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Die Nossbergerhütte

Regionen

5 Min.

08.09.2021

Foto: Sam Strauss

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Die Nossbergerhütte liegt idyllisch am Gradensee im Nationalpark Hohe Tauern, auf fast 2.500 Meter Höhe, Stunden Fußmarsch vom Rest der Welt entfernt. Das schafft ein ganz spezielles Hoch-Gefühl, auch wenn man sich von liebgewonnenen Selbstverständlichkeiten verabschieden muss.

Andreas Wollinger für das Bergweltenmagazin April/Mai 2019

Wer – mit der Hütte im Rücken – das Gradental hinunterblickt, hat ein traumhaftes Bild vor sich; traumhaft im engeren Sinn: beeindruckend, aber auch ein bissl unwirklich. Imposante Felsformationen, einst von einem Gletscher über Jahrtausende glatt geschmirgelt und zu einem Trogtal geformt, durchsetzt vom Grün von Moos und Gras.

Man hört einen Wildbach rauschen, ein Karsee schimmert unten türkis im Sonnenlicht. Die Adolf-Nossberger-Hütte, liebevoll Nossi genannt, steht auf 2.488 Meter Seehöhe mitten unter Dutzenden Dreitausendern der Schobergruppe. Diese erstreckt sich vom Osttiroler Iseltal bis zum Kärntner Mölltal und gilt als eines der wildesten Berggebiete Österreichs.

Zufällig verirrt sich hierher bestimmt niemand. Das liegt vor allem daran, dass die Verbindung zur zivilisierten Welt eher eingeschränkt ist. Der direkte Weg aus dem Tal zur Nossi kann durchaus als beschwerlich bezeichnet werden. Er beginnt bei einem Parkplatz auf 1.600 Meter Seehöhe, bei dem auch die letzten Häuser zu sehen sind.

Auf 2.000 Metern erreicht man die Baumgrenze, überschreitet ein idyllisches Moos, auf dem Kühe und Pferde grasen, bevor sich eine Steilstufe vor einem aufbaut. Dort hinauf schlängelt sich der als „mittelschwierig“ klassifizierte Zustieg: kaum mehr als hüftbreit, steil und steinig.

Da gewinnen die Begriffe „trittsicher“ und „schwindelfrei“ – für den Flachländer weitgehend ohne Bedeutung – plötzlich dramatisch an Gewicht. Je nach körperlicher Verfassung dauert der Aufstieg zwei bis drei Stunden. Der andere Pfad, der zu der Hütte mit der einladenden Fassade aus Lärchenschindeln führt, ist der Wiener Höhenweg. Er führt in vier bis fünf Tagesetappen vom Iselsberg – dem Gebirgspass zwischen Lienz in Osttirol und Winklern in Kärnten – über die Schobergruppe zum Glocknerhaus bei Heiligenblut.

Wobei „Wiener Höhenweg“ gemütlicher klingt, als die Tour tatsächlich ist: Durchwegs als „schwierig“ eingestuft, fordert sie den erfahrenen Bergsteiger mit guter Ausrüstung. Hüttenwirt Christian Krüger ist das ganz recht. „Ich mag das nicht, wenn zu einer Hütte Straßen führen oder eine Seilbahn“, sagt er mit lupenreinem Osttiroler Akzent. „Da hat man einfach andere Gäste als in Hütten, wo auch Halbschuhtouristen hinkönnen.“

Auf der Nossi sind Bergsteiger unter sich. Die 1931 eröffnete Hütte ist wie ein Außenposten, der bewusst Abstand hält zum Rest der Welt. Und vermutlich gibt es niemanden, der als Wirt besser an diesen Ort passt als Christian Krüger. Ist er doch so etwas wie der geborene Freigeist.

Seine Geschichte beginnt mit einer Überraschung: Der Mann mit der markanten Osttiroler Aussprache hat nämlich einen Kölner Vater und eine amerikanische Mutter aus Hoboken, New Jersey. Der heute 36-Jährige kam um die Jahrtausendwende der Liebe wegen nach Lienz und blieb. 

Er lernte in einem Vier-Sterne-Hotel Koch und übte diesen Beruf sieben Jahre in der Großküche einer Supermarktkette aus. Aus heutiger Sicht war es die Hölle. Noch bevor er dreißig wurde, schlitterte Christian prompt in eine Lebenskrise. „Ich hab dann alles hingeschmissen“, erinnert er sich heute, „den Job, die Wohnung und das geregelte Leben. 

Und dann war ich einfach einmal in den Bergen unterwegs. Hab im Zelt geschlafen. Keine Verpflichtungen mehr! Das war so meine Idee von Freiheit.“ Irgendwann half er dann bei seinem Freund Harry in der Küche der Hochschoberhütte aus und lernte so das Hüttenleben kennen und lieben.

