Die Südwiener Hütte - Die Abenteuer einer alten Lady
Foto: Matthias Fritzenwallner
von Mara Simperler
Seit 92 Jahren steht die Südwiener Hütte auf einem sonnigen Hochplateau der Radstädter Tauern in Salzburg. Hinauf kommt man nur zu Fuß, runter geht es über eine rasante Rodelbahn.
Mara Simpler für das Bergweltenmagazin Dezember/Jänner 2019/20
Die Geschichte davon, wie die Wirte auf der Südwiener Hütte landeten, beginnt mit zwei kaputten Schultern.
Es gibt Dinge, die jedes Mal aufs Neue ihre ursprüngliche Faszination ausüben, egal wie oft man sie erlebt. Dazu gehören Sonnenuntergänge (als Beweis muss man bloß seine Urlaubsfotos durchschauen), ein gewaltiger Sternenhimmel (schon weit weniger oft bildlich festgehalten) und frisch gefallener Schnee. Eine Kombination aus allen drei Elementen ist also so etwas wie ein sensorischer Superjackpot, und den knackt man mit einem Wochenende auf der Südwiener Hütte in Salzburg.
Die Südwiener Hütte liegt auf einem kleinen Plateau unterhalb von Obertauern auf 1.802 Meter Seehöhe. Wer zu ihr hinaufwill, hat nur eine Möglichkeit: aus eigener Kraft. Wer nicht auf Tourenski querfeldein stapft, begegnet schon beim Aufstieg immer wieder glücklichen Menschen, die gerade den umgekehrten Weg genießen, nämlich auf der fünf Kilometer langen Rodelbahn talwärts Richtung Gnadenalm. Und während man bergauf trotz winterlicher Temperaturen bald ins Schwitzen kommt, hört man das Jauchzen und Kreischen der Rodler, bis man nach eineinhalb Stunden Aufstieg endlich selbst vor der Schutzhütte steht.
Mit ihren rot-weißen Fensterläden, dem verwitterten Holz und den bunten tibetischen Gebetsfahnen an der Außenmauer liegt sie einladend in der verschneiten Gebirgslandschaft der Radstädter Tauern. Rund um die Hütte ist der Schnee zerfurcht von den Spuren der Wintersportler und Wintersportlerinnen, doch wenn der Blick weiterschweift, streift er unverspurte Kuppen und Hänge. An der südseitigen Hauswand sitzen die Sonnenanbeter aufgefädelt wie an einer Schnur und strecken ihre Gesichter mit geschlossenen Augen gen Himmel.
Und rechts neben der Eingangstür sitzen Robert und Tanja Scharler und gönnen sich eine kurze Pause. Der späte Nachmittag gehört – zumindest wenn wenig los ist – den Hüttenwirten.
Die Geschichte davon, wie beide auf der Südwiener Hütte landeten, beginnt mit zwei kaputten Schultern. Wären Robert und Tanja im Jahr 2014 nicht zur selben Zeit in der Universitätsklinik Innsbruck operiert worden und hätte man Robert bei einer Kontrolle nicht wieder heimgeschickt, weil zu viele Menschen im Wartezimmer saßen, wäre er am nächsten Tag nicht wiedergekommen. Dann hätte er Tanja nicht wiedergesehen, die ihm schon zwei Wochen zuvor, vor seiner OP, gefallen hatte.
Und dann hätten die beiden wohl nicht ein Jahr später geheiratet und 2016 in einer Hauruck-Aktion die Südwiener Hütte übernommen. Das ist die Kurzversion der Geschichte.
„Das ist alles relativ schnell gegangen“, sagt der Robert. Und die Tanja ergänzt: „Da siehst, was ich mit dir mitmache.“ Aber sie sagt es mit einem Lachen und mit einem Seitenblick, in dem man auch sechs Jahre nach dem Kennenlernen noch die Verliebtheit spürt. „Es war ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt sie. „So eine richtige Vorstellung vom Leben als Hüttenwirtin habe ich nicht gehabt.“
So wie Tanja auf der Südwiener Hütte mit Leidenschaft neue Rezepte ausprobiert und wie sie den Gästen mit genau der richtigen Mischung aus Humor und Bestimmtheit begegnet, kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, dass sie jemals etwas anderes gemacht hat. Robert ist in diesem Gespann eher der ruhige Part. Er ist der Tourenempfehler – und überdies der Hüttendoktor; als Tischlermeister hat er die Wehwehchen des Hauses mit sanfter Hand Stück für Stück ausgebessert.
