Wandern auf La Palma
Foto: Andreas Jakwerth
von Markus Honsig
Alte Krater und junge Vulkane, grüne Urwälder, einsame Berge und schwarze Strände: La Palma gehört zu den landschaftlich abwechslungsreichsten Inseln der Kanaren. Ideale Voraussetzungen, um der Sonne ein paar Wochen entgegenzuwandern.
Man darf sich nicht beklagen: Es hat, durchaus typisch für die Wintermonate auf La Palma, an die 20 Grad, die sich noch einen Hauch wärmer anfühlen, wenn man an die Kälte daheim denkt.
Nur der Wind ist ein Spielverderber, er kommt aus der falschen Richtung, aus Nordwesten statt Nordosten. Die Wolken haben sich schon am frühen Morgen in der Caldera de Taburiente verfangen, dem alten Vulkankrater im Zentrum der Insel. Mächtige Felswände umschließen hier einen im Durchmesser acht Kilometer großen Kessel (span. caldera), der 1954 zum Nationalpark erklärt wurde. Den Krater, der nur zu Fuß zu erreichen ist, müsse man unbedingt gesehen haben, sagen uns die Inselbewohner.
Aber nicht an diesem Tag. Dass die schöne Caldera den Vorhang zugezogen hat, ist zwar bedauerlich, aber nicht besonders schlimm. Auf dem nordwestlichsten Außenposten der Kanaren, der spanischen Inselgruppe vor der Küste Marokkos, gibt es viele Bühnen, die ein nicht weniger spektakuläres Programm spielen.
Zum Beispiel einen der letzten großen Lorbeerwälder Europas im Nordosten der Insel: Nach dem Regen in der Nacht tropft es hier noch unentwegt, der Wald ist ein riesiger, subtropischer Wasserspeicher, der das ganze Jahr über Feuchtigkeit abgibt. Grüner geht nicht, mit üppigen Farnen, dichten Moosen und alten Lorbeerbäumen.
Die verschiedensten Lorbeerarten wachsen hier, auch der lorbeerähnliche Gagelbaum. Dessen Früchten wird eine halluzinogene Wirkung nachgesagt, wenn man sie in ausreichend großen Mengen zu sich nimmt. Einzeln schmecken sie jedenfalls bitter und seifig, schon aus geschmacklichen Gründen können wir diese Früchte nicht empfehlen.
Außerdem ist in dem Wald so schön zu wandern, dass man auch ohne unterstützende Substanzen sehr glücklich wird. Die Luft kühl und frisch, die Farben intensiv. Fast meint man, ein Buschmesser zu brauchen, weil das Grün rundum so dicht ist. Aber das braucht es natürlich nicht: Wie fast überall auf La Palma sind die Wege bestens gepflegt.
Insgesamt gibt es tausend Kilometer ausgewiesene Wanderwege, nicht wenig für eine Insel, die gerade einmal 45 Kilometer lang ist und keine 30 Kilometer breit. Dazu kommen noch einmal tausend Kilometer alte Wanderwege, verrät uns Wanderführer Christian Ranalter, der seit 25 Jahren auf der Insel lebt, hier ebenso lang für die Alpinschule Innsbruck unterwegs ist und daher so ziemlich jeden Meter kennt.
Wir wollen aber das Thema Lorbeer noch weiter vertiefen und fahren dafür nach Argual. Es gibt jedenfalls schlechtere Ausreden, um das El Rincón de Moraga aufzusuchen, ein schönes Restaurant in einem Ensemble historischer Gutshäuser. „Lorbeerblätter von der Insel sind frisch und intensiv, das kann man mit normalem Lorbeer gar nicht vergleichen.
Ich verwende ihn gern für Kaninchen- oder Lammeintöpfe“, sagt José Alberto Díaz, der zu den besten Köchen der Insel gehört. Ob er nicht der beste ist, beginnt man zu überlegen, nachdem José die karamellisierte Entenleber auf Mandel-Tomaten-Kompott serviert hat – „die Süße passt gut zur Ente“. Das folgende butterweiche Carpaccio vom weißen Thunfisch spricht jedenfalls auch dafür.
