Winter im Toten Gebirge
Foto: Andreas Lattner / Red Bull Media House Publishing
von Christina Geyer
Wer Wildnis sucht, wird im Toten Gebirge fündig. Steile Gipfel, hügelige Weiten und jede Menge Möglichkeiten – ein Geheimtipp für alle Wintersportler, die auf der Suche nach ursprünglicher Landschaft abseits von Massentourismus und ausgetretenen Skirouten sind. Eine Reportage.
Christoph Hüthmair lässt den Blick vom Gipfel des Angerkogels (2.114 m) über die Landschaft schweifen. Im Südwesten baut sich der dominante Grimming (2.351 m) auf – man kann ihn schwerlich übersehen. Lange galt er als die höchste Erhebung der Steiermark. Kein Wunder: Immerhin ist er der höchste freistehende Berg der Alpen. So bleibt der Blick trotz überwältigenden Gipfelmeers der Niederen Tauern bis ins Gesäuse auch immer wieder an diesem markanten Gebirgsstock hängen.
Oberösterreich mag nicht unbedingt den Ruf eines alpinen Eldorados haben, die Warscheneckgruppe an der Grenze zur Steiermark aber ist genau das: Von Einsteigertouren für blutige Anfänger bis hin zu extrem schwierigen Begehungen lässt sie keine Wünsche offen. „Wer sich hier als Bergführer langweilt, dem gehört die Lizenz entzogen“, sagt Christoph Hüthmair unumwunden. Er muss es wissen: Seit seinem 26. Lebensjahr arbeitet er hauptberuflich als Bergführer und obwohl er bereits eine Vielzahl an Gipfeln von Chamonix bis Patagonien erklommen hat, kehrt er immer wieder gern ins Tote Gebirge zurück.
Hier ist er aufgewachsen und nach wie vor wohnhaft. Möglichkeiten gibt es genug in der Region Pyhrn-Priel, zu der auch die Warscheneckgruppe zählt: „Allein für Skitourengeher eröffnen sich gut und gern 100 verschiedene Touren. Hinzu kommt die Schneesicherheit der Region. Wenn auf den Pisten längst nichts mehr geht, können wir immer noch problemlos Skitouren gehen“, schwärmt Hüthmair. Kein Wunder also, dass dieses Fleckchen in den Nördlichen Kalkalpen auch Spitzenalpinisten wie Gerlinde Kaltenbrunner hervorgebracht hat.
Nachvollziehen kann man angesichts der schier unüberschaubaren Tourenmöglichkeiten auch, warum Christoph Hüthmair oft erst am frühen Morgen des Tourentags entscheidet, wohin es gehen wird. „Mir geht es nicht darum, Leute irgendwohin raufzuschleppen, sondern sie glücklich zu machen“, erklärt er. Das heißt auch: Er schöpft aus keinem Standardrepertoire, sondern stimmt seine Entscheidungen jedes Mal aufs Neue mit den aktuellen Verhältnissen vor Ort und den an der Tour beteiligten Personen ab. In unserem Fall entscheidet sich Christoph Hüthmair für eine Skitour auf den Angerkogel mit einigen Gegenanstiegen und abschließender Abfahrt durchs Loigistal.
Wintersitz der Hobbits
Kaum zweigt man vom Skigebiet Wurzeralm ab, ist man auch schon mittendrin in der unberührten Wildnis des Toten Gebirges. Die hügeligen Weiten erinnern ein wenig an an das Auenland, die Heimat der Hobbits – bloß in weißer Ausgabe, denn es hat gerade erst wieder geschneit. Der Aufstieg zum Gipfel führt über die Grenze in die Steiermark, es folgt die Abfahrt zur Luckerhütte und ein weiterer Gegenanstieg. Also wieder auffellen und in die Zwischenwände aufsteigen, ehe die letzte große Abfahrt duch das Loigistal führt. Trotz der sanften Steigungen bringt es die Tour (mit Liftunterstützung) am Ende auf 728 Höhenmeter und knapp 24 Kilometer.
Einen Einkehrschwung haben wir uns verdient und so finden wir uns kurzerhand in der Hütte der Vorderstoderer Bergrettung am Ende der Abfahrt wieder und treffen direkt auf Franz Maier, seines Zeichens Biologe, Mitbegründer des angrenzenden Nationalparks Kalkalpen und Präsident des Umweltdachverbandes. Er bezeichnet das Warscheneck als eines der vielfältigsten und schönsten Naturgebiete der Alpen. Der erwogene Zusammenschluss der Skigebiete Hinterstoder und Wurzeralm löst bei ihm darum alles andere als Euphorie aus.
Oase der Ruhe und Erholung
Weite Teile des unter Naturschutz stehenden Warscheneck-Gebirgsstocks wären davon betroffen: „Die beiden Skigebiete liegen so weit auseinander, dass für ihren Zusammenschluss eine Vielzahl an Liften und Seilbahnen quer durch eines der hochwertigsten Naturschutzgebiete des Alpenraums notwendig wäre“, begründet Maier seinen Unmut. Aber auch er sieht für die Tourismusregion Pyhrn-Priel Handlungsbedarf. Seine Vorstellung einer Neuausrichtung zielt jedoch auf die Förderung eines sanften Tourismus rund um den Nationalpark Kalkalpen und eine Neupositionierung der Wurzeralm als Wintersportzentrum und Familienskigebiet. Wie das funktionieren soll? Über die Verbesserung der bereits bestehenden Angebote und Infrastruktur auf der Wurzeralm, sagt Maier: „Vorderstoder hingegen sollte sich als Oase der Ruhe und Erholung, als Rückzugsort für Naturgenuss positionieren“.
Das Zeug dazu hat die Region allemal. Obwohl das Tote Gebirge nun einmal heißt wie es heißt: Tot ist hier gar nichts. Davon können wir uns bei einer weiteren von Christoph Hüthmair auserkorenen Skitour überzeugen. Sie führt über das Brunnsteiner Kar hinauf auf die Rote Wand (1.872 m), eine beeindruckende Felskulisse, die auf den ersten Blick unmöglich mit den Skiern zu besteigen scheint. In Spitzkehren geht es durchwegs steil, aber siehe da: machbar, hinauf auf den Gipfel.
Fuchs, Gams, Schneehase
Hüthmair zeigt uns aus der Ferne mit seinem Skistock, wo sich Dolinen und Höhlen befinden – alles Zeugnisse der stark verkarsteten Hochfläche des Toten Gebirges. Wenngleich Schnee und Regen auch schnell im Karstsystem versiegen, das Gebirge deshalb „tot“ zu nennen kommt einer nahezu fahrlässigen Übertreibung gleich. Latschen, Zirben und Lärchen, Fuchs, Gams und Schneehase – sie alle sind hier in großem Bestand heimisch. Noch einmal genießen wir den Blick vom Gipfel, ehe wir abfellen und uns zur Abfahrt bereit machen. Gewiss ist: Es wird nicht unsere letzte in der Warscheneckgruppe bleiben.
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