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Winterwandern für wüde Hund'

Regionen

6 Min.

17.12.2021

Foto: Philipp Schönauer

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Wir hielten Ramsau am Dachstein für ein Langlaufparadies und Radfahren für einen Sommersport. Dann lernten wir den Ramsauer Fatbike-Guide Michael Stix kennen.

Am Parkplatz vor dem Gasthof Edelbrunn hat es Fatbike-Guide Michael Stix angekündigt: „Ihr werdet Ramsau am Dachstein aus einer ganz neuen Perspektive kennenlernen.“ 200 Meter später, in der dritten Kurve des verschneiten Wiesen-Trails, müssen wir ihm schon recht geben. Zwei von uns liegen im Pulverschnee und genießen eine ganz neue Perspektive, den unverstellten Blick hinauf in den klaren, blauen Winterhimmel.

Links schwebt eine Kumuluswolke, rechts oben flattert ein Eichelhäher ins Bild. Man sollte viel öfter in den Himmel schauen. „Alles okay?“, fragt Michael und beugt sich zu uns herunter. „Bestens“, sagen wir. Wir haben die zweite Lektion des Winterbikens gelernt: Wenn Schnee liegt, tun Stürze nicht weh. Die erste Lektion des Winterbikens wurde schon vorher im Auto durchgenommen.

Sie lautet: Wer sein Bike im Herbst in den Keller stellt, verpasst eine der vier schönsten Jahreszeiten, die es gibt. Selbst Michael Stix, der passionierte Mountainbiker, Rennradler und Enduro-Fahrer, hat das Radfahren bis vor kurzem versehentlich für eine Frühlings-, Herbst- und Sommersportart gehalten – „bis ich“, sagt er, „2014 bei der Fahrradmesse in  Friedrichshafen die Fatbikes entdeckt habe“.

Fatbikes, das sind Mountainbikes mit Spezialauftrag: leichte Hardtails ohne Federgabel, dafür mit vier bis fünf Zoll breiten Reifen, die auf nur 0,5 Bar aufgepumpt werden – maßgeschneidert für weichen Untergrund und damit perfekt geeignet für das Cruisen und Freeriden auf Schnee. „Ich wusste sofort: Das wird mein neues Winter-Spielzeug“, sagt er. Doch Michael Stix ist nicht nur passionierter Biker, er ist auch ein gewiefter Geschäftsmann.

Bis zum Start der Wintersaison hatte er zwei Kooperationspartner an Bord: einen Ausrüster, der ihm zehn Fatbikes zur Verfügung stellte; und einen Tourismusverband, der in der Trendsportart Potenzial sieht. „Ramsau“, sagt der gebürtige Mostviertler Stix, „war für meine Pläne ideal.“ Das Hochplateau auf der steirischen Seite des Dachsteins ist schneesicher und sonnenverwöhnt. 

Die Routen sind von Winterwanderern ausgetreten oder für Skifahrer, Langläufer und Pferdeschlitten präpariert. Und die Labestationen sind so zahlreich, dass die meisten Biker mit gefüllteren Kohlehydratspeichern heimkommen, als sie aufgebrochen sind. „Die erste Saison war schwierig, weil schneearm“, sagt Michael Stix, „aber dann ist die Nachfrage explodiert.“ 2017/18 war er jeden Tag von November bis März als Bike-Guide mit geführten Gruppen unterwegs.

Als Michael Stix unsere Bikes startklar macht, sind wir noch immer nicht ganz überzeugt. Es hat zweistellige Minusgrade, unsere letzte Trainingseinheit am Bike liegt drei Monate zurück. Und diese dicken Reifen – bekommt man die überhaupt von der Stelle? Dann drehen wir auf unseren Leihrädern eine erste, skeptische Runde um das Ramsauer Langlaufstadion. Die Fatbikes reißen an wie junge Schlittenhunde, ihr Handling ist idiotensicher, das Knirschen der Reifen am Schnee macht auf der Stelle süchtig.

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Zurück beim Shop grinsen wir dümmlich wie nach einer Runde Ramsauer Vogelbeerschnaps. Michael Stix ist ein zurückhaltender Typ, aber jetzt klopft er uns lachend auf die Schultern. „Ich hab’s euch ja gesagt“, kommentiert er. Einen Shuttle-Transfer später geht es richtig los. Von der 1.750 Meter hoch gelegenen Türlwandhütte rollen wir über präparierte Skiwege downhill, zwischendurch halten uns die Gegensteigungen der leicht welligen Wald-Trails warm. 

Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel, wir lassen die Brandalm links liegen, registrieren über ihrem Giebel das fast kitschig schöne Dreigestirn von Torstein, Mitterspitz und Dachstein. In der Ferne rutschen ein paar bunte Ameisen einen Berg hinunter, das müssen die Skifahrer auf der Reiteralm sein. Bergab überholen wir Rodler und Skifamilien. Am Ende des knackigen Downhills zischt es, wenn Schnee auf unsere heißen Scheibenbremsen spritzt. Trotzdem fühlen wir uns so entschleunigt wie schon lange nicht mehr.


Gamswurst und Schnapstee

Die eine Sache, die man beim Fatbiken wirklich sehr ernst nehmen sollte, ist: das Fatbiken nicht zu ernst zu nehmen. Darum sitzen wir am nächsten Vormittag erst einmal lange mit dem Bike-Koordinator Georg Knaus am Stammtisch der Jausenstation Ederhof. Wir stärken uns mit selbst gemachter Gamswurst für den Tag im Sattel, denn wir werden heute viel Energie brauchen: zum Gegend-Anschauen, zum Selfies-Machen, zum Blöd-Reden. Aber eher nicht zum Aufstellen neuer Rekorde auf der Tracking-App.

