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Bergsage

Der Geißbub und die Kraftwurzel

• 2. August 2017
3 Min. Lesezeit

Pippi Langstrumpf als Hirtenjunge? Im Luzerner Entlebuch soll es einen kleinen Sennen gegeben haben, der Kühe stemmen und beim Schwingen selbst die stärksten Berner Oberländer auf die (Sägemehl-)Matte legen konnte. Und so kam es dazu.

Biosphäre Entlebuch
Foto: Switzerland Tourism - BAFU
UNESCO Naturpark Biosphaere Entlebuch: Blick von der Schrattenflue in Richtung Berner Alpen
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  • Gebirge: Emmentaler Alpen
  • Ort: Entlebuch, Luzern

Im Luzerner Entlebuch hatte ein Senn namens Lustenberger eine Alp, auf der sein Bub die Ziegen hütete. Eines Sommers bewirtete Lustenberger einen fahrender Schüler, der den ganzen Tag herumwanderte und allerlei heilsame Kräuter auflas. Nach vierzehn Tagen nahm er seinen Sack auf den Rücken und fragte den gastfreundlichen Senn, was er ihm schuldig sei. Doch der nahm nichts an und sagte, er dürfe wiederkommen, wenn es ihn gelüste.

Der fahrende Schüler dankte dem Sennen. Seinem Sohn, dem Geißbuben, der ihn auf seinen Wanderungen manchmal begleitete, wollte er doch etwas schenken und stellte ihm die Erfüllung dreier Wünsche zur Auswahl: „Entweder sollst du musizieren können wie weit und breit kein Mensch im Land. Oder du sollst Glück im Spiel haben, sodass du immer gewinnst. Oder aber du sollst enorme Kraft bekommen.“

Da musste der Geißbub nicht lange überlegen. Musikmachen war nicht seine Sache, beim Spielen musste man andere Leute um ihr Geld bringen. Kraft zu haben hingegen schien ihm sehr verlockend. Da überreichte ihm der fahrende Schüler eine Wurzel in die er jeweils vor Sonnenaufgang dreimal beißen sollte. Dann nahm er Abschied und ging bergabwärts.

Gleich am nächsten Tag, noch ehe der Hahn krähte, stand der kleine Geißbub auf und biss in die Wurzel. Sie schmeckte bitter, doch das nahm er gern in Kauf. Er ging hinaus und versuchte, die Grundschwelle der Sennhütte zu heben. Und siehe da, es ging ganz leicht. Auch mit einem Finger sein Bett hochzuheben und eine Kuh hochzustemmen, war kein Problem für ihn. Er freute sich unbändig und stellte seine neue Kraft gleich vor seinen Brüdern und Freunden unter Beweis.

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Eine weidende Kuh in der Lammschlucht zwischen Schüpfheim und Flühli im Entlebuch

Zu dieser Zeit veranstalteten die Entlebucher ein Schwingen (einen Ringkampf) gegen die Berner Oberländer. Das waren bärenstarke, stiernackige Sennen. Wie wacker sich die Entlebucher auch schlugen, den Riesen des Berner Oberlandes waren sie nicht gewachsen. Selbst die besten Entlebucher wurden geworfen. Doch sie gaben sich noch nicht geschlagen und sagten, sie hätten noch einen Geißbuben; erst wenn dieser auch auf dem Rücken liege, gäben sie's auf.

Nun musste der kleine Lustenberger in den Kreis treten. Als ihn die Oberländer Sennen sahen, lachten sie laut. Sein Kontrahent, ein Holzfäller und der stärkste Oberländer, war mindestens doppelt so groß wie er. Sie packten einander gut an, und der Oberländer dachte schon, er hätte gewonnenes Spiel, denn der Geißbub kam ihm leicht wie eine Feder vor. Aber dann langte der Geißbub zu, packte ihn flink an der Hose, hob ihn hoch und schleuderte ihn mehrere Meter weit von sich weg, bis er am Ende im Gras lag wie ein Baumstamm.

Von da an galt der Geißbub als der Stärkste im Land. Das kam seinem Vater gar dienlich, als er baute. Er wollte eine schwere Schwelle zum Hause führen lassen, die zwei Pferde nicht zu ziehen vermochten. Dann nahm sie der Bub auf die Schultern und trug sie ohne weiteres nach Haus. Auch ein paar Baumstämme, die im Graben lagen, trug er mir nichts dir nichts zum Hause.

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Alle Entlenbucher freuten sich – der kleine Geißbub war ganz klar der Stärkste im ganzen Land. Nur dessen Vater hatte die Ringkämpfe ruhig beobachtet. Am nächsten Tag nahm er seinen Sohn zur Seite und fragte ihn, wie er über Nacht so stark geworden war. Der Geißbub verriet ihm das Geheimnis von der Wurzel. Das missfiel seinem Vater, denn er befürchtete, dass sein Sohn nun verhext sei. Gemeinsam gingen sie zum Pfarrer. Er empfahl, die Wurzel weit weg zu werfen. Obwohl es ihm um die gewonnen Kraft sehr leid tat, befolgte der Geißbub den Rat des Pfarrers. Jetzt war er wieder der kleine Sennensohn – doch die Leute erzählten noch lange von seinem sagenhaften Sieg gegen die Berner Oberländer.

(Quellen: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915; www.sagen.at)

Schwingen zur körperlichen Ertüchtigung der Truppen zur Zeit des Ersten Weltkriegs

Die Sage heute: Besonders im Berner Oberland boomt auch heute das Schwingen, wie die Schweizer Variante des Ringens in Zwilchhosen und auf Sägemehl, die oft im Zuge von Alpfesten praktiziert wurde, genannt wird. Der Oberländische Schwingverband, der 1893 gegründet wurde, zählt über 4.500 Mitglieder. Den ganzen Sommer über werden Schwingfeste – etwa in Aeschi oder Meiringen – veranstaltet.

Hier findest du alle Informationen rund ums Schwingen in der Schweiz.

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