Spitzbergen - Zwischen Nordkap und Nordpol
Foto: Lea Hajner
von Lea Hajner
Auf der zu Norwegen gehörenden Inselgruppe Spitzbergen im Arktischen Ozean leben rund 400 mehr Eisbären als Menschen. Lea Hajner hat sich nördlich des Polarkreises trotzdem kurz an Land gewagt.
„Entschuldigung, Sie da vorne, ja Sie! Bitte bleiben Sie hinter mir in der Gruppe, es ist gefährlich hier“. Rémi, unser Guide, ist immer noch freundlich. Die etwas ältere Dame, die sich schon beim Einsteigen in die kleinen Boote vorgedrängelt und trotzdem ihr Fernglas vergessen hat, kann es immer noch nicht erwarten.
Launische Eisbären
Es ist der falsche Ort, um Spielregeln zu ignorieren. Wer auf Spitzbergen den Hauptort Longyearbyen verlässt, muss aus Sicherheitsgründen ein Gewehr mit sich tragen. Oder, wie bei Landgängen von Kreuzschiffen üblich, in der Gruppe bleiben. Denn Eisbären können immer und überall auftauchen und ihr Gemütszustand lässt sich so schlecht vorhersagen wie der von Topmodels. Hungrig, neugierig, aggressiv. Oder aber auch komplett desinteressiert, weil Menschen – verglichen mit einer dicken Robbe – ohnehin viel zu wenig Fett an sich haben. Gut genährte Eisbären gönnen sich sogar den Luxus nur die Haut und den Speck der Robben zu verzehren. Richtig hungrige Bären hingegen fressen sie von Kopf bis Schwanz auf. Fakt ist: man weiß es eben nicht und der gemeine Eisbär hat noch dazu ein Pokerface. Wenn er angreift, dann oft ohne Warnung.
Grund genug viel Respekt vor dem König der Arktis zu haben, von denen es in Spitzbergen rund 3.000 gibt. Rund 400 mehr als menschliche Bewohner. Während meiner einwöchigen Reise durch Svalbard, wie Spitzbergen auf Norwegisch heißt, lerne ich jeden Tag etwas über die Arktis und ihre Bewohner dazu. Drei Stunden beträgt die Flugzeit von Oslo auf jene Inselgruppe, die in etwa zwischen dem Nordkap am Festland Norwegens und dem Nordpol liegt. Hier wachsen keine Bäume mehr und nur besonders hartnäckige Pflanzen schaffen es, sich in der kargen Tundra einen Platz zu ergattern. Neben Eisbären, Walrossen, Robben, diversen Vögeln, Spitzbergen-Rentieren (mit dickem Bauch und kurzen Beinen) leben auch Polarfüchse hier. Anfang Juni, in der Übergangszeit zwischen Dunkelheit und 24h-Tageslicht, sieht das Fell der Füchse lustig gefleckt aus.
Mit dem Schiff entlang der Küste
Während der viertägigen Reise am Schiff wird meine Sehnsucht, endlich selbst einen Eisbären zu sehen, von Tag zu Tag größer. Oft sitze ich einfach mit meinen Fernglas am Deck und suche auf gut Glück die Küste ab. Rémi würde uns eine Sichtung vergönnen, doch macht ihn der Gedanken auch leicht nervös und er fügt schnell hinzu, dass es ihm viel lieber wäre, wenn wir dabei auf dem Schiff bleiben würden. Dann nämlich könne er seine Büchse vom Kaliber 308 stehen lassen und das Spektakel entspannt genießen.
Tiersichtungen am Schiff – lerne ich – sind immer ein doppeltes Spektakel. Spektakel eins ist das Tier selbst, Spektakel zwei die beobachtende Menschenmenge am Schiff. Da wird gleich mehrsprachig und aufgeregt kommentiert – in unserem Fall: auf Deutsch, Englisch, Norwegisch, Französisch und hie und da übersetzt der Reiseleiter der chinesischen Gruppe auch noch für seine Landsleute.
Der erste Bär der Saison
Zunächst ist es ein Walross, das sich blicken lässt. Ich erspähe das Tier frühmorgens am Weg in den Magdalenafjord mit freiem Auge. Zwei Fotos und schon ist der dicke Herr wieder aus dem Blickfeld. Über die ganze Walross-Kolonie ein paar Tage später am 80. nördlichen Breitengrad freuen wir uns trotzdem.
