Percy Bysshe Shelley: „Mont Blanc“
Auf den Tag genau vor 233 Jahren standen Jacques Balmat und Michel-Gabriel Paccard als erste Menschen am höchsten Berg Europas, dem 4.810 m hohen Mont Blanc. Anlässlich der Erstbesteigung wollen wir euch das Berggedicht vom britischen Schriftsteller Percy Bysshe Shelley (1792-1822) mit dem Titel „Mont Blanc“ nicht vorenthalten.
Mont Blanc
„Dort oben glänzt Mont Blanc: die Kraft, sie ruht,
Die stille hehre Kraft, die manches Bild
Und manchen Laut hat in sich aufgesogen.
In Nächten ohne Mond und dunkel-mild,
Beliebt auf Bergwelten
Im grellen Licht des Tages fällt der Schnee
Auf diesen Berg. Und niemand sieht die Glut
Der Flocken, wenn die Abendsonne sinkt,
Auch nicht den Pfeil des Sternstrahls durch den Schnee.
Auch beliebt
Die Winde kommen stumm herbeigeflogen,
Mit starkem Atem Schnee zu häufen. Dort
Verweilt der stumme Blitz in Einsamkeit
Und Unschuld, und er überlagert weit
Wie Dunst den Schnee. Geheime Kraft der Dinge
Wohnt ganz in dir, sie wirkt im Denken fort,
Und ihr Gesetz beherrscht den Himmel fern.
Was wärst du, was wär Erde, Meer und Stern,
Wenn nicht des Menschen Phantasie empfinge
Die Einsamkeit, des Schweigens Kern.“
Percy Bysshe Shelley
Der 1822 in Südengland geborene Percy Bysshe Shelley hat am Eton College und an der Universität Oxford studiert, ehe er mit seiner Frau Mary Godwin – übrigens der späteren Autorin des Romans „Frankenstein“ – an den Genfersee in die Schweiz zog. 1818 ließ sich das junge Paar in Italien nieder.
Es folgten Aufenthalte in Venedig, Rom und Pisa. Im Juli 1822 verunglückte Shelley bei einer Segeltour an der Küste von Ligurien. Seine Texte gelten seit jeher als radikal. Das Gedicht „Mont Blanc“ entstand am 20. Juli 1816 während eines Aufenthalts bei Chamonix in Frankreich.