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Simon Messner: Alpinismus – was ist das eigentlich?

Menschen

4 Min.

22.12.2022

Foto: Archiv Simon Messner

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von Simon Messner

In der Bergwelten-Kolumne erzählt Simon Messner von seinem Leben als Alpinist. Diesmal geht er seinem eigenen Tun auf den Grund: Was ist Alpinismus überhaupt?

Viel wurde über den Alpinismus geschrieben und diskutiert. Fest steht: Das Thema Berg und das Bergsteigen hat die Menschen von der Erstbesteigung des Mt. Blanc im Jahre 1786 bis in die heutige Zeit fasziniert. Dem Bergsteigen wohnt offenbar ein Hauch des Unergründlichen inne, etwas Mystisches, etwas, das uns in seinen Bann zieht. Aber wieso?

Nach dem Drama am Matterhorn im Jahre 1865, bei dem vier der sieben Erstbesteiger in den Tod stürzten, mehrten sich Stimmen, dass dieses gefährliche Tun nicht zu verantworten sei. Die englische Queen Victoria beklagte sogar „wertvolles englisches Blut ist am Matterhorn vergeudet worden“ und stellte die Frage in den Raum, ob man das Bergsteigen nicht gänzlich verbieten müsse. Zum Glück hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt.
Der Effekt, den Königin Victoria mit ihrer Aussage jedoch erreichte, war ein ganz anderer: Die Monarchin hatte die Neugierde tausender Engländer geweckt, welche in Folge in Scharen in die Alpen drängten. Zermatt, einst ein ärmliches Bergdorf am Fuße des Matterhorns, begann aufzublühen und zugleich wurde der Grundstein für den Tourismus im Alpenraum gelegt. Die ersten „Hochtouristen“ – den Begriff „Alpinist“ gab es damals noch nicht – waren also Engländer. Der Inselstaat hatte nämlich durch die Industrialisierung eine Art Vorsprung in Sachen Wohlstand – zumindest für einige wenige – und dieser machte den Alpinismus erst möglich. Nur wer nicht arbeiten musste, konnte weite Reisen auf sich zu nehmen und das Bergsteigen betreiben. Es war somit lange Zeit der Elite vorbehalten und das stimmt immer noch, wenn man unsere eigenen Möglichkeiten mit denen der Weltbevölkerung vergleicht.

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Und das Bergsteigen erlebte eine rasante Entwicklung: Jede Generation war bestrebt das, was ihre Vorgänger als „nicht möglich“ erachteten, möglich zu machen. Der Alpinismus gebar und feierte immer schon seine Helden und betrauert seine zahlreichen Toten.

Und auch heute fungiert der Berg – mehr denn je – als „Schauplatz der Eitelkeiten“.

Von einer technischen Perspektive gesehen hat sich das Freiklettern gegenüber dem technischen Klettern durchgesetzt und gilt am Fels weltweit als Standard. An den höheren Bergen der Welt hatte sich dieser Gedanke – leider – nicht behaupten können: Bis auf einzelne wenige Vertreter des sogenannten „Alpinstils“ – der Besteigung eines Gipfels in Form einer kleinen Seilschaft, ohne Fremdhilfe, ohne vorher präparierte Route und in einem Zug vom Basislager zum Gipfel und zurück – wird an den hohen Bergen weiterhin der schwerfällige „Expeditionsstil“ praktiziert. Diese Form ist zwar erheblich aufwändiger, aber deutlich sicherer und für die großen kommerziellen Expeditionen von heute zweifelsohne gewinnbringender.

Wieso aber gerade diese Expeditionen im Grunde gar nicht Alpinismus sind, möchte ich nun folgend erläutern. Wenn wir über Alpinismus sprechen, muss nämlich klar sein, dass Alpinismus auf Eigenverantwortung basiert. Alle Konsequenzen, die mein Handeln im Gebirge mit sich bringen, trage ausschließlich ich selbst. Dann bedarf es der Ausgesetztheit bzw. Exposition. Damit ist einerseits die Vertikale gemeint, aber auch die räumliche Lage weitab jeder Sicherheit. Die findet man zumeist dort, wo keine Infrastruktur mehr vorhanden ist und damit auch keine anderen Menschen zu finden sind. Eine Kletterei muss natürlich auch mit fordernden Schwierigkeiten verbunden sein. Das ist höchst subjektiv: Während ein sehr erfahrener Alpinist den X. Schwierigkeitsgrad klettert, um sich zu fordern, wird sich ein andere bereits mit dem V. Schwierigkeitsgrad zufriedengeben. Wichtig ist, sein Können zu kennen oder anders ausgedrückt: „das Können als des Dürfens Maß“ zu verstehen, so wie es einst Ludwig Purtscheller (nicht Paul Preuss, wie fälschlich angenommen wird) ausdrückte.

Wir Alpinisten müssen unser Können so gut wie nur möglich kennen, um auf dessen Basis unsere Ziele zu wählen. Bergsteigen bedeutet demnach auch ein Leben lang zu lernen. Schlussendlich fehlt uns noch eine Zutat, eine letzte Komponente, damit unser Tun zum Alpinismus wird. Es mag verrückt klingen, ja sogar absurd: Es braucht auch die Gefahr! Natürlich will kein Bergsteiger im Gebirge sterben, die Möglichkeit dazu muss aber gegeben sein. Die große Kunst dabei ist, gegebene Gefahren zu erkennen und diesen auszuweichen.

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Alle diese Komponenten zusammen ergeben das, was wir allgemein als Alpinismus bezeichnen: eine Tätigkeit mit sportlichem Charakter, vor allem aber ein Tun mit langer Tradition.

Dass Alpinismus mehr ist als Bergsteigen und Klettern, manifestiert sich in der erst kürzlich erfolgten Ernennung zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO im Jahr 2019:

„Alpinismus ist die Kunst, Gipfel und Wände zu besteigen, aus eigener physischer und geistiger Kraft. Es müssen dabei natürliche, nicht künstliche Hindernisse überwunden, Risiken eingeschätzt und angenommen werden. Es geht dabei um Eigenverantwortung, Solidarität mit anderen und Respekt vor der Natur.“

Einmal mehr haben wir im Leben, genauso wie in den Bergen die Wahl: Ob wir mit einer gemütlichen Alm-Wanderung mehr als zufrieden sind, oder ob es uns zum großen Alpinismus hinzieht, können wir selbst entscheiden.
Ein Rezept dafür gibt es nicht. Wer sich aber hinaus traut und dabei die erste Erfahrungen am Berg macht, der wird verstehen, wieso das Bergsteigen immer schon begeistert hat und weiterhin begeistern wird – so jedenfalls erging es mir. Ich für mich habe meine Leidenschaft gefunden und wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann jenen, dass es noch vielen Menschen – ob jung oder alt – so ergehen möge wie mir. Denn eine Leidenschaft zu haben ist etwas unbeschreiblich Schönes!


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