Am zweiten Tag ist es dann soweit: wir haben einen Eisbären gefunden! Die Crew jubelt: es ist der erste der Sommersaison und ein großer noch dazu, der an der Küste auf und ab wandert. Hungrig sieht er aus. Jetzt bin ich durchaus recht froh, ihn aus sicherer Entfernung beobachten zu können. Meine Mitreisenden wohl auch. Für die Dauer dieser Momente sind wir, trotz aller kulturellen Unterschiede, vereint – in der Freude, ein so anmutiges Tier in freier Natur betrachten zu können.
Zur Krönung der Reise sehen wir am letzten Tag – genauer in der letzten Nacht, in der die Mitternachtssonne besonders schön leuchtet – auch noch mehrere Wale. Meine Kamera fühlt sich ein bisschen wie ein Stickeralbum an, das jetzt mit allen gesuchten Tierbildern gefüllt und unbezahlbar wertvoll ist.
Als wir wieder in den Hafen von Longyearbyn einlaufen, haben die Handys zum ersten Mal seit Tagen wieder Empfang. Langsam habe ich mich an die seltsamen Regeln gewöhnt, nach denen hier auf Spitzbergen das Leben funktioniert. Zum Abschied strahlt die Sonne vom Himmel und ich wage es an so einem sommerlichen Tag um die 8 Grad Plus eine Bekleidungsschicht wegzulassen. Für einige Stunden freunde ich mich sogar mit dem Gedanken an, hier zu wohnen. Doch dann schiebt sich eine dicke Wolke vor die Sonne und binnen weniger Minuten ist es eiskalt. Da bleibe ich dann doch lieber Besucherin an diesem besonderen Ort – eine, die vielleicht mal wiederkehrt.
Infos und Adressen: Spitzbergen, Arktischer Ozean (Norwegen)
Wandern auf Spitzbergen: Eine Küstenbootstour ist der perfekte Einstieg in die einzigartige Welt Spitzbergens. Die wahren Entdeckungstouren freilich, muss man hier zu Fuß unternehmen. Entweder in Wander- oder in Skischuhen. Sobald im Winter genug Schnee liegt ist auch das Schneemobil ein hilfreiches Gefährt um weiterzukommen.
Diverse Tour-Anbieter: Vor Ort bieten kleinere Wanderungen an – Mehrtagestouren müssen auf Grund der Abgeschiedenheit und Eisbärengefahr gut vorbereitet werden. Um alleine die Ortschaften zu verlassen, braucht man ein spezielles Permit des Gouverneurs von Spitzbergen (Sysselmann genannt). Dieses beinhaltet auch eine Versicherung für den Notfall.
Skitourentipp: Eine wunderschöne Skitour ist die zwölftägige Durchquerung vom Magdalenafjord in den Süden, aber auch kleinere Wanderungen, etwa bei Longyearbyn, geben einen Eindruck über die Schönheit des Landes. Ein Klassiker ist die Tour auf den Sarkophargen, der an der Mündung zweier Gletscher liegt.
Skitouren auf Spitzbergen
Weiterkommen: Da die Siedlungen nicht mit Straßen verbunden sind, nimmt man im Winter das Schneemobil und im Sommer das Schiff. Zwischen Longyearbyen, Bartensburg und der verlassenen Siedlung Pyramiden verkehren im Sommer regelmäßig Boote.
Boots-Touren:
Es gibt mehrere Anbieter: eine 4-Tages Cruise an Bord des Hurtigruten-Expeditionsschiffes MS Nordstjernen kostet ab 1400 €, inkl. köstlicher Verpflegung und Landgängen. Einige Anbieter haben auch Kajakfahren und längeren Wanderungen im Programm:
Anreise: Norwegian und SAS fliegen ab Oslo (teilweise auch über Tromso) nach Longyearbyen auf Spitzbergen (Norewgisch: Svalbard, Englisch: Spitsbergen). Flugdauer circa 3 Stunden.
Unterkunft: In Longyearbyen gibt es diverse Unterkünfte und sogar einen (allerdings sehr eisigen) Campingplatz unmittelbar neben dem Flugplatz.
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