Als der Alpenverein dann vor fünf Jahren einen neuen Pächter für die Nossbergerhütte suchte, griff Christian Krüger entschlossen zu. Seither ist er sein eigener Chef im Gradental, von Mitte Juni bis September. Er hat diesen Schritt keine Sekunde bereut. Auch deshalb, weil er im Winter die totale Freiheit genießt: Nach der Saison begibt er sich mit seinen beiden Schäferhunden und Freunden per VW-Bus auf Abenteuerreise, am liebsten nach Skandinavien.

Doch jetzt genießt er den zweiten Teil seiner neuen Freiheit am Ende des Gradentales im Nationalpark Hohe Tauern. Die Begeisterung, mit der Christian hier arbeitet, ist nicht zu übersehen. So hat er nahe der Hütte ein „finnisches Badefass“ aufgebaut, eine Art  Riesenbadewanne, deren Wasser ein Holzofen auf wohlige Temperaturen bringt. 

Man kann sich Kanus für eine Rundfahrt auf dem hinterm Haus gelegenen Gletschersee ausborgen, und erst im Frühling vor zwei Jahren hat Christian mit seinen beiden Saisonhilfen Uschi und Peppi eine neue, große Sonnenterrasse gebaut, über der dekorativ bunte Gebetsfahnen aus dem Himalaya im Wind flattern.

Aus der 15 Quadratmeter großen Küche kommen Köstlichkeiten (Schweinsbraten aus dem Ofen! Chili! Schokoküchlein mit Vanilleeis!), die man aufgrund der Abgeschiedenheit und der Versorgungslage kaum erwartet hätte – ebenso wenig wie die respektable Weinauswahl.

Außerdem setzt Christian selbst Schnaps an – etwa eine grandiose Zirbe, die in einem großen Glasballon auf Genießer wartet. Und er bäckt Torten sowie täglich frisches Brot. Letzteres freilich ist keine Frage der Ambition, sondern eine Notwendigkeit. 

Denn das Hochgebirge mag das Gefühl von Freiheit schenken, umgekehrt muss man sich von gewohnten Selbstverständlichkeiten verabschieden. Schnell einmal um die Ecke einkaufen gehen? Ist nicht. Duschen zur täglichen Körperreinigung? Wäre wegen des Energieverbrauchs nicht zu verantworten.

Es gibt eine Freidusche für alle, Punkt. Und wenn einer bei der Uschi mit einer leeren Getränkedose ankommt und fragt, wo denn der Mistkübel sei, dann bekommt er die leicht sarkastische Auskunft: „Wir haben keine Mistkübel. Wir haben nur den Hubschrauber.“ Und der bedient die Hütte einmal pro Saison und muss dafür ein gutes Dutzend Mal hin- und herfliegen, um die Vorräte heraufzuschaffen, 12 bis 15 Tonnen – Lebensmittel, Brennholz, Gasflaschen.


Erste Runden von der Zirbe

Einmal pro Woche geht Christian Krüger hinunter ins Tal, um frische Ware – Obst, Gemüse, Fleisch – einzukaufen und kehrt mit einem randvollen 25-Kilo-Rucksack wieder zurück. 35.000 Höhenmeter pro Saison kommen so schon zusammen.

Ab Mitte August wird das Angebot auf der Karte zunehmend kleiner, „weil ich ja bis zum Saisonende alles aufbrauchen muss.“ Diese Berechnungen sind durchaus knifflig, und wenn sie falsch sind, kann das ziemlich wehtun. „In der zweiten Saison“, erzählt der Hüttenwirt mit dem Körper eines Triathleten, „bin ich zehnmal mit 50-Kilo-Rucksäcken hinuntergegangen.“

Und was macht Christian Krüger, wenn er einmal krank wird? „Dann schau ich“, sagt er lachend, „dass ich schnell wieder gesund werd.“ Es ist inzwischen kurz vor sechs Uhr abends. Die einzige, zwei Stunden lange Pause des Tages ist gleich vorbei. Christian wird wieder in der Küche gebraucht. 

Gut 40 Wanderer haben nach und nach die Nossbergerhütte erreicht und warten jetzt in der molligen Behaglichkeit des Gastraumes auf das Abendessen. Entspannte Fachgespräche, glückliche Augen, erste Runden von der Zirbe. Später, wenn sie mit dem Kochen fertig sind, werden Christian und Peppi noch ihre Gäste unterhalten; auch das, sagt Christian, gehört zu seinem Service. 

Der Höhepunkt des Abends ist erreicht, wenn Peppi die Gitarre von der Wand nimmt und das Original-Brotrezept der Nossi singt, das ihm der Christian am Anfang der Saison in den Notizblock diktiert hat.


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