Die Bude von Tölz
Foto: Elias Holzknecht
Die Speisekarte ist tirolerisch, das Bier bayerisch – und das Wirtspaar erzählt großartige Geschichten über alte Geldsäcke, starrköpfige Prinzessinnen und verirrte Zirkuselefanten.
Mara Simperler für das Bergweltenmagazin Februar 2017
Eben 1 ist eine exklusive Adresse. Ein großes Haus mit Balkon, Blick auf die Gipfel des Karwendels und 13 Schlafzimmern. Eine Villa ist es
trotzdem nicht, denn das Haus hat nicht einmal ein Bad. Dafür gibt es im Umkreis von vier Kilometern auch keine Nachbarn, denn auf Eben 1 steht eine klassische Berghütte, die Tölzer Hütte. Das steinerne Haus blickt auf eine bald hundertjährige Geschichte zurück, in der auch eine belgische Prinzessin, Säcke voll Geld und ein Zirkuselefant eine Rolle spielen.
Aber das kann warten. Jetzt zählt einzig und allein ein halber Liter Holundersaft. „Ich kümmere mich ums Essen, aber Michael hat die wichtigere Aufgabe: Er ist für die Getränke zuständig“, lacht Hüttenwirtin Margot Lickert. Zur Tölzer Hütte führen viele Wege, keiner davon ist unanstrengend. Dementsprechend ernst nimmt Michael seine Aufgabe: „Das Schlimmste, was auf einer Hütte geschehen kann, ist, dass das Bier ausgeht. Und das ist uns in neun Jahren noch nie passiert.“
Gott, Tirol, Bayern
Michael Bubeck und Margot Lickert bewirtschaften die Hütte seit 2008. Wer so lange bleibt, fühlt sich hier oben sichtlich wohl. Die Tölzer Hütte macht einem das aber auch ziemlich leicht. Sie steht auf einem Plateau unterhalb des Schafreuters.
„Da siehst du bei gutem Wetter alles, was Rang und Namen hat“, sagt Michael. Rang und Namen haben Großglockner, Großvenediger und die Zugspitze. Der Schafreuter ist aber auch ein Grenzberg. Auf dem Gipfel stehen zwei Metalltafeln. „Gott segne Tirol“ liest man auf der einen, „Gott segne Bayern“ auf der anderen. Die Tölzer Hütte steht auf Tiroler Boden wird aber vom Deutschen Alpenverein betrieben. Und auch die Gäste sind großteils aus Deutschland.
Das liegt daran, dass beinahe alle Zustiege in Bayern beginnen. Selbst das kleine Tal Hinterriß, aus dem der einzige Tiroler Zustieg startet, ist von der geografischen Heimat durch hohe Berge getrennt. Außer den 40 Hinterrißern und Hinterrißerinnen müssen alle Österreicher erst über die Grenze nach Bayern, um hinaufzukommen. Michael und Margot nehmen als Schwaben eine Vermittlerrolle ein: Die Speisekarte ist ein Zugeständnis an Tirol (Speckknödel und Palatschinken), das Bier natürlich bayerisch (Hacker-Pschorr aus München).
So ein Bier zapft sich jetzt Michael, setzt sich an den langen Tisch im Panoramazimmer und erzählt, wie die Tölzer Hütte eigentlich fast gar nicht gebaut worden wäre. Während am Berg der Grundstein gelegt wurde, brach nämlich im Tal die Wirtschaft zusammen. Anfang der 1920er-Jahre herrschte in Deutschland eine Hyperinflation. Erst trugen die Menschen Säcke voll Geld nach Hause, dann hatten die Geldscheine zwölf Nullen. „Es war furchtbar schwierig, die Bauarbeiter auszuzahlen. Erhielten sie hier oben ihren Lohn, war das Geld schon nichts mehr wert, wenn sie im Tal ankamen, um es auszugeben“, sagt Michael.
Dass die Hütte dennoch fertig wurde, ist der beherzten Hilfe der Tölzer Alpenvereinsmitglieder zu verdanken. Diese müssen zwar heutzutage nicht mehr Steine schleppen, dafür aber eine ordentliche Menge an Knödeln rollen – zumindest muss das Toni Glasl, wenn er auf der Hütte aushilft. Der 20-Jährige kommt aus einer Alpenvereins-Familie, Vater Wegewart, Mutter im Vorstand, er selbst Leiter einer Jugendgruppe – und im Kopf schon fast selber ein Hüttenwirt: „Das wollte ich werden, seit ich vier Jahre alt war.“ Knödel rollen gehört da dazu, vor allem bei einer Hütte, die für ihr hausgemachtes einschlägiges Angebot berühmt ist: Rund 8.000 Spinat-, Speck- und Käseknödel essen die Gäste der Tölzer Hütte jede Saison.
