Segelfliegen über dem Ennstal
Es faucht. Und ich frage mich, ob drüben beim Steinadler, der uns sicher genauso auf dem Radar hat wie ich ihn, auch der Fahrtwind so in den Ohren faucht. Aber der kennt es wohl nicht anders. Und für ihn ist das gestochen scharfe Sehen auch noch wichtiger als das Hören.
Tobias Micke für das Bergweltenmagazin April 2016
Sagenhaft: Der Adler erspäht seine Beute von hier oben in der Spielzeugwelt des Ennstals. Ein Liliput-Traktor tuckert auf der B320, dahinter ein Matchbox-Sattelschlepper, der nicht überholen kann und eine entsprechende Karawane hinter sich herzieht.
Kajakfahrer auf der Enns. Am Waldrand wird ein Lkw mit Baumstämmen beladen. Das Dörfchen Pürgg am Tor vom Ennstal hinauf ins Ausseerland. Dazwischen gibt es sicher jede Menge Mäuse und Hasen, aber die sieht eben nur das Adlerauge.
Tobi Tritscher, der mich vom Flugplatz Niederöblarn mit einer supereleganten DG-1000S auf einen Rundflug mitgenommen hat, zieht den Segelflieger in einer Linksschleife zurück ins Ennstal. Jetzt steht bildfüllend auf Steuerbord der Grimming neben uns (das „r“ in „Steuer“ ist die Eselsbrücke für rechts).
Einsam, ganz ohne Wanderer, ragt heute das Gipfelkreuz in den Himmel, dafür war das Wetter am Vormittag zu durchwachsen. Zwei Gämsen queren kurz vor dem Gipfel ein Schneefeld. Ein zweiter Segelflieger zieht unter uns seine Bahnen. Schroffer Fels, uralt und selbst aus der Luft respekteinflößend. Dagegen der kantenfreie, makellos glatte Flieger, von der Spitze bis zum Heck eine einzige weiche Stromlinienform. Zum Segeln und Schweben geschaffen. Wie ein Beobachter aus einer anderen Welt genießt man das.
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Und irgendwo in diesen abgehobenen, schwebenden Gedanken ist wohl auch der besondere Charme des Segelfliegens zu finden. Neben dem Spaß und der Faszination, die jede Sportart auf ihre Weise vermittelt, verfügen Flieger noch über eine zusätzliche Dimension, einen Blickwinkel, der den erdgebundenen Erdlingen entgeht. Dazu noch das antriebslose Dahingleiten, das sonst nur Drachenflieger und Paragleiter kennen. Hat man das einmal entdeckt, dann will man es meistens nicht mehr missen.
Verbringt man an einem sonnigen Wochenende etwas Zeit am Flughafen von Niederöblarn im steirischen Ennstal, trifft man diese vom Segelflug verzauberten und freut sich über ihre immer etwas schräg angehauchten Geschichten.
Da ist mein Pilot Tobi Tritscher aus Schladming, 26, der seinen Verdienst als Backcountry-Freeskier bei Filmproduktionen verdient. Erst letztes Jahr hat er den Segelflugschein von der Familie geschenkt bekommen und schätzt die Stunden in der Luft als Ausgleich zu seinem Adrenalin-Job.
Oder Fritz Prieler, 29, aus Irdning, der bei der Swiss in Zürich seit eineinhalb Jahren A-320-Airbusse auf der Mittelstrecke zwischen Moskau und Madrid chauffiert. Hier im Ennstal hat er das Fliegen gelernt und verbringt fast jede Stunde Freizeit damit, auf seiner persönlichen Homebase, einen Katzensprung vom Elternhaus entfernt, auszuhelfen.
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Oder auch Elisa Bretterebner, 26, aus Wörschach, deren fliegender Vater ihr schon mit 15 den Segelflugschein ermöglicht hat. Sie sagt von sich: „Vorher hatte ich noch andere Hobbys. Aber seit damals ist damit Schluss – bis auf meine Motocross-Maschine.“
Stubenhocker und Überflieger
Tobi überfliegt gerade den prächtig in der Sonne glitzernden Salza-Stausee, und mir ist ein ganz klein wenig übel. Aber das vergeht schnell. Auch der Magen lernt fliegen. Da macht einem dann auch das „Kurbeln“, das Höhe gewinnen in engen Korkenzieher-Schleifen im Aufwindschlauch, nichts mehr aus.
