Hans Goger: Ein Leben für das Abenteuer
Foto: Hans Goger
von Christina Geyer
Hans Goger ist Bergsteiger. Aber nicht ausschließlich. Er war zwar – übrigens als erster Burgenländer überhaupt – auf bereits vier Achttausendern, aber auch die endlosen Weiten des Nordens ziehen den Abenteurer immer wieder nach Alaska und Lappland. Ein Interview mit einem, der vor allem eines sucht: die Wildnis und das Abenteuer.
Bergwelten: Worin besteht für dich der Reiz des hohen Nordens?
Hans Goger: Die Weite, die Einsamkeit, das einfache Leben. Im Norden findet man noch Freiheit und menschenleeres Land. Dinge, die an vielen Stellen der Welt längst verschwunden sind.
Welchen Einfluss hat die Einsamkeit der Wildnis auf den Menschen?
Ich glaube, das ist bei jedem anders. Ich werde in diesen abgelegenen Gebieten völlig ruhig – was ich in der Zivilisation nicht immer bin. Wenn ich nach einigen Tagen bemerke, dass ich die Uhr nur mithabe, um das Datum abzulesen, bin ich angekommen. Mich interessiert dann bloß noch, wann es wieder nach Hause geht. Da sich meine Touren meist oberhalb des Polarkreises abspielen, ist es egal, ob ich in der Nacht oder am Tag unterwegs bin. Die Mitternachtssonne ist eine mächtige Freundin!
1993 bist du in Alaska zu Fuß von Anaktuvuk bis nach Bettles gegangen – „des is a Irrsinn“, hat man dir damals gesagt. Warum unternimmt man ein solches Abenteuer?
Damals war ich 27 Jahre jung und ein „wilder Hund“. Unerfahrenheit und körperlicher Topzustand verführen zu solchen gewagten Abenteuern. In meinem neuen Buch „Ein Leben für das Abenteuer“ kann man recht gut nachlesen, was da alles an Gefahren und lebensgefährlichen Situationen auf mich lauerte. Grenzenlose Euphorie und tiefe Verzweiflung lagen oft nur ein paar Stunden auseinander.
An einer Stelle schreibst du, dass dir dein Abenteuer selbst wie eine „idiotische Idee“ vorkam. Trotzdem hat dich diese Reise positiv und nachhaltig geprägt. Warum?
Vielleicht weil ich sie überlebt habe? Im Ernst: Es ist schon eine Befriedigung und schmeichelt der persönlichen Eitelkeit, wenn Menschen, die ihr ganzes Leben im alaskischen Busch verbracht haben, bestätigen, dass sie noch nie von einer Solo-Tour – oder Tortur – in dieser abgelegenen Region gehört haben. Noch dazu in der ungünstigsten Jahreszeit zur Schneeschmelze.
Es ist altbekannt, dass tiefgreifende Erlebnisse abseits der eigenen Komfortzone zu suchen sind. Worin liegt der positive Effekt von Eiseskälte und Grenzerfahrungen?
Wahrscheinlich weil man das Leben abseits vom Abenteuer zu schätzen lernt. Wenn man schon so viel von der Welt gesehen hat wie ich, erinnert man sich genau an die eiskalten Nächte im tibetischen Nomadenzelt oder an die Tage im Sturm auf fast 8.000 m Höhe. Man wird auch demütig vor der Urgewalt der Natur, der wir so wenig entgegenzusetzen haben.
In deinem Buch fragst du: „Wie überbrückt man sechs Stunden bis zum Schlafengehen, ohne verrückt zu werden?“ Wie lautet die Antwort? Wie vertreibt man sich die Zeit in einem kleinen Zelt, wenn draußen ein Sturm tobt?