Denn zu tun ist immer was. „Die Hütte ist eine alte Lady, dieses Jahr ist sie 92 Jahre alt geworden, sie quietscht und pfeift. Aber das darf sie, das tun wir auch mit 92 Jahren“, sagt Tanja liebevoll.
Entsprechend heimelig sind die Zimmer, mit rot karierten Kopfpolstern auf den Betten, holzvertäfelten Wänden und winzigen Fenstern. Bloß in die Küche mit dem traditionellen Holzofen hat Tanja auch ein Stück moderne Gastronomie geholt: einen Hochleistungsdampfgarer für ihre berühmten Spinatknödel – und für die Momos, die es dank der nepalesischen Angestellten auf der Südwiener Hütte gibt.
Lebendige Geschichte
Die Chronologie einer bewegten Geschichte kann man in den vielen Hüttenbüchern nachlesen, die Tanja abends in der Gaststube mit einem Rumms auf den Tisch wuchtet. „Ich bin einmal sieben Stunden am Stück in der Ecke gesessen und hab alle Bücher durchgeblättert“, erzählt sie, während man durch die Fenster beobachten kann, wie das letzte Tageslicht die Lungauer Kalkspitze zartrosa färbt.
Aus den wenigen Stichworten der Einträge kann man vieles herauslesen, etwa dass schon bei der Einweihungsfeier im August 1928 die Gäste nicht nur aus dem nahe gelegenen Untertauern kamen, sondern auch aus Wien, Graz und Linz. Oder dass sich ab dem Jahr 1939 immer mehr Mitglieder nationalsozialistischer Verbände im Hüttenbuch eintrugen.
„Das ist lebendige Geschichte“, sagt Tanja. „Die Soldaten mussten in den Bergen den Umgang mit Sprengstoff lernen. In den Büchern findet man Berichte über Glycerin-Lieferungen.“ Das mit der lebendigen Geschichte ist nicht nur so dahergesagt. Als Tanja und Robert die Südwiener Hütte übernahmen, räumten sie den Dachboden aus. Sie fanden auch unmarkierte Fässer. „Der damalige Hüttenwart ist mit denen nichts ahnend zum Wertstoffhof getuckert. Kaum, dass er reingefahren ist, waren schon Polizei und Feuerwehr da, denn in den Fässern war das Glycerin aus dem Zweiten Weltkrieg“, erzählt Tanja.
„Die Fässer waren all die Jahre direkt unter dem Dach. Allein der Gedanke ...“ Sie schüttelt nachdenklich den Kopf.
Der Duft von Nelken
Als die Nacht hereingebrochen ist, hievt Robert einen gusseisernen Topf mit Glühwein nach draußen – unter den mit Sternen übersäten Himmel. Rund ums Lagerfeuer verbreitet der süße Wein einen Geruch von Orangen und Nelken und sorgt dafür, dass niemand in die Gaststube zurückkehren möchte. Hier ist der Ort, an den von den abendlichen Tourengehern Neuigkeiten aus dem Tal auf den Berg gebracht werden: Wer ein Hotel übernommen hat, wer ein Kind bekommt, wie die Schneeverhältnisse sind. An solchen Abenden drücken Tanja und Robert ein Auge zu, wenn es um die Hüttenruhe geht.
Am nächsten Morgen blinzeln die beiden entsprechend verschlafen in die Sonne, wieder an ihrem Lieblingstisch vor der Hütte, mit dampfenden Kaffeetassen vor sich. Unter dem Tisch streicht Minka, die Hüttenkatze, um die Beine. „Früher habe ich in den Bergen vieles gar nicht wahrgenommen, weil ich immer aus der Hektik gekommen bin“, sinniert Robert. „Wenn ich jetzt meine Skitouren gehe, komme ich ja schon vom Hüttenleben in die Natur, da kann ich das alles viel besser aufnehmen.“
Wer auch nur eine Nacht bei Robert und Tanja verbringt, fühlt sich beim Abschied, als würde er alten Freunden Lebewohl sagen. Nur eines macht ihn leichter: die Aussicht, den Abstieg auf einer der Rodeln zu bestreiten, die vor der Hütte im Schnee stecken. Der erste steile Schwung, zwei Kurven, und schon liegt die Südwiener Hütte hinter uns.
Sie wartet auf die Nächsten, die kommen werden, um Schnee, Sonnenuntergänge und den Sternenhimmel zu erleben.
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