„Beim Fatbiken geht es nicht ums Auspowern, sondern um den Flow“, sagt Georg Knaus. „Zwischendurch darf man auch einmal einkehren und einen Schnapstee trinken.“ Selbst Leistungssportler würden das so machen: „Ich kenne viele, die an ihren aktiven Erholungstagen aufs Fatbike steigen – zum Beispiel Langläufer oder die Triathleten, die im Ramsauer Hallenbad trainieren.“

Für die weniger Ehrgeizigen ist das Fatbiken eine coole Alternative zum Winterwandern, bei der man viel Gegend sieht, ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Diese Aussicht hat auch Carolin Lang bewogen, uns heute zu begleiten. Die Hobbyfotografin aus Schladming bekommt gerade ihre ersten Motive vor die Linse: Vorm Haus schickt soeben Ederhof-Wirtin Christine Pitzer den ersten Pferdeschlitten des Tages hinaus auf den präparierten Wanderweg.

Wir werden heute noch vielen dieser Ramsauer Wahrzeichen begegnen. Rund vierzig Gespanne sind hier an jedem Wintertag unterwegs. Sie sind eine Reminiszenz an die vielleicht gar nicht so gute alte Zeit, als die Hofarbeit am Hochplateau nur mit Haflingern bewältigt werden konnte. Eine zweite Gruppe wartet bereits auf die Abfahrt ihres Schlittens, als wir uns in voller Montur auf die Bikes schwingen. 

Wieder müssen wir viele Fragen beantworten, die wir schon am Vortag ein paarmal gehört haben: 
„Sind das Spikes?“ („Nein.“) 
„Kann man die Räder mieten?“ („Ja.“)
„Wie fährt sich das?“ („Geil.“)
Daraufhin werden wir mit anerkennendem Kopfnicken entlassen. „Ihr seids ja vielleicht wüde Hund’“, heißt es. Das mag zwar nicht ganz zutreffen, hört sich aber zweifellos gut an. 

Und vielleicht haben wir ja gerade das Reizvollste am Fatbiken erkannt: Es ist die mit Abstand gemütlichste Art, zu einem wüden Hund zu werden. Am Rittisbergweg stellen sich uns wenig später ein paar harmlose Rampen in den Weg. Dort keuchen wir ein bisschen lauter, als das wüde Hund’ unseres Kalibers sollten. 

Carolin Lang, die heute zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Fatbike sitzt, ist nur noch ein kleiner Punkt weit vor uns. Sie hat sich – frei von männlichen Imponierbedürfnissen – für eines von Michael Stix’ E-Fatbikes entschieden und lässt uns jetzt für unsere Eitelkeit bezahlen.


Zur Kohlenhydrat-Tankstelle

Als wir oben auf der Kuppe angejapst kommen, macht sie schon Fotos für ihren Instagram-Account: Am Wegrand steht nämlich ein besonders schönes Exemplar jener ortstypischen Ahornbäume, deren Laub die Ramsauer Bauern früher als Streu für ihre Ställe verwendet haben. Die niedrige Sonne blinzelt durch die Zweige und wärmt uns trotz der klirrenden, trockenen Kälte wie ein Schwedenofen.

Bis zum Ziel unserer Vormittagstour, der Halseralm, erfahren wir noch ein paarmal, was für lässige Burschen wir sind. „... und Mädchen!“, schreit uns eine Langläuferin ergänzend nach. Das Fatbike, so viel ist uns klar geworden, muss im Gegensatz zum Mountainbike einen Sympathie-Magnet eingebaut haben. Kein Wanderer keppelt, an jeder Kurve freundliche Gesichter und winkende Fäustlinge.

Am südlichsten Hang des Rittisbergs angekommen, lehnen wir unsere Bikes an die Mauern des 400 Jahre alten Stalls der Halseralm und quetschen uns zwischen Langläufer und Wanderer auf die Ofenbank. In der winzigen Stube duftet es nach Holz, frischem Teig und Zwetschkenkompott. Natürlich bestellen wir das Gleiche wie alle, die hierherkommen: Elfi Leutgabs Kaiserschmarrn, angeblich der beste der Steiermark. 

Sie bereitet ihn direkt vor unseren Augen aus Milch, Eiern, Mehl und Butterschmalz zu, bäckt ihn am einhundert Jahre alten Herd heraus und flambiert ihn am Tisch. Vielleicht sind wir hungrig und voller Endorphine, aber Elfi Leutgabs Kaiserschmarrn ist für uns heute nicht der beste der Steiermark. Er ist der beste der Welt.


Skifahren gehen wir dann im Sommer

Nachdem wir Kohlenhydrate für sieben weitere Fatbike-Stunden getankt haben, geben wir am halbstündigen Heimweg Vollgas. Es schneit jetzt leicht, und ringsum ist es noch stiller geworden. Die Räder rollen so willig, als wäre Carolins E-Bike mit unseren vertauscht worden. Scheint so, als hätten wir eine neue Lieblingswintersportart gefunden. Aber passt schon: Am Gletscher des Dachsteins wird ja dann auch noch im Sommer genug Zeit sein fürs Langlaufen, Skifahren und Snowboarden.

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