Joachim Ringelnatz: „Ausflug nach Tirol“
Wir geben euch wieder ein Berggedicht mit in die Woche. Diesmal: „Ausflug nach Tirol“ vom Schriftsteller und Kabarettist Joachim Ringelnatz (1883-1934).
Ausflug nach Tirol
„Kann man das Jodeln wohl
In meinem Alter lernen?
Nie war, wie in Tirol,
Ich derart nah den Sternen.
Beliebt auf Bergwelten
Ich sah vom Stripsenjoch
Drüben an steiler Wand
Leute aufs Totenkirchl kraxeln,
Wahrscheinlich Sachseln
Auch beliebt
Aus Hosenträgerland.
Aber kühn und schön war es doch.
Was ich um Hochwürden dann
Später in Sankt Johann
Sang, lebte und sprach in der 'Post',
Schmeckte wie Herz am Rost
Nach ausgegangener Hochtouristenkost.
Alm und Kuhstall, fette Weiden,
Bärenwirt und Sennerin –
Wo ich durchgegangen bin,
Schien mir alles zum Beneiden.
Nur die Wandervögel, die
Einem jede Poesie
Und den Appetit verleiden,
Mocht ich meiden.
Alle Tiroler sind
Keine Amerikaner.
Wäre ich eine Mutter mit Kind,
Ich nährte mein Kind mit Terlaner.
Im Kursalon in Kitzbühel
Das ist des Nachts der Sekt so kühel.
Ich muß die Gäste loben,
Die zur Musik dort oben
So vornehm tanzen und schweigen,
Um ja nicht mehr zu zeigen
Als ihre hochmodernen Garderoben.
Ich möchte ein wilder Gebirgsbach sein,
Klar, schäumend, rauschend und blinkend,
Unaufhaltsam kämpfend von Stein zu Stein
Mich an mir selber betrinkend.
Daß ich ein Kragenknöpfchen verlor,
Kommt schließlich auch einmal anderwärts vor.
Du, mein einziges Tirol,
Lebe wohl! Lebe wohl!“
Joachim Ringelnatz wurde 1883 in Wurzen bei Sachsen geboren und hat sich mit seinem stark humoristisch geprägten Werk verdient gemacht. Sein Leben aber war von vielen Durststrecken und Niederschlägen gekennzeichnet: Sein großer Traum vom Seefahren endete zunächst hoffnungslos verloren im Urwald in Britisch-Honduras. Es folgten Jahre des Hungerns, mit über 30 verschiedenen Nebenberufen hielt sich Ringelnatz mehr schlecht als recht über Wasser.
Immer wieder heuerte er auf Schiffen an, verdiente sich ein Zubrot als Sänger, Bibliothekar und Buchhalter. Nebenbei widmete sich Ringelnatz dem Schreiben. Mit Kriegsbeginn 1914 meldete er sich freiwillig zur Marine, ab 1920 konnte er endlich erste Erfolge mit seinen Auftritten in einem Berliner Kabarett verzeichnen. Als Vortragskünstler reiste er bis nach Paris und London. Doch die Glückssträhne währte nicht lange: Ab 1933 sprachen die Nationalsozialisten ein Auftrittsverbot für Ringelnatz aus. Verarmt und an Tuberkulose erkrankt verstarb Ringelnatz 1934 in Berlin.