Mit zwei Meter pro Sekunde, verrät das Variometer vor mir, schiebt uns jetzt die Thermik, die vom Boden aufsteigende warme Luft, nach oben. Bei den G-Kräften, die einen solid in den Sitz zementieren, spürt man diesen flotten Gewinn an Höhe kaum. Doch plötzlich ist der Grimming weit unter uns, und wir streifen an den Schönwetterwolken, die den Kühen unten auf den Weiden rund um Tauplitz ein paar Schattenminuten spenden. 2.300 Meter über Grund. Knapp 3.000 Meter über Seehöhe.
Ob es wohl wenigstens den Steinadlerküken anfangs so geht wie mir? Die sind ja auch zuerst Stubenhocker, bevor sie mit 140 Sachen durch unsichtbare Bodenwellen in der Luft zischen. Ganz bestimmt geht es ihnen so. Tapfere Kerlchen.
Zurück am Boden gibt es zur Belohnung und zum Verarbeiten der großartigen Eindrücke einen Nachmittagskaffee auf der Terrasse des Flughafen-Bistros. Elisa leistet mir Gesellschaft. Dass sie „narrisch aufs Fliegen“ ist, ist schwer zu übersehen. An ihrem Hals baumelt an einem Kettchen ein silberner Segelflieger, am linken Handgelenk surfen zwei Schwalben, und auf ihren rechten Fuß, verrät sie augenzwinkernd, hat sie sich ihr Lieblingsflugzeug tätowieren lassen. Eine tschechische L-13 Blaník, unter Fliegern ähnlich legendär wie der VW Käfer.
Mehrmals die Woche, auch einfach einmal nach Feierabend, geht Elisa in die Luft. Hüpft vom Nachbarflughafen in Aigen einen Luftsprung nach Niederöblarn auf ein Getränk und eine Plauderei. Sie absolviert gerade eine Kunstflieger-Ausbildung in Salzburg und will einmal Airshows fliegen. Ihre Mission, das sagt sie leise, damit sie an den gut besetzten Nachbartischen nicht gehört wird: der Segelfliegerei das Image des Altherrensports zu nehmen.
Wo ist die nächste Wiese?
Auch Tibor, der Flughafenbetriebsleiter, schiebt eine kleine Kaffeepause ein, setzt sich zu uns und macht ein bisschen Werbung: „Segelfliegen ist eine super Einstiegsmöglichkeit in die Fliegerei. Die Steuerungsmöglichkeiten sind eigentlich gleich wie bei einem Motorflugzeug, nur einfacher, weil man sich eben nicht um den Motor zu kümmern braucht. Dafür musst du aber im Vergleich zu Motorflugzeugen auf ein paar andere Dinge mehr achten.
Zum Beispiel brauchst du immer eine Landemöglichkeit, zumindest eine vernünftige Wiese, in Reichweite. Außerdem ist dort, wo gute Aufwindbereiche sind, die dich mit deinem Flieger in die Höhe tragen, meistens auch ein gewisses Gedränge mit anderen Segelfliegern und Paragleitern, die den Aufwind nützen wollen. Da ist es ganz wichtig, den Überblick zu behalten, damit’s nicht scheppert. Aber das lernt man mit der Zeit, genau wie beim Autofahren.“
„Was glaubst du“, fragt Tibor, „kostet mehr: ein Pferd zu halten oder Segelfliegen als Hobby?“ – Na, wenn du so fragst ...
„Das Pferd ist teurer. Rund 2.000 Euro und drei Wochen brauchst du alles in allem einmalig für den Segelflugschein, dann etwa 500 Euro Jahresmitgliedschaft im Verein und 70 Euro pro Schlepp bis 1.200 Meter über Grund. Die Flieger selbst kann man sich als Mitglied gratis ausborgen.“
„Wenn du richtig viel segelfliegst“, ergänzt Elisa, „dann kostet dich das im Jahr ungefähr 2.000 Euro. Da verzichte ich doch lieber auf ein paar Designerklamotten und geh stattdessen mit meinen Freunden fliegen.“
Das werden wohl nicht alle Altersgenossinnen von Elisa so sehen. Aber eine junge Frau, die Maschinenschlosserin gelernt hat und ein Abfallentsorgungsunternehmen leitet, ist ohnehin gewohnt, Grenzen und Vorurteile zu überwinden.