Melde dich an und erhalte Zugang zu einzigartigen Inhalten und Angebote!


AnmeldenRegistrieren
Abonnieren

Sibirien - Powder-Skitouren am Baikalsee

Reise

6 Min.

20.12.2021

Foto: Thomas Mühlberger/Liza Pahl

Anzeige

Anzeige

Das Chamar-Daban-Gebirge südlich des Baikalsees ist für die meisten Menschen ein weißer Fleck auf der Landkarte. Die Russische Freerider-Elite und Thomas Mühlberger wissen es jedoch besser! Er folgt 2018 der Einladung einer Freundin nach Sibirien und wird dafür mit meterhohem Pulverschnee und milden Temperaturen um die minus 20 Grad belohnt. Ein Skitourenabenteuer der anderen Art.

Bericht: Thomas Mühlberger

„Schon mal in Sibirien auf Skitour gewesen?“ Diese Frage in Form einer Message meiner Schulfreundin Liza Pahl reißt mich aus den Überlegungen, wo die erste Tour der Saison nun hinführen soll. Wie jedes Jahr studiere ich Wetterberichte und Schneeprognosen, aber Sibirien? Doch Liza lässt nicht locker. „Na, komm schon. Es geht nach Mamay, im Chamar-Daban-Gebirge. Das liegt am Südwestufer des Baikalsees! Zwei bis drei Meter Schnee bereits Anfang Dezember! Beste Verhältnisse. Das wird super!

Liza Pahl, mehrfache russische Meisterin im Freeriden, weiß wovon sie spricht. Die gebürtige Deutsche darf den Kaukasus seit Ende der neunziger Jahre ihr Zuhause nennen. Hier arbeitet sie als Skiguide und Bergführerin und ist bestens mit der lokalen Freeride-Szene vertraut. Beste Voraussetzungen also für einen perfekten Auftakt in die neue Skisaison. Bleibt nur noch eine Frage: „Ist es sehr kalt bei euch?“ „Nicht wirklich“, lautet die Antwort. „Also auf nach Irkutsk!“


Im kalten Herzen Sibiriens

Neun Flugstunden, sieben Zeitzonen und mehr als 7.000 Kilometer später lande ich in Irkutsk, im kalten Herzen Sibiriens. Schnee soweit das Auge reicht. Das Quecksilber ist auf minus 20 Grad herabgerutscht. Für russische Verhältnisse ist das kein richtiger Winter.

Lektion eins: Sibirien ist richtig groß. Ein Gebiet, dessen Fläche um rund 30 Prozent größer ist als Kanada und knapp drei Viertel des gesamten russischen Territoriums ausmacht. Und über das doch so wenig bekannt ist. Meine Recherche zu unserem Reiseziel ergab so gut wie keine Treffer, russische Seiten einmal ausgenommen. Genauere Informationen über Mamay oder das Chamar-Daban-Gebirge? Fehlanzeige.

Und so verlasse ich mich auf Liza und ihre Ortskenntnis. In ihrer gewohnt kumpelhaften Art nimmt sie mich am Flughafen Irkutsk in Empfang. Mit von der Partie sind auch Salim aus dem Kaukasus sowie Sveta und Wanja aus Irkutsk. Der Ingenieur und die Apothekerin werden uns nach Mamay bringen. Dort bewirtschaften sie eine kleine Hütte, die sie uns für die nächste Woche zur Verfügung stellen.

Die Strecke nach Mamay gestaltet sich zäh. Weitere vier Stunden fahren wir durch die menschenleere Taiga – auf Straßen, die zwar einigermaßen gut ausgebaut sind, aber mitten durchs Nichts führen. Nur wenige Meter neben der Straße beginnt die Wildnis. Wir fahren entlang des Baikalsees, der aufgrund seiner Größe eher die Bezeichnung „Meer“ verdient hätte. Er gilt mit einer maximalen Tiefe von über 1.600 Metern als tiefster See der Erde und stellt mit seiner Länge von rund 670 Kilometern auch das größte Süßwasserreservoir der Welt dar. Eine Fläche so groß wie Belgien, deren blaue Schönheit uns zu verschlucken droht. Damit wäre auch Lektion Nummert zwei gelernt: In Sibirien ist alles XXL.