Nun, das kommt auf die Situation an. Ich war einmal fast drei Wochen lang im Basislager des Mount Everests aufgrund von Schlechtwetter mehr oder weniger im Zelt eingesperrt. Dort kann man sich mit Besuchen bei Nachbarn helfen, einzig die Langeweile ist nervend. Wenn man allerdings drei Tage in einen „Blizzard“ (Schneesturm) gerät und nie weiß, ob das Zelt dem Sturm standhält, ist das schon eine enorme Belastung. Dann ziehen sich die Stunden endlos. Hinzu kommt noch die Kälte! Aber was hilft's? Augen zu und durch. Glücklich, wer viel schlafen kann – und eine Flasche Glenfiddich (Whisky) dabei hat.
Lassen sich Erfahrungen an Achttausendern mit Expeditionen im hohen Norden vergleichen?
Früher haben sich diese Erfahrungen sicherlich leichter vergleichen lassen. Seit die zur Mode gewordenen Achttausender regelrecht gestürmt werden, rückt eine Vergleichbarkeit in immer weitere Ferne. Mehrere hundert Bergsteiger pro Saison am Cho Oyu sind keine Seltenheit mehr. Eine einsame Zeltnacht in der sogenannten „Todeszone“, wie ich sie 2006 an der Shisha Pangma noch verbracht habe, sind rar geworden. Besonders schlimm ist, dass immer mehr „Bergsteiger“ an Achttausendern klettern, aber noch nie zuvor Steigeisen getragen haben. So etwas ist nicht nur leichtsinnig, sondern auch dumm und gefährlich.
Wird der Ruf der Wildnis über die Jahre leiser oder zieht es dich nach wie vor in ungebrochener Stärke hinaus in die Weiten?
Ehrlich gesagt wird es immer schlimmer, der Ruf immer lauter.
Was würdest du all jenen raten, die selbst auf der Suche nach großen Abenteuern sind und Expeditionen im hohen Norden erwägen?
Hinaus mit euch! Das Abenteuer ist noch da – man muss es nur zu finden wissen. Holt euch eure Schrammen, lernt in der Wildnis zu überleben. Genießt das Privileg, auf vielen Quadratkilometern die einzigen Menschen zu sein.
Hast du einen Lieblingsplatz auf der Welt?
Ja. Einen kleinen Arkadenhof in Wolfau im südlichen Burgenland. Dort habe ich alles, was mein Leben lebenswert macht: Ruhe, Entspannung und jede Menge Krempel, den ich weiß Gott von woher mit nach Hause gebracht habe. Damit sind meine Abenteuer auch im Alltag ständig präsent.
Was ist deiner Meinung nach der Kern eines Abenteuers? Was macht eine Unternehmung zum Abenteuer und warum reizt es uns?
Wahrscheinlich liegt der Reiz im Ausbrechen aus einer Welt, die sich von der Natur entfernt hat. Wer weiß heute noch, wie man mit nassem Holz Feuer macht oder bei drohendem Sturm eine schützende Schneehöhle gräbt? Wer solche Sachen beherrscht, lebt in der Wildnis fast so sicher wie in den eigenen vier Wänden. Es ist befriedigend, sich solche Fertigkeiten angeeignet zu haben. Sie sind das Um und Auf einer jeden Abenteuertour.
Gibt es eine Expedition oder ein Abenteuer, das dich besonders – stärker noch als alle anderen Unternehmungen – geprägt hat?
Ja, die Neuroute am Nanga Parbat. 2009 haben Sepp Bachmair, Günther Untherberger, Louis Rousseau, der leider tödlich verunglückte Gerfried Göschl und ich eine neue Route eröffnet, deren Begehung bislang noch nicht wiederholt wurde. Geprägt hat mich dieses Unterfangen, weil ich weiß, dass ich bei so einer wilden Tour nicht mehr dabei sein werde. Tempi Passati.
Buch-Tipp
In seinem jüngst erschienenen Buch erzählt Hans Goger von seinen abenteuerlichen Expeditionen in Alaska und Lappland: Von Solo-Durchquerungen, Wintertouren an der Eismeerküste und Schneeschuhwanderungen im Norden des Denali-Nationalparks.
- von Hans Goger, erschienen 2016 im Schall Verlag.
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