DER KOCH UND DIE INSEL
„Ich habe alles Mögliche gelernt, allerdings nie das Kochen. Das habe ich mir selbst bei-gebracht“, erzählt José und bringt 48 Stunden lang bei 65 Grad geschmorte Rindswangerl, die auf der Zunge zerfallen und ebendort dank der roten Currysauce eine punkt-genau dosierte Schärfe entwickeln.
Es ist kein einfaches Verhältnis zwischen Koch und Insel. Er lebt von den Touristen, nicht von den Palmeros, „die gern viel und günstig essen“ und seine Arbeit in der Küche eher weniger beachten, erzählt er. Trotzdem mag José die Insel, „die Leute, die Ruhe, die Natur, die Berge, alles“. Geboren wurde er auf Teneriffa, vor acht Jahren ist er hergekommen und hat sich blitzschnell verliebt. „Nach vier Tagen wusste ich: Das ist es, da bleibe ich“, sagt er. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wenn der Wind nicht drehen will – und das will er auch am nächsten Tag nicht –, bleibt immer noch der Weg nach oben: durch die Wolken auf den höchsten Gipfel der Caldera, den Roque de los Muchachos auf 2.426 Meter Seehöhe. Dort herrscht fast immer freie Sicht zum Himmel. Mit ein Grund, weshalb rund um den Gipfel mehr als ein Dutzend Teleskope errichtet wurden: Palma gehört mit Regionen wie Hawaii oder der chilenischen Atacama-Wüste zu den Hotspots der internationalen Astronomie.
Näher wird man den Sternen so schnell nicht kommen, und das hat nicht nur mit der Höhe über dem Meeresspiegel zu tun, sondern unter anderem auch damit, dass jede Straßenlaterne auf Palma eigens gedämpft ist, um den Blick zu den Sternen nicht zu stören.
Eine sensationelle Milchstraße
„Als ich 2011 das erste Mal hier heroben war, wollte ich es gar nicht glauben: Einen Himmel wie diesen hatte ich bis dahin nicht gesehen. Die Milchstraße von hier zu beobachten ist sensationell“, erzählt uns der italienische Astrophysiker Paolo da Vela, der hier jedes Jahr ein paar Wochen verbringt, um mit den riesigen Spiegelteleskopen ins Weltall zu schauen.
Paolo sucht nach schwarzen Löchern, Milliarden von Lichtjahren entfernt, nach Dunkler Materie im extragalaktischen Raum, nach den Ursprüngen der kosmischen Strahlung, die man bis heute nicht vollständig kennt. Und bevor uns das Gespräch zu kompliziert wird, wechseln wir unauffällig das Thema und stellen die ganz einfachen Fragen.
„Gibt’s noch anderes Leben da draußen im Weltall?“
„Sicher gibt es da Leben. Es ist doch so groß da draußen.“
Schade ist, dass man am Gipfel nicht übernachten kann, um selbst nach außerirdischem Leben Ausschau zu halten. Die gute Nachricht ist aber: Der gigantische Himmel lässt sich auch von weiter unten sehr schön beobachten. Und: Tagsüber kann man hier herrliche Wanderungen entlang des Kraterrands unternehmen, je nach Windrichtung knapp über dem Wolkenmeer oder eben mit spektakulärem Ausblick auf die steil abfallenden Felswände der Caldera.
Tatsächlich sind überraschend wenige Wanderer am Weg. La Palma ist nach wie vor eine angenehm untouristische, fast verschlafene Insel, erst recht im Vergleich mit manchen Nachbarinseln wie Teneriffa, das mit dem höchsten Berg Spaniens, dem Teide (3.718 m), in Sichtweite liegt.
