Von der Sitte zur Rettung: 100 Jahre Bergwacht Bayern
Foto: T. Vogg/ Bergwacht Grainau
von Sissi Pärsch
Als „Pflanzen- und Sittenwacht“ verstand sich die Bergwacht Bayern, als sie sich vor 100 Jahren gründete. Vieles hat sich verändert, vieles ist jedoch bis zum heutigen Tage gleichgeblieben. Aber was genau macht die Bergwacht und was motiviert die Mitglieder, ehrenamtlich so viel Einsatz zu bringen und Zeit zu opfern? Ein Gespräch über Umweltkatastrophen und gesellschaftliche Verantwortung, über Naturkonsum, Nachwuchsarbeit und Nonnen-Support.
Im Münchner Hofbräuhaus gründen am 14. Juni 1920 Mitglieder von Wander-, Bergsport- und Alpenvereinen eine neue freie Vereinigung – die Bergwacht Bayern. Als primäres Ziel allerdings gilt nicht so sehr der Schutz des Menschen am Berg, sondern vielmehr der Schutz der Natur vor dem Menschen: als „Pflanzen- und Sittenwacht“ will man die Landschaft und die Alpenflora erhalten. Schon vor einem Jahrhundert fürchtet man die Bedrohung des alpinen Lebensraums durch den aufkeimenden Bergtourismus.
Die Natur- und Umweltarbeit ist bis zum heutigen Tag ein wichtiger Aufgabenbereich der Bergwacht Bayern. In erster Linie aber kennt man sie von ihren Einsätzen in unwegsamem, alpinem Gelände. Egal, wo Menschen in Not geraten, die Bergwacht wird gerufen: am Fels wie auf dem Wanderweg, auf der Skipiste wie auf der Langlaufloipe. Es gibt Spezialtrupps für die Canyon- und Höhlenrettung und Fachdienste für die psychosoziale Notfallversorgung. Die Bergwacht sucht, sie rettet und steht bei – und sie schleppt, schaufelt und hilft bei immer mehr Katastrophenfällen. Rund 8.900 Rettungseinsätze kommen so im Jahr zusammen.
24 Stunden, 7 Tage die Woche und das über das ganze Jahr hinweg, leisten die rund 3.500 Frauen und Männer der Bergwacht Bayern Hilfe. Und das komplett ehrenamtlich. Wir wollten von Susanna Merkl – stellvertretende Vorsitzende der Bergwacht Bayern – wissen, was sie motiviert, wo die großen Herausforderungen unserer Zeit liegen und was die Gründerväter sich niemals träumen hätten lassen.
Bergwelten: Susanna, was motiviert Bergwachtler, ehrenamtlich ihre Freizeit zu opfern und manchmal auch das eigene Leben zu riskieren?
Susanna Merkl: Für mich liegt die Motivation darin, der eigenen Heimat etwas zurückzugeben und sie ein Stück weit sicherer zu machen. Natürlich ist es aber auch unser abwechslungsreiches Einsatzgeschehen und das besondere Miteinander innerhalb der Bergwacht. Die gleichzeitig körperliche und rettungstechnische Herausforderung schweißt uns zusammen. Wir sind alle BergretterInnen, aber gleichzeitig auch mit Überzeugung BergsteigerInnen.
Habt Ihr denn ausreichend Nachwuchs oder gestaltet sich das schwierig?
Nachwuchssorgen haben wir keine, gerade in den Hochgebirgsregionen nicht. Wir bieten eine Top-Ausbildung in einem starken Team und die Jungen sind mit Begeisterung dabei. Uns fordert es allerdings heraus, Nachwuchskräfte zu finden, die sowohl im Winter als auch im Sommer gleichermaßen sicher in den Bergen unterwegs sind. Die beste Voraussetzung ist natürlich, wenn man bergaffin ist und bereits selbst viel in den Bergen und im Gelände unterwegs ist. Dann kann man mit der Bergwacht-Ausbildung auf einem soliden Fundament aufbauen und sich auf die bergwachtspezifischen Verfahren und Techniken sowie die fundierte Ausbildung im Bereich der Notfallmedizin konzentrieren – und ist dabei immer an den schönsten Orten in der Natur unterwegs.
Welche Einsätze fordern euch heute besonders?
Die, bei denen es um alles geht – ums Leben. Darüber hinaus fordern uns aber auch immer wieder neue Trendsportarten und der der steigende Alpintourismus. Der freie Raum in den Bergen wird knapper und knapper. Natürlich spüren auch wir die Klimaveränderungen. Bei den Schneemassen in Bayern im letzten Winter waren gleichzeitig sämtliche Ressourcen in drei Regionen im Einsatz. Durch die Häufung von Natur- und Umweltschutz und Katastropheneinsätzen müssen wir erweiterte Ausbildung anbieten und das Risikomanagement und die Schutzausrüstung entsprechend anpassen. Das ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für uns.
Was tut ihr heute, was sich die Urgesteinen vor 100 Jahren niemals träumen hätten lassen?
In erster Linie denkt man natürlich an die Vorteile der Gebirgsluftrettung und der Weiterentwicklung der alpinen Notfallmedizin. Wir versuchen uns derzeit auch mit der TU München unsere geländegängigen Fahrzeuge von Diesel- auf E-Motoren umzustellen. Wir haben auch schon E-Mountainbikes im Einsatz, mit denen wir bei schlechter Witterung schneller im Gelände unterwegs sein können.
Die Berliner Mauer fiel einige Jahre bevor sich die Bergwacht für Frauen öffnete. Das war 1992. Wie sieht es mit der Anerkennung und der Quote von Frauen heute aus?
Inzwischen haben wir schon 14% Frauen, da müssen sich ein paar DAX-Unternehmen noch anstrengen. Das medizinische Können und die sichere Beherrschung aller Alpintechniken sowie die Kenntnis des typischen Einsatzgeländes müssen Frau und Mann gleichermaßen mitbringen. Wir können bei der Bergwacht gut miteinander und wissen auch zu schätzen, dass wir uns in bestimmten Einsätzen und Situationen optimal ergänzen mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten.
Euer Einsatz ist komplett ehrenamtlich. Ihr bekommt Unterstützung vom Staat – speziell bei Arbeitsausfällen, aber primär seid Ihr auch auf Spenden angewiesen.
Ja und wir sind froh, einige tolle Förderer und Sponsoren zu haben. Die Adelholzener Alpenquellen, zum Beispiel, unterstützen uns schon seit Jahren und starten im April erneut mit einer besonderen Aktion zu unserem 100-Jährigen. Von jedem gekauften Kasten Mineralwasser fließen 10 Cent an die Bergwacht. Kaum einer weiß, dass das Unternehmen eine soziale Ausrichtung hat und von der Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul in München geführt wird. Die Einnahmen finanzieren ihre sozialen Einrichtungen – und ein Teil auch uns. Ansonsten gibt es viele kleine private Spender, die vor allem unsere leistungsstarken Bergwachten vor Ort unterstützen.
Susanna, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für eure weitere Arbeit bei der Bergwacht!
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