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Das Sennentuntschi

Wissenswertes

3 Min.

12.05.2017

Foto: mauritius images/ Renato Bordoni

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Die Sennenpuppe – eine Frauenpuppe aus Stroh – ist ein in weiten Teilen des Alpenraums bekanntes Sagen-Motiv, ihre Verbreitung reicht in unterschiedlichen Variationen von den Berner Alpen bis nach Tirol und Kärnten. In der Schweiz treibt sie als „Sennentuntschi“ ihr Unwesen – und sorgte auch schon außerhalb der Berge für handfeste Skandale.

  • Gebirge: Schwyzer Alpen
  • Ort: Wissenboden, Kanton Uri

Die Sennen vom Wissenboden hatten nicht allzu viel zu tun, so verbrachten sie viel Zeit mit Träumereien. Ein großes Thema waren natürlich die Mädchen im Dorf. Sie wünschten sich sehr, bei ihren Liebsten zu sein, doch die Alpwirtschaft – seit jeher Männersache – war mit diesem Begehr nicht vereinbar.

Eines Tages tauchte der Meistersenn plötzlich mit einer Puppe auf. Er hatte das Tuntschi heimlich gebastelt. Den Kopf machte er aus einem Stück Holz, das er auf eine Mistgabel gesetzt hatte, verziert mit Augen, Nase und einem roten Mund. Die blonden Haare ersetzten gelbe Bänder und sogar große Brüste aus Strohballen hatte das Tuntschi.

Die Sennen waren hoch erfreut, führten das Tuntschi zum Tanz aus und reichten es von Mann zu Mann. Am nächsten Tag saß es mit ihnen bereits am Tisch. Es bekam wie alle anderen auch einen Teller und die Sennen fütterten es mit ihren Löffeln. Selbst die Nacht musste das Tuntschi nicht alleine verbringen – ein Senn nach dem anderen nahm es mit in sein Bett und wärmte es.

Doch den Sennen war ihr Tuntschi noch nicht menschlich genug. Eine Entschluss wurde gefasst: Es musste getauft werden. Statt des Weihwassers nahmen sie einen Eimer Jauche zur Segnung. Als sie den Täufling damit begossen, öffnete das Tuntschi zu ihrem Entsetzen die Augen und lief davon.

Als die Sennen in ihre Hütte eintraten, saß das Tuntschi dort breitbeinig am Tisch und löffelte ihnen den Rahm weg. Danach verschlang es den Käse und alles Brot, sodass den geschockten Sennen nichts mehr zum Nachtmahl übrig blieb.

Nach einiger Zeit wurden die Sennen immer wütender. Schließlich packten sie das Tuntschi und rissen es in Stücke. Die Sache sollte nie wieder erwähnt werden, sie wollten sich ab jetzt ganz und gar ihrer Arbeit widmen. Doch als sie abends heimkamen, saß das Tuntschi wieder in der Hütte und aß. Da packten es die Sennen, zerrten es hinaus und stießen es in eine Schlucht. Am nächsten Abend aber begrüßte das Tuntschi ihre Gastgeber erneut mit Gelächter und streckte ihnen den nackten Hintern entgegen.

Den Männern blieb nichts anderes über, als sich an den Dauergast zu gewöhnen. Das Tuntschi verschlang Unmengen an Essen und kommandierte die Sennen nach Belieben herum, doch es wollte auch nicht alleine in einem Bett schlafen, was ihnen wiederum gefiel. So wechselte es wie früher von Bett zu Bett.

Der Sommer verging und die Alpabfahrt stand bevor. Die Sennen zermarterten sich immer mehr den Kopf. Würde sie das Tuntschi einfach gehen lassen? Oder würde es am Ende gar mit ihnen ins Dorf mitgehen wollen?

Sie beschlossen ihre Sachen zusammenzupacken und sich so leise wie möglich davonzuschleichen. Doch als die Sennen gerade auf Zehenspitzen Richtung Tal verschwinden wollten, knarrte die Tür und das Tuntschi kam heraus. „Nicht so schnell, meine Herren“, herrschte es sie an. „Ihr habt euren Spaß mit mir gehabt, jetzt will ich auch etwas Spaß mit euch haben! Leider kann ich nicht mit euch ins Tal gehen, einer von euch muss daher bei mir bleiben“, sagte das Tuntschi und zeigte dabei auf den Meistersenn.

Ratlos sahen die anderen Sennen den Meistersenn an. Der spielte den Starken und trug ihnen auf, schon mal ohne ihn vorauszugehen. Er würde die Angelegenheit klären und gleich nachkommen.

Die Sennen rannten erleichtert davon. Erst als sie die Baumgrenze erreicht haben, wandten sie sich um. Das Mark gefror ihnen in den Knochen. Vor der Hütte lagen die blutigen Überreste des Meistersenns. Das Sennentuntschi hatte ihm die Haut abgezogen und nagelte sie gerade zum Trocknen auf das Dach der Alphütte.

(Quelle: Felix Ruhl, Schweizer Bergsagen, Basel 2009)

Die Sage heute: Die Sage vom Sennentuntschi ist im gesamten Alpenraum verbreitet und spiegelt Sehnsüchte und Wünsche der Senner wider. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden die Alpen zumeist ausschließlich von Männern bewirtschaftet, der Aufenthalt von Frauen auf der Alp galt als unglücksbringend. Noch im Jahr 1981 sorgte die Erzählung in der Schweiz für einen Skandal. Grund waren nicht die erotischen Anspielungen, sondern das geschilderte Taufen einer Puppe. Als das Schweizer Fernsehen das Theaterstück „Sennentuntschi“ ausstrahlte, wurde Anzeige wegen Blasphemie erstattet.

2010 hatte schließlich der Schweizer Film Sennentuntschi von Michael Steiner auf dem Zurich Film Festival Premiere. Skandale blieben aus, dafür gewann der Film die Schweizer Filmperle des Filmfestivals Locarno (Trailer).

Tour

Einer der Orte, an denen das Sennentuntschi erschienen sein soll, ist der Wissenboden oberhalb von Bürglen im Kanton Uri.

Unterwegs auf dem aussichtsreichen Natursträsschen
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