Das Villgratental – oder eine Gipfelkette in Herzform
Foto: Oswald Fürhapter
von Christina Schwann
Ein stilles Seitental in Osttirol – zuerst Außervillgraten mit dem zauberhaften Winkeltal, dann Innervillgraten mit einem weiten Talboden, einer stolzen Kirche und an den steilen Hängen uralte Bauernhöfe, die wie Adlerhorste auf ihren Aussichtspunkten thronen. Christina Schwann nimmt uns mit ins Bergsteigerdorf Villgratental.
24. Dezember 1988 – stiller Winter im Villgratental, die Kirchturmglocken läuten zur Mitternachtsmette. Während die Einwohner des Tales die Heilige Nacht feiern, packen zwei Männer ruhig und routiniert ihre Rucksäcke: Norbert Mariacher und Konrad Hofmann brechen zu einer waghalsigen Expedition auf. Die Reise führt allerdings weder nach Tibet noch in die Anden, sie beginnt praktisch vor ihrer Haustüre im Villgratental. Die Idee: Die Erstbegehung und auch erste Winterbegehung des gesamten Gratverlaufes der Villgrater Berge von der Tessenberger Alm bis zum Thurntaler. Mehr als 5.500 Höhenmeter im Aufstieg, mindestens 50 namhafte Gipfel und eine ganze Reihe von ungenannten Spitzen, Schrofen und Höhen liegen vor ihnen. Mindestens fünf Tage und Nächte am eisigen Grat in einer Höhe von 2.200 bis 3.000 m.
Das Unternehmen, nur im engsten Freundeskreis angekündigt und von zwei Freunden am Boden begleitet, gelingt und bringt eine ganz wesentliche Erkenntnis: zeichnet man die Tour von Mariacher und Hofmann nach, entsteht ein Herz - die Gipfelkette der Villgrater Berger umschließen das Tal in Herzform.
Eigenständig und unbeugsam
Das Villgratental wird durch seine jahrhundertelange Bergbauerntradition geprägt. In früheren Tagen verbrachten die Bauern und ihre Familien den ganzen Sommer mit ihrem Vieh auf den Almen und daher entstanden die heute für das Villgratental so charakteristischen Almdörfer mit kleinen Bauernhäusern mit Wohnraum und Stall. Einige dieser Almhäuser können heute gemietet werden. Das kulinarische Angebot in den Jausenstationen, Gasthöfen und Restaurants ist vielfältig und reicht von erstklassiger Hausmannskost bis hin zur Haubenküche.
Immer schon spielten die Villgrater auch in der Kulturszene eine Rolle. Durchaus selbstironisch, aber auch in seiner ganzen Vielfalt eindrucksvoll hat der 1991 verstorbene Kulturpublizist, Schriftsteller und Ethnologe Johannes E. Trojer sein „Seiten-Seitental“ beschrieben. Weit über die Grenzen Osttirols hinaus ist zudem die Musicbanda „Franui“, deren Name – geliehen von einer Almwiese – schon auf die tiefen Wurzeln im Villgratental hinweist.
Eine kleine Holzindustrie, ein schafwollverarbeitender Betrieb und die Wegelate Säge legen zudem Zeugnis eines eigenständig funktionierenden Gewerbes ab.
Ein Hochbelvedere ersten Ranges
Bereits 1958 bekennen sich die Villgrater Tourismusschaffenden im ersten Werbeprospekt zum „Erholungsdorf“. Bis heute ist das Villgratental von großtechnischen Eingriffen nahezu verschont geblieben und wer heute in das Tal kommt, kann die Worte von Alpinist Ludwig Purtscheller, der um 1900 die Villgrater Berge entdeckte und fasziniert war vom Rundumblick auf die Dolomiten, die Venedigergruppe und den Großglockner, nachvollziehen: Er sprach von einem „Hochbelvedere ersten Ranges“.
Nicht zuletzt durch die Initiative der Bergsteigerdörfer wurde das Villgratental als Wander- und Skitourengebiet von besonderer Güte in den letzten Jahren „wiederentdeckt“. Wo sonst kann man die Tourenskier direkt vor der Haustüre anschnallen und losmarschieren? Wo sonst findet man noch so viele unberührte weiße Gipfelhänge in perfekter Abfahrtsneigung?
Im Sommer lockt vor allem die – auch geführt angebotene – Herz-Ass-Runde, die in Anlehnung an die hochalpine Unternehmung von Mariacher und Hofmann entstanden ist. Im Herbst ist es vor allem das unglaubliche Farbenspiel der gelben Lärchen gegen einen blitzblauen Himmel und weiße Gipfel, die das Villgratental unvergesslich machen.
Der Besuch dieses Osttiroler Bergsteigerdorfs, dieses Hochbelvederes, das von einem Herz aus Gipfeln umschlossen wird, lohnt sich allemal.
Tipp: Die Leisen Spuren sind eine Plattform für „nachhaltiges Reisen zu besonderen Plätzen“ im Villgratental.
Fakten: Bergsteigerdorf Villgratental, Osttirol
- Ortschaften: Außervillgraten, Innervillgraten
- Seehöhe: 1.287 m bis 1.402 m
- Gebirgsgruppe: Villgrater Berger
- Wichtigste Gipfel: Weiße Spitze (2.962 m), Rote Spitze (2.956 m), Hochgrabe (2.951 m), Degenhorn (2.946 m), Regenstein (2.891 m), Marchkinkele (2.545 m), Thurntaler Spitze (2.407 m).
- Schutzhütten: Volkzeiner Hütte, Friedl-Mutschlechner-Haus (Selbstversorgerhaus in Innervillgraten des Alpenverein Südtirol), Bonnerhütte
Übernachten (Bergsteigerdorf-Partnerbetriebe):
Hier findest du weitere Partnerbetriebe.
Links:
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Kalksteinjöchl
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Sommertouren im Villgratental
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