Gravelbiken in Tirol
Foto: Sam Strauss
von Katharina Brunnauer-Lehner
In der Stadt zur Arbeit, im Flachland auf großer Tour oder in den Bergen Höhenmeter spulen: Mit Gravelbikes geht angeblich alles. Wir testen sie auf den Schotterwegen der Kitzbüheler Alpen.
Sanfte Pfade durch Wälder und über Wurzeln. Schmale Gratwege, mit Stahlseilen versichert. Die asphaltierte Passstraße mit der spektakulären Aussicht. Das bedeutet: Wanderfreude. Kletterfreude. Fahrfreude. Aber die Forststraße? Langeweile. Und endlose Hatschereien. Im Beliebtheitsranking der Wege liegt sie ziemlich sicher auf einem der hinteren Plätze.
Ein US-Amerikaner sieht das ganz anders: „Schau, da drüben geht ein Forstweg rauf und dort auch – Gravel Paradise!“, ruft Tracy Anderson, grinst und deutet mit seinem Arm in die Berglandschaft der Kitzbüheler Alpen. Der Bike-Guide, der ursprünglich aus St.Louis im Bundesstaat Missouri stammt, hat die Begeisterung fürs Gravelbiken mit nach Österreich gebracht. Und er versucht nun, sie rund um den Salzburger Ort Mittersill Touristinnen und Touristen, aber vor allem den Einheimischen näherzubringen. In den USA hat sich das Gravelbike längst zum Kultobjekt entwickelt.
Zwischen Mountainbike und Rennrad
Vielleicht deshalb, weil es eine Welt geschaffen hat, die zwischen Mountainbike und Rennrad liegt – es fährt sich schnell auf der Straße und fetzt trotzdem stabil über alle anderen Untergründe. Allen voran natürlich über Schotter – dem namengebenden „Gravel“. Und auch in den Alpen kommt das Querfeldeinrad langsam an: Immer öfter sieht man Rennradlenker in Kombination mit breiten Reifen. Es ist für Leute, die alles von ihrem Rad verlangen: in der Stadt zur Arbeit fahren, eine Mehrtagestour im Flachland machen oder Höhenmeter in den Bergen spulen. Wir sind mit unseren Rädern aus der Stadt angereist.
Auf die Hörgeralm
Wir starten auf einer der neu beschilderten Route, der Hörgeralm-Tour. Gemütlich geht es in der sanften Morgensonne durch den Wald hinauf. Unter uns greift der Gummi der breiten Reifen im Schotter. Ein Blick auf die Räder der Guides zeigt uns aber: Es geht definitiv noch breiter. „Eure Bikes sind eigentlich nicht ganz fürs alpine Terrain gemacht, aber es geht schon“, sagt Tracy.
Er wirft uns einen prüfenden Blick zu: „Gleich am Beginn zur Fahrtechnik: Schaltet beim Bergauffahren auf den kleinsten Gang – das Treten soll so leicht gehen wie möglich. Die Ausdauer ist nach einer kurzen Pause wieder da. Wenn der Muskel müde ist, dann ist er müde.“ Vermutlich ist Tracys Tipp der beste, den man zu Beginn einer Zweitagestour bekommen kann.
600 Höhenmeter kurbeln wir uns also mit minimalem Widerstand bergwärts. Zugegeben: Ganz unverschwitzt kommen wir nicht an auf der Hörgeralm. Kurz in die Sonne setzen, ins Käsebrot beißen und die Aussicht bestaunen.
Wellness in der Höhe
Dann geht es rasch weiter, denn Dave hat einen dringenden Kaffeewunsch und Tracy noch einiges vor: „Siehst du unsere Unterkunft?“, fragt er und zeigt auf den Berghang gegenüber. Auf der anderen Talseite erkennen wir eine Hütte: die Resterhöhe. Die Männer schwärmen so von diesem Ort, dass die noch einmal zu überwindenden 600 Höhenmeter nur im Nebensatz Platz finden.
Sobald die Sonne untergegangen ist, wird es kühl auf der Resterhöhe. Gut, dass Hüttenwirtin Manuela schon Feuer gemacht hat. Drinnen im Kamin der Stube und draußen, um das Wasser für die Holzfass-Badewannen zu heizen. Nach einem Bad mit Bergblick – natürlich keinesfalls zu Wellness-Zwecken, sondern aus rein sportlichen Gründen zur Muskelentspannung – kredenzt Pächter Julian Siebach Speisen, die den Augen und dem Gaumen gefallen.
Tag 2: Grenzüberschreitung und Abfahrt
Für den nächsten Morgen haben wir eine Grenzüberschreitungen geplant. Nachdem die Packtaschen wieder an den Lenkern und Sätteln festgezurrt sind, geht es kurz nach Tirol hinüber, dann zurück nach Salzburg und hinein ins Mühlbachtal, in stetem Bergauf und Bergab. Gerade wenn man denkt, jetzt hat man sich genug abgestrampelt, ist die nächste Kuppe erreicht, und vor einem liegt eine Schotterabfahrt. Die Stadtradlermuskeln haben sich den gestrigen Tag jedoch gemerkt und sind bergauf etwas weniger leistungsstark.
Bleibt nur, sich ablenken zu lassen. Von Gesprächen mit den Mitradlern, vom gurgelnden Bach neben dem Weg, vom Blick auf den Großen Rettenstein und von der Aussicht auf Kaffee und Kuchen auf der Baumgartenalm. Wenige Höhenmeter noch bis zum Start der finalen Abfahrt: Die Beine haben nun gänzlich Pause, nur die Muskeln in den Fingern arbeiten: Ganze 1.400 Höhenmeter sausen wir ins Tal hinunter. Erst über die liebgewonnenen Forstwege, dann über glatten Asphalt.
Die Bremsscheiben glühen. Genauso wie die Begeisterung für die Sportgeräte aus Übersee.
- Anzeige
- Alpinwissen
5 Gravelbikes für jedes Einsatzgebiet
- Anzeige
- Alpinwissen
7 Gravelbikes im Test
- Berg & Freizeit
Bilanz eines Jahres