Eine falsche Familie
„Wenn der Toni da ist, glauben viele Gäste, wir seien ein Familienbetrieb“, lacht Michael. „Das passt ins Klischee: urige Hütte, Kühe rundherum und eine Familie, die gemeinsam arbeitet. Ganz wollen wir den Leuten ihre Illusion nicht nehmen.“ Weil man sich in einer Familie gut kennt, weiß Toni nicht nur, wie man Margot auf die Palme bringt, sondern auch, wie man ihr eine besondere Freude macht: indem man nämlich eine Thermoskanne mit Schokoladeneis in die Materialseilbahn im Tal legt und dann die süße Köstlichkeit hinaufschickt.
Das wäre vielleicht heute nicht möglich, hätte Prinzessin Liliane von Belgien seinerzeit ihren Kopf durchgesetzt. Bis 1970 die Materialseilbahn zur Hütte gebaut wurde, musste nämlich alles, was auf die Tölzer Hütte sollte, mit Maultieren hinauftransportiert werden. In einem Gelände, wo der kürzeste Zustieg zweieinhalb Stunden dauert, kein einfaches Unterfangen.
Lange hatte sich die belgische Hoheit, damals Jagdpächterin des Gebiets, gegen die Errichtung einer Seilbahn quergelegt. Es bedurfte sieben Jahre des Bittbriefeverfassens, der Pressekampagnen und vieler persönlicher Unterredungen – mit dem belgischen König, der bayerischen Staatskanzlei, dem Auswärtigen Amt in Bonn, Bürgermeistern, Anwälten und Obersthofmeistern –, bis die Prinzessin nachgab. Zum Glück. Auch der Ausbau der Hütte in den 1970er-Jahren wäre ohne Seilbahn wesentlich schwieriger gewesen.
Ein Tipp darf an dieser Stelle nicht fehlen – der für die schönsten Zimmer nämlich. Das sind weder die Präsidentensuite noch das alte Damenlager, in dem in dieser Nacht ausschließlich Herren schlafen, sondern die Zweierlager – ja, Lager – vor dem Balkon im Obergeschoß. Das einzige Doppelbett steht nämlich im Zimmer der Wirtsleute, und so muss man im Stockbett entweder von der Romantik Abstand nehmen oder sehr eng kuscheln.
Die schönste Aussicht von der Tölzer Hütte hat man – abgesehen von der Terrasse – vom Panoramazimmer aus. Und das schönste Platzerl in der schönsten Gaststube ist der kleine Tisch links hinten im Eck. Dort, wo die untergehende Sonne am längsten den Rücken wärmt, neben dem grün-weißen Kachelofen. Der wird auch im Sommer hin und wieder eingeheizt, sagt Margot: „Es schneit sicher einmal im Monat, außer im August.“
Wenn die Sonne hinter den Karwendelzacken verschwunden ist und das orangefarbene Licht auf den steinernen Hängen verblasst, ist es Zeit, die Geschichte vom Elefanten zu erzählen, bevor es ins Lager geht. Die hat jedoch nichts mit Hannibal zu tun, der die Alpen viel weiter südlich querte. Diese Gutenachtgeschichte spielt in den 1950er-Jahren und handelt von einem Filmelefanten, der Bergelefant sein wollte.
Als eine amerikanische Filmgesellschaft eine Zirkusgeschichte im Tal drehte, büxte der Dickhäuter eines Nachts aus und wanderte los – in die Berge. Man fand ihn Tage später; wohin er wollte, war nicht ganz klar. In der Gaststube hängt jedenfalls eine Schwarz-Weiß-Fotografie vom Elefanten. Darauf steht er neben einem Wegweiser zur Tölzer Hütte.
Infos zur Hütte und Touren in der Umgebung:
Tölzer Hütte
Über die Tölzer Hütte auf den Schafreuter
Wanderung zur Tölzer Hütte von Rissbach
Die Tölzer Hütte ist aber auch bekannt für ihre Knödel. Hüttenwirtin Margot verrät ihre berühmten Rezepte.
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