Im Fluss der Wüste
Foto: Ana Zirner
Ana Zirner folgt zurzeit dem Colorado River – 2.330 km, von seinem Ursprung in den Rocky Mountains bis an den Golf von Kalifornien in Mexiko. Rund um Las Vegas trifft sie auf Klapperschlangen und neue Freunde.
Es tut unendlich gut im kühlen Wasser des Colorado River unterzutauchen. Besonders nach acht Stunden Paddeln durch die Wüste. Es ist 14 Uhr 30 und die Hitze hat den Tag seit einigen Stunden fest im Griff. Keine fünf Minuten liege ich auf dem kleinen Sandstrand vor meinem heutigen Camp, und schon bin ich wieder trocken und bereit für das nächste Bad.
In ein paar Tagen passiere ich die Grenze nach Mexico. Aktuell bin ich noch in Kalifornien, beziehungsweise in Arizona, dem Bundesstaat, der auf der anderen Seite des Flusses liegt. Ich ziehe mich in den Schatten unter dem kleinen Baldachin zurück und genieße den Luxus des sich darunter befindenden Picknicktisches, um mal wieder meine Reserven auszubreiten. Vor meinem nächsten und letzten Verpflegungs-Punkt an der Grenze in Yuma bleiben mir noch fünf gefriergetrocknete Abendessen, ein bisschen Müsli, Trockenmilch, zwei Äpfel, eine halbe Packung Cracker, sowie eine gute Portion Studentenfutter. Ich bin erleichtert, das reicht easy.
Dann fülle ich den Anmeldeschein für den Campingplatz aus, stecke 10 Dollar in das dazugehörige Kuvert und schiebe es in den Spalt des dafür vorgesehenen Blechkastens. Mir gefällt dieses System der unbewachten Campingplätze hier, zumal schon alleine der Schatten des Baldachins sein Geld mehr als wert ist. Die Landschaft bietet sonst nicht mehr viel Schatten am Flussufer, ich bin hier wirklich tief in der Wüste.
Einsamkeit und rare Schatten
Ich mag die Einsamkeit hier, obwohl sie völlig anders ist als eine Einsamkeit in den Bergen, die mir sehr viel vertrauter ist. Die Landschaft aus Dünen, Büschen und kleineren Bergen hat etwas Beruhigendes, die Nächte sind angenehm kühl und der hier ganz unaufgeregte Fluss fließt meditativ. Wirklich besonders ist das überraschend facettenreiche Vogelkonzert, das je nach Tageszeit variiert. Der lokale Native American-Stamm, die Mohave, bezeichnen sich als Vogelsinger. Ihre Zeremonien sind seit jeher vom Imitieren der Vogelstimmen geprägt, deren Melodien wiederum vom Fluss getragen werden. Der Vogelgesang diente ihren „Spirit Runners“, einer Art laufenden Boten, als Orientierung.
Die letzten Wochen, seit ich aus dem Grand Canyon hinausgespült wurde und mich von meinem OARS-Team verabschieden musste, waren sehr gemischt. Zunächst hatte ich glücklicherweise drei Tage Zeit, um das unermessliche Erlebnis des Grand Canyons zu verarbeiten. Die perfekte Kulisse dazu war der spiegelglatte Lake Mead, ein riesiger Stausee, über den ich gepaddelt bin. Izzy von Desert Adventures, eine neue Freundin vor Ort, hat mir ein Kajak geliehen, mit dem ich auf dem flachen Wasser sehr viel komfortabler vorankomme.
Der Anblick des Hoover Dam, ein unfassbarer Koloss aus Zement, der am Ende des Stausees regiert, hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Als Izzy mich unterhalb des Damms abgesetzt hat fühlte ich mich im Angesicht der imposanten schwarzen Mauer völlig machtlos und verloren. Schnell habe ich ihr den Rücken gekehrt und bin in den Black Canyon hinein gepaddelt.
