Der Schlangenbanner
Um die Madrisa im Rätikon (2.770 m) ranken sich besonders viele Sagen. Eine handelt von einem seltsamen Männchen, das die Hirten der Saaseralp – eine der schönsten im Prättigau – von einer Schlangenplage befreite. Mit fatalen Folgen!
- Gebirge: Rätikon
- Ort: Graubünden, Saas im Prättigau, Saaseralp, Davos Klosters
Heute gilt die Saaseralp auf der Sonnenseite des gewaltigen Madrisahorns als eine der schönsten Alpen im graubündnerischen Prättigau – doch das war nicht immer so. Einst war die Alp mager und trocken, und das Vieh, das dort sömmerte, sah schmal und hässlich aus. Unzählige Schlangen trieben dort oben ihr Unwesen. Das war auch für die Hirten kein Honigschlecken – wo sie auch gingen, überall ringelte sich zischend giftiges Gewürm empor und bedrohte sie. Eine Kuh nach der andern wurde gebissen und musste abgetan werden.
Eines Abends, als gerade ein Hirt nach Saas hinunter den Bericht brachte, es sei soeben die vornehmste Kuh auf der ganzen Alp von einer giftigen Schlange getötet worden, kam ein kleines, fremdes Männchen – ein fahrender Schüler – ins Dorf gewandert. Als man ihm von den giftigen Schlangen auf der Saaseralp erzählte, blinzelten seine grauen Augen seltsam unter den überhängenden Augenbrauen hervor. Er wollte aber noch mehr von diesen Schlangen wissen und fragte die Bauern lange aus. Zuletzt wollte er – fast ängstlich – wissen, ob sie unter den vielen Schlangen auf der Alp nie eine weiße gesehen hätten. Als aber die Älpler alle laut versicherten, dass sie dort ihr Lebtag noch nie weiße Schlangen erblickt hätten, war das seltsame Männchen beruhigt und bot an, die Schlangen auf der ganzen Alp zu bannen und unschädlich zu machen.
Das freute die Bauern von Saas sehr. Doch trauten sie der Sache nicht ganz. Sie wollten es erst mit eigenen Augen sehen. Also führten sie das Männchen auf die Alp. Er machte mit Reisig und Heidekraut drei große Haufen. Auf diese Haufen warf er ein paar Hände voll eigenartiger Kräuter und Wurzeln und zündete sie danach an. Und nun nahm er feierlich das Käpplein ab, zog ein silbernes Pfeiflein aus der Tasche und fing zu pfeifen an, während er unter wunderlichem Getue um die drei Haufen herumschritt.
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Eine Weile blieb alles mäuschenstill. Die Saaser Bauern wagten kaum zu atmen. Sie waren sehr gespannt darauf, was da wohl noch geschehen werde.
Da auf einmal krochen zum Schrecken der Saaser von allen Seiten, einzeln und in ganzen Knäueln, die Schlangen herbei. Schnurstracks, fürchterlich zischend, stürzten sie sich allesamt ins Feuer, das aus den drei Haufen hoch aufloderte, wo sie unter schrecklichem Gewinsel und hochaufschnellend verbrannten und verkohlten.
Schon freuten sich die Hirten, denn die Schlangen schienen alle im Feuer zugrunde gegangen zu sein. Auch das kleine Männchen atmete auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Doch da rollten plötzlich unter schauerlichem Gezische in großen Windungen drei ungeheure weiße Schlangen daher, von denen jede ein goldenes Krönlein auf dem Kopf trug.
Erst war der fahrende Schüler wie versteinert dagestanden. Dann stieß er auf einmal einen entsetzlichen, Berg und Tal durchgellenden Jammerschrei aus und rannte, so schnell er konnte. Doch die weißen Schlangen, die Rache am Feuertot ihrers Volks nehmen wollten, verfolgten ihn pfeilschnell. Kurz vor einem Bach, über den er springen wollte, packten sie ihn. Er heulte so schrecklich auf, dass den Saasern die Knie schlotterten. Jetzt krochen die weißen Schlangen am Männchen empor und quetschten es zu Tode. Dann rissen sie ihm das Herz aus dem Leib und verschwanden im Farnkraut.
Heute noch heißt jener Bach, an dem der fahrende Schüler so elend umkam, der Schreierbach, denn die Saaser konnten die schrecklichen Schreie, die das Männchen ausstieß, nicht mehr vergessen. Von Schlangen aber merkte man von da an diesseits des Baches nie mehr etwas.
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Die Sage heute: Die Madrisa (2.770 m) ist ein sagenumwobener Berg, um den sich neben jener des Schlangenbanners noch viel mehr Sagen ranken. Im Sagenpark Madrisa-Land in Klosters können Kinder die Sagen- und Märchenwelt des Prättigaus spielerisch erleben.
Tourentipp:
Am Ende dieser dreistündigen Rundwanderung am Madrisahorn bietet sich ein Besuch im Erlebnispark Madrisa-Land an.