Wilde Wasser und frische Fische
Werner Kräutler führen ein paar Zufälle zum Grawa Fall. Und er fragt sich: Steckt da nicht doch ein größerer Plan dahinter?
Sind Zufälle wirklich zufällig? Oder steckt eine sinistre, absichtsvolle Macht hinter diversen Vorgängen, die wir dann lapidar als Zufall bezeichnen? Wie dem auch sei. Mehr oder minder durch Zufall lernte ich ein grandioses Tourismusprojekt im Tiroler Stubaital kennen: die WildenWasserWege.
Mein Freund Thomas lag mir schon lange mit einer Behauptung in den Ohren, wonach es im Stubai den tollsten Wasserfall Tirols gebe. Er heiße Grawa und sei ein wahrer Gesundbrunnen. Und ein neues Wegenetz führe an tosenden Wildbächen, gewaltigen Wasserfällen, Katarakten und mäandernden Gletscherbächen entlang. Das Ganze nenne sich WildeWasserWege. Ich muss gestehen: Bisher verspürte ich wenig Lust, im Stubai zu wandern.
Als Fan feiner Volksmusik bin ich aber seit Jahren ein großer Anhänger der „Stubaier Freitagsmusig“. Und die tritt regelmäßig beim Hoferwirt in Neustift im Stubai auf. Bei einem dieser Musikabende erzählte der Hofer-Wirt Werner Zittera mit leuchtenden Augen davon, dass er auf seiner Alm Ziegen-Frischkäse mache, aus der Milch von Bündner Strahlenziegen. Und dann schilderte er seine zweite Leidenschaft: eine Fischzucht mit Forellen und Saiblingen in reinstem Trinkwasser. Tschangelair heiße dieses Paradies. Und zufällig liegt auch das am WildeWasserWeg.
Für mich war klar: Wo gut und regional gegessen wird, da will ich hin.
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Alpenfische auf der Tschangelair Alm
Einige Tage später nahm ich den Bus vom Hauptbahnhof in Innsbruck ins Stubai bis zur Haltestelle „Nürnberger Hütte“. Dort beginnt das neueste Teilstück des WildeWasserWeges. Er führt zuerst an einem Katarakt, einem tiefen Einschnitt des Ruetz-Flusses vorbei. Was heißt hier vorbei. Der Weg führt direkt hinein!
Eine Brücke über dem wild tosenden, ja scheinbar kochenden Fluss ist ein großartiges Spektakel, ein unmittelbares Erlebnis von Wasser und seiner immensen Kraft. Und was mich ungemein freut: der WildeWasserWeg ist in diesem spannenden Bereich auch rollstuhl- und kinderwagentauglich.
Das ist gut so, denn niemandem sollte der Weg auf die Tschangelair Alm verwehrt bleiben. Man möchte nicht meinen, dass es in Tirol noch Almhütten gibt, die in ihrem Urzustand quasi konserviert worden sind. So alt Stall und Hütte sind, so modern ist die Speisekarte. Zutaten aus dem Stubai werden auf Tschangelair zu feinsten Spezialitäten veredelt. Ich entschied mich für eine Forelle aus dem Quellwasserbecken hinter der Alm. Eine vorzügliche Wahl.
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Aber wo waren die vom Hofer-Wirten so gepriesenen Strahlenziegen? Um 11 Uhr vormittags ganz sicher nicht mehr zu Hause, meint der Hirte. Die würden um diese Zeit nämlich schon ihre Blättlein und Gräslein im Hochgebirgswald suchen. Man könne sie ob ihrer Glöckchen nicht verfehlen.
Und tatsächlich lief mir eine meckernde Meute auf dem Weg zum Grawa Wasserfall entgegen. Die wunderschönen Tiere unterbrachen ihre Futtersuche sogar ganz kurz und posierten für ein Foto. Zwanzig stolze, elegante Bündner Strahlenziegen eben!
Wohltuende Wassermassen
Nach diesem animalischen Treffen wurde es spektakulär. Das Bergpanorama, der wilde Gebirgsfluss, die steil aufragenden Berge. Der Grawa-Wasserfall - über den barrierefreien WildeWasserWeg erreichbar - ist schon von weitem hörbar. Kein Wunder, fällt das Wasser doch tosend und zischend über eine 180 Meter hohe Kaskade.
Die Luft wird spürbar feuchter, feinste Aerosole wirbeln durch die Luft. Und dann die Überraschung: eine Plattform mit hölzernen, körperangepassten Liegestühlen am Fuße des Wasserfalls. Im Liegen einen Wasserfall beobachten? Was soll das?
Beobachten, ja das auch. Aber der eigentliche Grund für die Liegestühle ist die gesundheitlichen Wirkungen der Mikro-Wassertröpfchen. Der Regenbogen fabrizierende Sprühnebel ist quasi ein Gesundbrunnen für die Lunge. Stichwort: Asthmabehandlung. Und diese Kur ist auch noch kostenlos!
Dass Luis Töchterle, sozusagen der Vater des Stubaier „WildeWasserWeges“, gerade am Grawa war, ist ein weiterer Zufall. Er kontrollierte die letzten Arbeiten an der „Himmelsstiege“, die hinauf zum Beginn der 180 Meter hohen Kaskade führt. „Du wirst dir den einmaligen Anblick des Grawa-Wasserfalls von oben ja wohl nicht entgehen lassen“, stichelte er. Natürlich nicht. Und genau das empfehle ich allen, die den Grawa besuchen. Zwei Besuchsplattformen in schwindelnder Höhe bieten hautnah einzigartige Ausblicke auf das tosende Wasser. Und auf die Grawa-Alm.
Die Grawa-Alm ist quasi die „Präsidentenloge“ des Wasserspektakels. Und dass mir das Bergsteiger-Dessert doppelt gut geschmeckt hat, kann kein Zufall sein. Denn eines ist sicher: Ich habe mir den alpinen Nachtisch nach dem Aufstieg redlich verdient.