Unsere Fahrt endet an der Grenze zu Burjatien, einer teilautonomen Republik Russlands in Sibirien. Wir sind nur rund 100 Kilometer von der russisch-mongolischen Grenze entfernt und der mongolische Einschlag hier ist deutlich spürbar.

Am Parkplatz verladen wir unser Gepäck auf einen Motorschlitten, mit dem es das letzte Stück des Weges bis zu unserer Hütte transportiert wird. Nach rund 10 Kilometern, für die wir zu Fuß weitere zwei Stunden benötigen, erreichen wir die Hütte bei einbrechender Dunkelheit. Endlich wird es warm. Zumindest für sibirische Verhältnisse: Das Thermometer zeigt minus 10 Grad Celsius an.


Schneedusche vor der Holzhütte

Die Holzhütte steht im tief verschneiten Wald, es liegt rund zwei Meter Schnee. Die die knapp 16 m2 große Fläche im Erdgeschoß der Hütte dient zum Kochen, Kleidung trocknen und als Aufenthaltsraum. Ein Stockwerk höher rollen wir unsere Isomatten und Schlafsäcke aus. Das Feuer im Holzofen ist unsere einzige Wärmequelle, daher versuchen wir das Feuer auch nachtsüber am Brennen zu halten. Strom liefert am Abend ein kleiner Generator, Handynetz und Internet gibt es nicht. Wasser holen wir aus dem nächsten Bach. Zum Duschen geht es in eine der Banjas, eine russische Sauna. Alternativ bleibt nur „Sibirian Shower“ draußen vor der Hütte, abreiben mit Schnee…

Aber genau deswegen sind wir ja auch hier: Schnee. Und der fällt hier wirklich in rauhen Mengen vom Himmel. Anfang Dezember fallen im Regelfall zwischen zwei und drei Metern, davon gut ein Meter bester Powder. Liza hatte Recht, als sie von optimalen Verhältnissen sprach. Der Baikalsee ist Anfang Dezember noch nicht zugefroren. Das sorgt dafür, dass die Feuchtigkeit in der Region ansteigt und im Chamar-Daban-Gebirge in kristalliner Form wieder zu Boden fällt. In Kombination mit den sinkenden Temperaturen – spätestens ab Oktober klettert das Thermometer nicht mehr über die Null-Grad-Marke – sorgt das schon zu Winterbeginn für Unmengen an feinstem Pulverschnee. Vielleicht sogar der beste Schnee der Welt zu dieser Jahreszeit.


Unberührte Schneemassen

Am nächsten Tag starten wir zu unserer ersten Skitour. Wir folgen dem Tal und besteigen einen der vielen Hügel, den „Lesnoj“, „Waldhügel“, 500 Meter oberhalb des Talbodens. Steiler, lichter Bergwald und eisiger Wind. Das Spuren ist anstrengend, trotz breiter Freeride-Ski versinken wir augenblicklich bis zu den Knien im frischen Schnee.

Als ich bei unserer Rast auf dem Gipfel die Ski löse, werde ich sogar bis zum Bauch von dem weichen Weiß verschluckt. Nach kurzer Rast geht es hinein ins Vergnügen. Wir stürzen uns bei besten Schneebedingungen in eine steile Abfahrt durch lichten Wald. Es sind weit und breit keine Spuren von anderen zu vernehmen, nur unberührtes Weiß. Tiefschneefahren XXL!

Die Touren sind hier kurz, im Regelfall umfassen sie zwischen 500 und 800 Höhenmeter. Wir beschließen, noch einen kurzen Abstecher auf die andere Talseite zu machen. Ein weiterer kräftezehrender Aufstieg. Aber wir werden auch diesmal belohnt: Die Abfahrt im Dämmerlicht durch den steilen Wald ist einfach der Wahnsinn. Nichts stört, alles ist so tief verschneit, dass wir zum Schluss sogar in einem Bachbett abfahren. In der Dunkelheit erreichen wir schließlich unsere Hütte.

Am nächsten Tag schneit es schon wieder. Heute wollen wir das Ende unseres Tales erkunden und machen uns auf den Weg in eines der Hochtäler in Richtung des Mamay-Ostgipfels. Auch wenn wir eine grobe Karte für die Planung unserer Touren haben, verlassen wir uns doch mehr auf unser Gefühl. Im tiefen Schnee nach oben spuren, im feinsten Pulver nach unten, solange, bis die Dämmerung hereinbricht. So muss Skifahren früher gewesen sein.

