Berg-ABC: Was ist Firn?
Foto: Leandro Alzate
von Simon Schöpf
Die alpine Sprache treibt oft seltsame Blüten, und nicht jedes Berg-Phänomen ist Flachländern so klar wie ein Gebirgsbach im Frühling. Von A wie Almabtrieb bis Z wie Zirbenschnaps: Das Bergwelten Berg-ABC gibt Auskunft. Mit Augenzwinkern.
Firn, das ist der Rolls-Royce der Oberflächenbeschaffenheit, der Diamant der Schneearten, die Perle der Bedingungen. Kurz, der Stoff, aus dem Tourengeherträume gemacht sind. Firn, der erhabenste aller Wasser-Aggregatszustände!
Natürlich, man kann den Firnschnee auch pragmatischer beschreiben: Firn – von althochdeutsch firni, „vorjährig“ – ist eine oberflächliche, weiche Schneeschicht, die sich im Frühling durch warme Temperaturen und Sonneneinstrahlung auf einem in der Vornacht gefrorenen Harschdeckel bildet. Während eines kurzen morgendlichen Zeitfensters – im Laufe des Tages wird der Harschdeckel immer mehr aufgeweicht und man spricht von Sulz – findet der Skitourengeher genussvolle Abfahrtsbedingungen. Man sagt: der Hang „firnt auf.“
Gut, aber wie fühlt es sich an, auf Firn zu fahren?
Nicht selten berichten Tourengeher nach einer gelungenen Firnabfahrt von einer Art metaphysischen Erfahrung. Oft befinden sie sich in einem Trance-ähnlichem Zustand, aus dem sie nur langsam und träge wieder erwachen. Befragt man Firnisten nach dem gerade Erlebten, so umschwirrt sie meist eine tiefe, innere Ruhe. Sie wirken geradewegs so, als hätten sie nach einer langen Zeit vergeblichen Suchens und Herumirrens nun endlich Frieden mit sich selbst geschlossen, ihrer Existenz gewissermaßen Sinn einverleibt.
Während der Abfahrt verschmelzen Firn und Ski zu einer harmonischen Entität: Das Geräusch der sich sanft in den Schnee eingrabenden Kufen erinnert in seiner Schönheit an eine Oper von Verdi, sein unschuldiges Glitzern an das Lächeln der Mona Lisa. Man wird dem Gefühl der Unsterblichkeit wohl nie näher kommen als im Moment eines beherzten Firnschwunges.
Das vollendete Geheimnis des Firns zu verstehen stellt eines der letzten großen Rätsel der Wissenschaft dar: Wie kann ordinärer Schnee nur so cremig und zugleich so griffig werden? Firn wird die Menschheit mitsamt dem ihr innewohnenden Drang, alles in Zahlen und Formeln packen zu müssen, nach Jahrtausenden endlich eines Besseren belehren: Firn entzieht sich erfolgreich jedem Verständnis und Versuch, ihn zu begreifen. Und das ist gut so, denn: Firn muss man spüren, Firn muss man genießen; Firn muss man einfach fahren.
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