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Chamonix: Auf der Suche nach Glück

Aktuelles

4 Min.

04.04.2022

Foto: Frank Eberhard

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von Frank Eberhard

Viele Alpinisten wollen ein Mal in ihrem Leben auf den Mont Blanc (4.809 m) steigen. Die Berge um Chamonix sind Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt. Ein Lokalaugenschein aus Frankreich.

John Mc Kenzie stehen auf der Besucherterrasse der Aiguille du Midi (3.842 m) Tränen des Glücks in den Augen. Wenige Augenblicke zuvor wandelt er noch auf dem Grat seiner Träume. „Es ist so exponiert“, schwärmt er. Nirgends in seiner schottischen Heimat sei Vergleichbares zu finden. Seit 25 Jahren hatte er von der Gratkletterei geträumt. Doch er hatte weder Fähigkeiten noch Begleiter für dieses Abenteuer. An diesem Tag wagt der 46-Jährige sich mit einem Bergführer aus Chamonix auf den Cosmiquegrat.

Dort verbringt er drei Stunden zwischen den Welten: Er klettert, während Skifahrer das Vallée Blance und die steilen Flanken des Mont Blanc du Tacul abfahren. Während John Mc Kenzie seine Steigeisen auf dem Grat positioniert, füllt sich die Bergstation mit Touristen. Nirgends ist es leichter auf einen kühnen Felssporn inmitten der Gletscherwelt zu gelangen als an diesem Berg. Für schlappe 50 Euro schießt die Téléphérique de l'Aiguille du Midi jeden in einer Viertelstunde von Chamonix (1.035 m) direkt unter den Gipfel der Nadel. Wer den gesicherten Bereich nicht verlässt, bleibt sicher: Als einzige Gefahren lauern Kopfschmerzen von der enormen Höhe und eine leere Reisekasse.

Während Mc Kenzie die letzten Schritte über seinen verschneiten Traumgrat stapft, setzt er sich voll den alpinen Gefahren aus: Jeder Fehltritt kann fatal enden. Doch in dem Moment, in dem er über das Geländer der Terrasse steigt, befindet er sich wieder im zivilisatorischen Trubel. Genau andersherum ist es, wenn Bergsteiger durch die Stollen im Berg dem Ausgang der Station entgegenstreben. Ein Metalltürchen trennt das vom Menschen Erschlossene von der Realität auf dem ausgesetzten Ostgrat. Ein gelbes Schildchen warnt, dass sich jenseits dessen Hochgebirge befindet.

Ally Swinton könnte darauf verzichten. Die Ski auf den Rücken geschnallt stiefelt der 23-Jährige am Nachmittag mühelos über ein steiles Gratstück zur Bahnstation. Im Gesicht trägt der Schotte ein Grinsen, so breit wie seine Ski. Er hat an diesem Tag besonders von der leichten Erreichbarkeit hochalpinen Geländes profitiert. Als Swinton morgens aufsteht und Lust auf eine Skitour hat, checkt er eine auf den 4.248 m hohen Mont Blanc du Tacul gerichtete Webcam. Sein Befund: Keine Spur, zu gefährlich, wieder schlafen gehen. Am späten Vormittag sieht er nochmal nach. Nun winden sich Spuren an den Gletscherbrüchen vorbei. Ally Swinton bricht auf.


Ein schmaler Grat

Allein steigt er mal eben so auf einen 4.000er. Er ist der Letzte, der an diesem Tag abfährt. Es ist das letzte Mal, dass die Zuschauer auf der Terrasse die Luft anhalten müssen. Geht wirklich keine Lawine ab? In der Nähe donnerte bereits ein Eissturz zu Tal. Für Swinton läuft alles gut. „Ich gehe schon mein Leben lang in die Berge“, sagt er auf dem Grat. Er betont so oft, dass die Verhältnisse sicher waren, dass klar wird: Auch er war an diesem Tag auf dem Grat seiner Träume unterwegs. Dem Grat zwischen Risiko und der Freude am Bergsteigen.

Doch nicht immer sind die Verhältnisse für Glücksuchende so ideal. Ein paar Wochen zuvor will sich das Bergsteigergefühl nicht richtig einstellen. Zwar liegt draußen Schnee und es flockt unablässig weiter, doch in der billig-gemütlichen Unterkunft herrscht eher Work-and-Travel-Stimmung. Mit der Wollmütze auf dem Kopf und den Abdrücken der Sonnenbrille im Gesicht sitzt ein Mann aus Washington State da und erzählt vom Hochseefischen daheim. Mit seinen Geschichten unterhält er seine Kumpels von der US-Westküste und Andy aus Wanaka. Der Neuseeläder führt Skitouren in die Southern Alps, die sich von Juni bis September in Weiß hüllen. Den neuseeländischen Sommer verbringt er in Chamonix – zum Skifahren versteht sich. Wenn auch dort irgendwann sommerliche Verhältnisse anbrechen, reist er kurzerhand weiter nach Peru.

Doch jetzt liegt im Städtchen erst einmal jede Menge frischer Schnee. Andy und die Jungs aus Washington elektrisiert der Blick aus dem Fenster. Es hat etwas von Stiller Post, wie einer den anderen weckt: „Hey, wach' auf, lass uns Skifahren gehen!“ In der Küche diskutieren bald alle, wo es hingehen soll. Klar, die Steilabfahrten hoch oben sind zu gefährlich – nicht aber die tiefer liegenden Skigebiete. Als die Betreiberin ihren Hund Arthus spazieren führt, ruft sie noch in die Runde: „Fais attention avec les avalanches!“ – also: „Passt auf die Lawinen auf!“. Lawinenwarnstufe 4 von 5 unterstreicht ihre Worte. Doch alle sind glücklich, auch wenn das Wetter wieder einmal ihre eigentlichen Pläne durchkreuzt hat.

Ganz anders ergeht es im Sommer Marie Saame: In der Gletscherflanke des Dôme du Goûter (4.304 m) fällt sie als rosafarbener Punkt auf. Bei idealem Wetter und guten Bedingungen kehrt sie kurz zuvor auf dem Weg zum Mont Blanc entkräftet auf 4.400 m um. Die Estländerin ist enttäuscht. Doch umso mehr sie reflektiert, desto zufriedener ist sie mit ihrer Entscheidung. „Meine Freunde und Familie haben gesagt, ich sei verrückt. Doch jetzt habe ich ihnen gezeigt, dass ich klug genug bin im richtigen Moment umzukehren“, sagt die 23-Jährige.

Phil Mc Clusky dagegen könnte am gleichen Tag nicht zufriedener sein. Er erzählt von Kälte, Wind und großer Anstrengung, die er durchleben musste, um seinen Traumgipfel und die magischen 4.809 m zu erreichen. „Ich habe das Gefühl, für mich persönlich Unglaubliches erreicht zu haben“, sagt er. Denn fast genau zehn Jahre vor seinem Gipfelerfolg hat er aufgehört zu rauchen. „Es ist mir davor nie gelungen, bis ich mich damit motiviert habe, eines Tages auf den Mont Blanc zu steigen“, erzählt Mc Clusky. Mit diesem Ziel vor Augen ließ er tatsächlich die Finger von den Zigaretten und merkte, wie seine Fitness und Gesundheit immer besser wurden. Schließlich kulminieren Wille und Training in dieser Tour an einem sonnigen Tag über Chamonix.


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