Obwohl zeitgleich mit unserem Besuch die besten Freerider Russlands die neue Saison hier in Mamay eröffnen, sind wir fast immer an unverspurten Hängen unterwegs. Bei schönem Wetter halten wir uns oberhalb der Waldgrenze und bei Schneefall im lichten Wald auf – da die Orientierungsmöglichkeiten hier weit besser sind. Wir fahren freie Hänge zwischen Felsen und ziehen unsere Linien durch die tief verschneite Taiga.

Anzeige

Anzeige


Den Baikalsee stets im Blick

Die wirklichen Dimensionen des Mamay-Gebietes werden uns erst bewusst, als wir an einem der wenigen Tage ohne Schneefall auf einem der Gipfel stehen. Das Chamar-Daban-Gebirge ist dreimal so groß wie Tirol. Im Mamay-Tal wurde noch zu Zeiten der Sowjetunion eine Straße für geologische Erkundung angelegt – sie ist der einzige Zugang zu dieser Region. Jenseits des Mamay-Tals ist die Gegend im Winter fast menschenleer und eine Infrastruktur in den Bergen fehlt vollständig.

Das einzige, was einen immer begleitet ist der Blick auf den majestätischen Baikalsee. Da die Hänge teilweise überaus steil sind haben wir immer ein Auge auf die Lawinengefahr und graben mehrfach ein Schneeprofil. Den einen oder anderen Abend verbringen wir zusammen mit anderen russischen Freeridern in der Banja oder feiern mit Glühwein und Feuerwerk, was sich trotz Sprachbarrieren als ziemlich lustig gestaltet.

Nach einer Woche verlassen wir das Mamay-Tal wieder. Letzter Zwischenstopp auf dem Weg zurück in die Zivilisation ist noch einmal das Ufer des Baikalsees. Bevor wir der Region „Do swidanja!“ (Auf Wiedersehen!) sagen, probieren wir noch einige typische Gerichte mit Fischen aus dem Baikalsee. Wir sind uns einig: der Mamay bietet im Dezember den besten Schnee der Welt! Und ein Abenteuer, das die lange Anreise allemal entlohnt.


Infos und Adressen: Burjatien, Sibirien, Russland

Beste Reisezeit: Anfang Dezember bis Ende Februar. Wobei der Dezember weniger kalt ist (-10 bis -20 C). Sobald der Baikalsee zugefroren ist (ab Mitte bis Ende Jänner), wird es deutlich kälter (unter -30 C). Im November gibt es noch keine Schneegarantie. Im März ist der Schnee oft schon harschig. Später im Frühjahr herrscht dann durch rasche Erwärmung erhöhte Lawinengefahr, besonders auf den Südseiten.

Anreise: Zum Beispiel mit der russischen Aeroflot nach Irkutsk (mit Umsteigen in Moskau). Kosten ab Frankfurt circa 500 Euro. Weiter entweder mit dem Taxi (ca. 100 Euro) oder privaten Transport organisieren.

Einreise: Für Russland ist gemäß den Einreisebestimmungen ein Visum erforderlich. Deutsche Staatsbürger müssen einen Reisepass mit einer Gültigkeit von noch mindestens 6 Monaten sowie ein Einladungsschreiben (Voucher) vorweisen.

Unterkunft: Viele Hotels in Irkutsk können problemlos über Online-Plattformen gebucht werden. In Mamay werden zeitweise Holzhütten von Privatleuten vermietet.

Touren: Liza Pahl aus Rosenheim (go.elbrus@gmail.com, www.go-elbrus.com) lebt als Bergführerin, Ski- und Snowboardlehrerin im Kaukasus und bietet individuelle Touren in den Bergen Russlands und der ehemaligen Sowjetunion an.

Sicherheit: Die Touren erfordern wegen der Steilheit des Geländes und der ergiebigen Schneemengen sehr gute Kenntnisse in der Beurteilung der Lawinengefahr. Eine Rettungskette wie in den Alpen existiert im Mamay-Gebiet nicht.