Am folgenden Abend bin ich wieder einmal einer Klapperschlange begegnet. Glücklicherweise machen sie ja sehr deutlich auf sich aufmerksam, wenn man ihnen zu nahekommt. Ich wäre ihr sonst womöglich in der Dämmerung auf den Schwanz getreten, und das mögen sie gar nicht. Diese klapperte jedenfalls was das Zeug hält, während der vordere Teil ihres Körpers hoch erhoben war und der eingeringelte Rest sich surrend seitlich über den Sand bewegte. Ich habe einen großen Bogen um sie gemacht. Die Entscheidung, mein Zelt aufzubauen, anstatt – wie meistens – einfach draußen zu schlafen, fiel mir diesmal leicht.
Klapperschlange und neue Freunde
Nachdem ich mich ein paar Tage über die Ignoranz der Menschen und ihre Unmengen an liegen gelassenem Müll im sonst wilden Black Canyon geärgert habe, bekam ich Gesellschaft. Als meine Freundin Abbey ihr knallrotes Kajak neben mir ins Wasser gelassen hat, wurde alles besser und die folgenden Stunden haben wir uns einfach quatschend und Kaffee trinkend von der Strömung tragen lassen. Ich habe Abbey vor etwas über einem Monat beim Trampen kennengelernt und wir haben uns auf Anhieb so gut verstanden, dass wir uns spontan für diese Passage verabredet haben. Als „smokejumper” bei der Feuerwehr des Grand Canyon hat sie derzeit eine ganze Menge zu tun. Täglich müssen schlecht vorbereitete, dehydrierte oder verletzte Touristen per Helikopter evakuiert werden.
Die Tage mit Abbey werden mir sicherlich als mit die schönsten in Erinnerung bleiben. Wir paddeln lachend gegen den starken Wind der uns flussaufwärts entgegenpustet, springen nackt von Klippen und klettern abends mit Bier und Campingkocher auf einen kleinen Gipfel, um schweigend den spektakulären Sonnenuntergang zu beobachten. Wir reden über Männer und andere schöne Schwierigkeiten, machen lange Yogasessions und sammeln ohne Ende Müll. Es wurde ein schwerer Abschied, wir wären beide gern zusammen weitergereist. Aber ich habe inzwischen begriffen, dass die Abschiede ein wichtiger Teil meiner Reise geworden sind und ich bin einfach dankbar für die gemeinsame Zeit.
Es folgte meine größte Herausforderung auf dieser Reise bisher: Zahllose Motorboote und Jetskis verpesten Wasser, Luft und Atmosphäre. Vom Lake Havasu bis Parker war ich fast ausschließlich mit Kopfhörern voll guter Musik in den Ohren unterwegs und habe versucht einfach schnell zu paddeln. Mir ist völlig unbegreiflich, dass es hier offenbar keinerlei Limit für die Anzahl an motorisierten Wassersportgeräten gibt. Ich versuche wieder einmal Toleranz zu üben und Verständnis für eine Nation aufzubringen, die sich oft über die Größe ihrer Motoren definiert, aber es fällt mir wirklich schwer. Ich bin heilfroh, als ich diesen Trubel endlich hinter mir lassen kann und wieder in ruhigeren Gewässern paddle.
Aus dem Lärm
Und eben diese haben mich nun hierhergeführt, an meinen kleinen Sandstrand in der Wüste, in der Picacho State Recreation Area, wo mich vor einer Weile ein neugieriger Kojote beim Abendessen besucht hat. Er kam ganz nonchalante aus dem Schilf, blieb kurz stehen um mich zu mustern und entschied dann offenbar, dass ich ungefährlich sei aber auch nicht als Beute tauge. Er hat ein bisschen herumgeschnüffelt und sich dann ebenso cool und lautlos wie er gekommen war wieder verzogen.
Soeben ist die Sonne untergegangen und die Grillen und Frösche dominieren nun den Soundtrack, bis nachts vermutlich wieder die scheinbar immer liebeskranken wilden Esel übernehmen. Ich habe mich vor den erbarmungslosen Mückenattacken in meinem Zelt verschanzt, und vermutlich werde ich auch heute wieder um 20 Uhr schon tief und fest schlafen. Naja. Zumindest bis zu den ersten schrägen Arien der Esel.
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