Die Musik bleibt im Tal
Foto: Marco Rossi
Über den Soundtrack Österreichs, den Berg vor dem Fenster und den magischen Erstkontakt mit Grönland. Der Künstler Hubert von Goisern über Landschaft, Stimmung und Musik. Das Interview ist im Bergwelten Magazin (Februar / März 2016) erschienen.
Text: Christian Seiler
Bergwelten: Sie haben für „Oben und Unten“, den Österreich-Film Ihres alten Freundes Joseph Vilsmaier, viele Berge von oben betrachtet. Wie vertont man Berge, wenn man nicht zu ihnen aufschaut?
Hubert von Goisern: Ich konnte auf Melodien zurückgreifen, die aus den alpinen Tälern stammen. Wenn ich sie schon nicht selbst geschrieben habe, dann sind das alte Volksweisen oder Jodler, die die Berge in sich tragen.
Was heißt das? Was ist in der Musik ein alpines Motiv?
Die klassischen Intervallsprünge. Die Quint, die Oktav. Und in weiterer Folge die Terz und die Quart. Die Melodien hanteln sich entlang der Dreiklänge rauf und runter. Das hat für mich was sehr Alpines.
Wie machen Sie eigentlich Filmmusik, technisch betrachtet?
Ich schaue mir den Film an, und es fällt mir etwas dazu ein. Ein Klang, ein Instrument, eine Melodie. Ich setze mich dann ans Klavier oder nehme die Gitarre, die Trompete zur Hand – und spiele dazu und schau, was das macht.
Woran orientieren Sie sich?
Du bekommst ein Gefühl für die Farben, die im Bild sind. Dann schaue ich, dass ich mit der Musik in derselben Farbstimmung bleibe. Oder ich denk mir, dass es eine Komplementärfarbe braucht, um der Stimmung der Bilder ein anderes Gewicht entgegenzusetzen.
Sind die starken, bunten Farben das Dur und die Pastellfarben das Moll des Komponierens?
Das wäre zu einfach. Aber natürlich denkt man bei Moll eher an dunklere Farben, auch an Blau. Wenn der Film in Dunkel blau gehalten ist, denke ich mir vielleicht, es braucht jetzt ein Licht, das da reinfährt.
Sie haben erst nach langem Nachdenken zugesagt, „Oben und Unten“ zu vertonen.
Vilsmaier hat mich angerufen und gebeten: „Mach mir bitte die Musik.“ Ich habe dreimal nein gesagt. Er hat mich dann aber überredet, und ich bereue es überhaupt nicht. Ich habe die Arbeit als große Chance erkannt, dass ich den Soundtrack für unser Land abliefere.
Am Soundtrack für unser Land arbeiten Sie im Grunde doch schon sehr lange.
Ja, in gewisser Weise schon. Aber vielleicht ist es ein bisschen anmaßend, wenn ich das selbst über meine Musik sage.
Das habe ja ich gesagt.
Okay. Aber ich bin mir dessen schon bewusst, dass eine Nummer wie „Heast as net“ für unsere Kultur, für unseren Geschmack und Geruch, für unser Miteinander und Gegeneinander steht.
Ist alpine Landschaft untrennbar mit der Volksmusik verbunden?
Ja.
Ist das nicht auch eine Kitschfalle?
Natürlich. „Oben und Unten“ zeigt Österreich ja nur von der schönsten Seite. Der Vilsmaier Sepp kann einen Mistkübel filmen, und schon fängt er an zu blühen und du denkst dir: schön! Das macht es für den Komponisten nicht leicht, plötzlich mit Gefährlichem, Schrillem reinzufahren.
Wie halten Sie es eigentlich mit den echten Bergen? Als Sie Ihren Namen gewählt haben, war das ja eine Absichtserklärung: Ich bin ein Kind dieses alpinen Landes. Stimmt das noch? Für Ihr echtes Leben?
Es stimmt total. Auch wenn ich nicht mehr so viel in die Berge komme wie früher. Das liegt an meiner mangelnden Fitness.