Die erste Chartermaschine landete auf La Palma erst 1987, und auch heute setzen in der Hauptsaison nicht mehr als zwanzig Urlauberflieger pro Woche auf. Das hat zwar auch kleine Nachteile – das Angebot an wirklich guten Hotels ist überschaubar –, aber die Vorteile überwiegen bei weitem: La Palma ist eine ruhige, entspannte Insel mit allerhöchstem Erlebnis- und -Erholungsfaktor.
Auf La Palma gewesen zu sein und dabei die Caldera nie frei von Wolken gesehen zu haben, wollen wir uns noch nicht vorstellen, auch wenn es langsam knapp werden könnte. Vorläufig treibt uns der ständige Nordwestwind in den von der Sonne besonders verwöhnten Süden der Insel mit seinen vergleichsweise jungen Vulkanen.
Der letzte Ausbruch ist gerade einmal 45 Jahre her, 1971 brach der Teneguía aus – der letzte in einer ganzen Reihe von Vulkanen, die man auf der knapp 17 Kilo-meter langen Route von der Mitte der Insel hinunter in den Süden passiert: den San Juan (zuletzt 1949 ausgebrochen), den San Martin (1646) oder den San Antonio (1677). Großes Landschaftskino.
Laufen und Surfen
„Auf dem schwarzen Lavasand zu laufen kann zwar etwas mehr Kraft kosten, schont jedoch die Gelenke“, erzählt uns Vanessa Cabrera Armas, während sie in ihrer Bar in Los Canarios die hausgemachten Almendrados, die landestypischen Mandelkekse, verpackt. Vanessa weiß, wovon sie spricht: Dreimal die Woche geht sie auf der Vulkanroute laufen, gern auch gemeinsam mit ihrer Mutter.
Vor zwei Jahren hat sie den zweiten Platz bei der Halbmarathon-Distanz der Transvulcania erreicht, eines internationalen Ultramarathons über 76,7 Kilometer und rund 8.500 Höhenmeter, der jedes Jahr von inzwischen zweitausend Teilnehmern in Angriff genommen wird. Zur Orientierung: Die Siegerzeit letztes Jahr betrug 6 Stunden 52 Minuten, gelaufen von Luis Alberto Hernando. „Das Adrenalin, die Freiheit, die man erlebt“, sagt Vanessa und strahlt, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätte, „es gibt nichts Besseres, nicht Schöneres, als hier zu laufen.“
Es sollte dann doch noch klappen, der Wind dreht auf Nordost, und die Wolken geben die Caldera endlich frei. Wir sind früh aufgebrochen und wandern von Los Brecitos an der Westflanke hinunter ins Herz des Kraters. Der Weg verläuft durch einen uralten Kiefernwald, die Nadeln der Bäume haben einen weichen Teppich ausgelegt, dazwischen öffnet sich immer wieder der Blick auf die zackigen Wände der Caldera, bis man schließlich den Talgrund erreicht.
„Das ist das Herz der Insel“, sagt Wanderführer Christian, „weil es hier gar so schön ist.“ Man mag nicht widersprechen. Und damit es auch sicher nicht langweilig wird, geht der Weg zurück durch eine Schlucht den Almendro Amargo entlang, den Bittermandelfluss, ab-wechslungsreicher kann eine Wanderung nicht sein.
Perfektes Finale also, dem Wind sei Dank. Auf der Rückfahrt ein allerletzter Zwischenstopp, um den kurzen, aber spektakulär in den Felsen gebauten Weg hinunter zur Playa de Nogales zu gehen, dem vielleicht schönsten Strand der Insel. Wenn man dann im schwarzen Sand sitzt und aufs Meer schaut, mit den Surfern aus Lanzarote die Qualität der Wellen bespricht, kann man sich jedenfalls gut vorstellen, dass Koch José nur vier Tage brauchte, um sich in die Insel zu verlieben und für immer zu bleiben.
Tipp:
- Die Alpinschule Innsbruck bietet für La Palma ein umfangreiches Wanderprogramm. Mehr auf ASI Reisen.
- Diese Reise-Geschichte erschien im Bergwelten-Magazin (01/2016).
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