus Ehrgeiz, um sich selber und den anderen zu zeigen, was geht, was man kann. Da ist auch viel Wettbewerb drinnen wie in jedem Sport. Ich habe mir auch die Energie für die Arbeit im Krankenhaus, die 14, 16 Stunden pro Tag dauern konnte, in den Bergen geholt. Ich habe am Sonntag die Eigernordwand gemacht, und am Montag auf der Visite haben alle gesagt: Dir geht’s aber heute besonders gut. Obwohl ich niemandem gesagt habe, wo ich war. Ich hatte nur etwas Pflaster an den Händen.

Warum geht’s Ihnen besser nach einem Tag in der Eigernordwand?


Wir sind einfach nicht dazu gemacht, vor Computern zu sitzen und zu telefonieren.

Aber wir sind auch nicht dazu gemacht, die Nordwände hinaufzuklettern.


Nein, aber in der Eigernordwand finden wir die Umwelt wieder, in der sich unsere Evolution vollzogen hat. Wir mussten in Höhlen hausen, wir mussten vor Bären davonrennen. Heute sitzen wir am Computer. Da werden die Leute mit der Zeit unzufrieden.


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Sie sind Arzt und haben mehrere Achttausender bestiegen. Wie lässt sich der regelmäßige Aufenthalt in der Todeszone mit dem beruflichen Ethos eines Mediziners vereinbaren?


Die besten Trips sind jene, wo es knapp hergeht, wo man wirklich alles einsetzen muss. Es ist mein Leben, und über mein Leben bestimme ausschließlich ich. Wenn ich sterbe, dann gibt es unzählige andere, die das übernehmen können. Vor uns waren schon Milliarden Menschen auf der Welt, wurden geboren und sind gestorben. Die Welt gibt’s immer noch. Auch wenn es jetzt langsam kritisch wird.

Als Sie 1978 Reinhold Messner auf den Everest ohne Sauerstoff begleitet haben, hätten Sie da nicht als sein Arzt sagen müssen: Messner, bleib herunten, das ist viel zu gefährlich?

Nein, das ist seine Entscheidung. Wie sehr man sich einer Gefahr aussetzt, ist Privatsache. Im Alltag wird die Gefahr ohnehin minimiert, wir müssen schon beim Fahrradfahren Helme tragen. Aber oben in den Bergen, da herrscht noch eine gewisse Freiheit. Das macht das Ganze doch spannend, nicht?

Den Tod herauszufordern?

Das Leben herauszufordern. Man lebt ungeheuer intensiv, man steht wirklich unter Strom. Das ist ein sauschönes Gefühl.

Wie kamen Sie eigentlich in die Berge?

Meine Mutter war eine fanatische Bergsteigerin und hat mich mitgenommen. Ich hab dann 1948 mit fünf Jahren auf einem Berg in Tirol, dem Schönjöchl, eine Schokolade bekommen, eine perfide Form der Verführung. Heute suche ich nicht mehr die Schokolade, sondern den Gipfel und das glückliche Zurückkommen.

Suchen Sie etwas in den Bergen und finden es nicht? Oder suchen Sie etwas und finden es immer wieder?


Ich finde es immer wieder. Ich komme glücklich zurück. Es ist schön da oben. Ich bin am Ende eines Tages glücklicher als am Morgen. Alles ist durchgelüftet. Es hält mich fit. Wenn ich lange nicht in den Bergen war, dann wird das Leben flach.

Was waren Ihre schönsten Berge?

Der Everest und der Vinson. Der Everest, weil ich’s zuerst vermurkst habe, und dann ist es doch gegangen. Wir waren nur zu zweit: der Reinhard Karl und ich. Das war einmalig, wir waren die einzigen Menschen auf der Welt. Und der Vinson, auch weil die Landschaft so unglaublich schön ist.

Gibt es noch Berge, die Sie unbedingt machen wollen?


Viele kleine. Den K2 werde ich wohl nicht mehr schaffen, so realistisch muss man sein. Aber ich versuche schon, mindestens zweimal im Jahr in den Himalaya zu kommen. Es gibt noch immer Gebiete, die ich nicht kenne.

Servus TV hat einen Film über die Rettungsaktion am Mount Kenya 1970 gemacht, als Ihr Seilpartner Gert Judmaier sieben Tage schwerverletzt in der Wand aushielt und von Tiroler Helfern schließlich gut nach Hause geholt wurde.

Ja, das war wirklich knapp. Im Grunde war es aussichtslos, aber irgendetwas kann man eben immer machen. Solange wir leben, kämpfen wir – also ich zumindest.

Was ist das Besondere an diesem Film?

Dass er wahr ist und dass eine wirklich aussichtslose Situation doch zu einem guten Ende kommt. Das ist im Film zwar oft so, aber meistens ist es nicht wahr.

Reinhold Messner führte erstmals Regie. Wie haben Sie Ihren Bergpartner in dieser neuen Rolle erlebt?


Super. Ganz erstaunlich super. Er war von 6 Uhr morgens bis 10 Uhr nachts ununterbrochen dran. Der Mann hat eine vulkanische Energie. Und immer wieder Ideen und Einfälle.

Was ist sonst noch wichtig im Leben – außer Bergsteigen?


Dass es den Leuten, mit denen man zu tun hat, ein bisschen besser geht, nach­dem man mit ihnen zusammen war, mit ihnen interagiert hat. Es gibt das Gedicht „Die Nachtlager“ von Bertold Brecht über einen Mann, der in New York Ecke 26. Straße und Broadway steht und Leute anspricht, ob sie einem der Obdachlosen für eine Nacht ein Zimmer zur Verfügung stellen könnten. Einige tun das. Und er sagt dann in etwa: Ich habe nicht die Welt geändert, aber für eine kurze Zeit war das Leben dieser Menschen besser. – Das ist alles, was wir können.


Zur Person

Oswald Oelz, geboren 1943 in Vorarlberg, ist Internist und Höhenmediziner und war bis 2006 Chefarzt
am Triemlispital in Zürich. Er begleitete 1978 Reinhold Messner und Peter Habeler bei der ersten Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff, erreichte damals auch selbst den Gipfel (mit Sauerstoff). Als erst drittem Menschen gelang Oswald Oelz 1990 die Besteigung der Seven Summits, der jeweils höchsten Berge aller sieben Kontinente