Das Alpine ist Ihnen also als Kultur geblieben und nicht mehr als unmittelbare Naturerfahrung?
Ja. Aber ohne die alpine Optik, glaube ich, könnte ich nicht leben.
Sie brauchen einen Berg, wenn Sie beim Fenster rausschauen?
Ja, unbedingt.
Was sehen Sie beim Blick aus Ihrem Fenster?
Den Hohen Göll, den Untersberg natürlich. Das Tennengebirge. Den Gaisberg. Ich habe mein Haus so gebaut, dass ich in die Berge schaue. Die Ebene ist hinter mir.
Hat die Gegenwart der Berge nicht auch etwas Beängstigendes?
Ich kenne Leute, die das sagen. Meine zweite Frau Kate, die aus Kanada kam, hat sich in den Bergen nicht wohlgefühlt. Sie fand das Panorama zwar eindrucksvoll und „awesome“, aber in der Nacht, wenn schlechtes Wetter war und man die Berge gar nicht gesehen hat, hat sie sich gefürchtet. Auch wenn du sie nicht siehst: Du spürst die Berge. Das finde ich persönlich super, aber für viele Leute ist es zu viel.
Warum eigentlich?
Weil die Berge größer sind als wir.
Haben für Sie nur die Berge diese monumentale Ausstrahlung?
Nein. Der Ozean ist monumental. Die Wüste ist monumental. Große Flusslandschaften haben etwas Ewiges und weisen uns einfach den Platz zu, den wir wirklich innehaben. Die Natur lässt es nicht zu, dass wir uns aufblasen und wahnsinnig wichtig nehmen. Sie suchen solche Plätze.
Sie sind die Donau hinauf und hinunter gereist, um mit Locals zu musizieren. Reizte Sie allein die Musik, oder suchen Sie nach Ihrem Platz in der Landschaft?
Ich bin ein neugieriger Mensch und mag es, mich in neuen Kontext zu stellen. Ob es jetzt die Flusslandschaft der Donau ist oder die Landschaften Amerikas, wo ich nächstes Jahr wieder auf Tournee gehe. Oder ob ich nach Afrika fahre, was ich auch hin und wieder gemacht habe. Aber vertraut sind mir nur die Berge.
Sind Sie deshalb auch nach Grönland gereist? Um sich selbst in einen neuen Zusammenhang zu stellen?
Ja. Grönland war fast das Geilste an Landschaft, das ich bis jetzt erlebt habe. Ich glaube, ich suche eine Umgebung, die nicht vom Menschen gemacht ist, sondern dieses Jungfräuliche, Erhabene hat. Das bietet Grönland zur Potenz.
Was hat Sie so beeindruckt?
Der Erstkontakt war magisch. Ich war inzwischen schon viermal in Grönland, und ich konnte mich ein bisschen an das Monumentale der Landschaft gewöhnen. Ich fühlte mich beim letzten Besuch nicht mehr ganz so klein wie beim ersten Mal.
Könnte es Sie reizen, in so einer Umgebung zu leben?
Es ringt mir auf jeden Fall großen Respekt ab zu sehen, wie Leute in einer so kargen Umgebung zurechtkommen. Das gilt aber auch für das Leben in den Bergen bei uns. Wer sein Haus in die Abgeschiedenheit hineinbaut, braucht Mut. Du kannst zwar die Schönheit der Natur genießen, musst aber ihre Bedrohungen aushalten.
In der Realität verwaisen die alten, exponierten Siedlungsgebiete.
Es hat mich sehr bedrückt, als ich in Grönland gesehen habe, wie kritisch die Umstände für die jungen Leute werden, für die nächste Generation. Wenn du weißt, hier haben viele Generationen von Menschen gelebt, aber jetzt geht sich das nicht mehr aus.
Wenn Sie in die monumentale Landschaft Grönlands schauen, hören Sie dann Musik? Verbinden sich die Bilder in Ihrem Kopf automatisch zu einem Soundtrack?
Ich höre dann nicht meine eigene Musik. Ich höre Musik, die es dort gibt, auch wenn sie gerade nicht erklingt. Ich habe ja lange Zeit in Kanada gelebt und mich ein bisschen in die Inuit-Musik aus den Northwest Territories und Yukon eingehört. Das ist diese Schnaufmusik, wo drei, vier Frauen miteinander, aber auch gegeneinander singen. Das höre ich.
Sie selbst machen an der Grenze zwischen Romantisierung und Echtheit Musik. Wenn ich an das Video von „Heast as net“ denke: Viel mehr Romantisierung geht nicht. Und trotzdem ist alles unglaublich schön: Landschaft, Stimmung, Musik. Denken Sie sich manchmal: Jetzt bin ich zu weit gegangen?
Nein, das habe ich mir noch nie gedacht.
Sondern?
Ich denke mir meistens, dass ich danebenliege. So war es zum Beispiel bei „Brenna tuats guat“. Ich dachte: Das hätte echt ein geiles Lied werden können, aber der Text hat solche Brüche drinnen, da geht sich ein richtiger Hit nicht aus. Und als es dann doch zum Hit wurde, hat sich das Lied wie ein Kind bei mir beschwert: Du hast geglaubt, ich bin nicht gut! Jetzt habe ich es dir aber gezeigt!
Hören Sie das Lied heute anders?
Ja. Wenn ich es jetzt höre, denke ich: Wahnsinn, was für ein Wurf.
War das bei Ihrem größten Hit auch so, dem „Hiatamadl“?
Beim „Hiatamadl“ dachte ich mir: Das könnte echt ein Hit werden. Aber wenn es ein Hit wird, dann habe ich ein Problem.
Wieso Problem?
Weil ich nicht mit so einer Musik berühmt werden wollte. Und es war ja dann auch so. „Heast as net“ ist auf derselben CD wie das „Hiatamadl“ gewesen, wurde aber nie im Radio gespielt. Wissen Sie, wann „Heast as net“ zum ersten Mal in den Charts war?
1992?
2012
Wirklich? Aus welchem Grund?
Downloads. „Brenna tuats guat“ ist durch die Decke geschossen, und die Leute haben sich mit meinem Frühwerk beschäftigt und massenhaft „Heast as net“ runtergeladen. Dadurch ist das Lied gechartet, zum ersten Mal.
Gleichzeitig wahrscheinlich das Lied, mit dem Sie jetzt am meisten assoziiert werden?
Ja.
Wenn Sie jetzt auf einen Berg gehen: Verleihen Sie Ihrer Freude Ausdruck? Rufen oder jodeln Sie?
Am Gipfel gibt es keine Akustik. Wenn du ganz oben bist, gibt es nichts, was deine Stimme reflektiert. Du kannst runterschreien, aber unten kommt nicht viel mehr als ein dünnes Stimmchen an. Für das optimale Echo muss ich nicht in die Berge gehen. Da reicht es, wenn ich in Wien durchs Michaelertor mit seiner fantastischen Kuppel gehe.
Wo der Jodler besser als am Gipfel klingt?
Eindeutig. Das hat auch Fergus Fleming in seinem Buch „Nach oben“ beschrieben. Da gibt es die Szene, in der die Engländer den Montblanc besteigen und am Gipfel „God Save the King“ gesungen haben. Sie haben sich nachher geschworen, niemandem zu erzählen, wie mickrig das geklungen hat.
Haben Sie nicht am Gipfel die besten Ideen?
Am Gipfel habe ich überhaupt keine Ideen. Da empfinde ich das Geräusch des Windes und die Stille als vollkommene Komposition. Alles, was ich dort mache, würde stören. Die besten Einfälle kommen mir im urbanen Gebiet, wo es eh schon laut ist. Da denke ich mir: Jetzt setze ich noch einen drauf.
Am Gipfel schweigen, im Tal singen?
Die Musik bleibt besser im Tal.
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