Wildspitze: Auf die Nummer Zwei Österreichs
Über den zweithöchsten Berg Österreichs und die höchste Erhebung in Nordtirol: Die Wildspitze zieht jeden Bergsteiger in ihren Bann. Ihre Welt besteht aus ewigem Eis, obskuren Gletscherlandschaften – und ein „bissl Anhalten“ im Gipfelbereich. Ein Porträt.
Mit einer Höhe von 3.774 Metern ist sie der höchste Berg Nordtirols und der zweithöchste Berg Österreichs, ihre Schartenhöhe von 2.266 Metern wird im gesamten Alpenraum nur von drei Bergen übertroffen, nämlich Mont Blanc, Großglockner und Finsteraarhorn. Ihren Namen hat sie sich also redlich verdient, die Wildspitze. Die Tour hingegen ist nicht allzu wild, nur „mit a bissl zum Anhalten am Schluss“, wie Bergführer Raphael Eiter von der Bergführervereinigung Pitztal am Gipfel lässig bemerkt. Insgesamt sechs staatlich geprüfte Berg- und Skiführer aus dem Pitztal gehören der Vereinigung an.
A richtig steiler Zacken
Raphael Eiter, ein braungebrannter Pitztaler, dem das Glück aus jeder Pore dringt, ist Bergführer in vierter Generation. Der Urgroßvater war schon Bergführer, auch der Großvater und der Vater sowie alle Brüder des Vaters. Das Führen am Berg dürfte der Familie Eiter tief in die DNA eingeschrieben sein. „Wenn du die Wildspitz' von der Weißkugel aus siehst, ist sie aber a richtig steiler Zacken, richtig imposant“, relativiert Eiter die Verharmlosung der Besteigung zur Ehrenrettung der Wildspitze. Der Name passt schon, immerhin bewegt man sich konstant in dünner Luft. Auch im Sommer ist die Wildspitze von ewigem Eis und mächtigen Schneefeldern umzingelt. Ohne Gletscherausrüstung hat man hier nichts verloren.
Der Gletscherrückgang schafft zudem neue Gefahren in Form von Gletscherspalten. Die Besteigung der Wildspitze gleicht zuweilen der Durchquerung eines Minenfelds. Unterschätzen sollte man die hochalpine Tour darum nicht. Das wusste bereits 1861 der Bergsteiger und Alpenforscher Anton von Ruthner, der an der dritten Besteigung der Wildspitze beteiligt war. Ruthner berichtet in den „Mitteilungen der Kaiserlich-Königlichen-Geographischen Gesellschaft“ von der „Ersteigung der hohen Wildspitze im Oetzthale“ und hält fest, dass die beiden Bergführer-Brüder Nikodem und Leander Klotz ihn gleich nach der „Zurückkunft“ darum gebeten haben sollen, „ich solle ja gewiss beschreiben wie gefährlich es sei, damit niemand Lust habe hinaufzugehen“.
Beliebt auf Bergwelten
Zugleich verweist Ruthner aber auch auf den „Hochgenuss“ des Gletscherpanoramas, der seiner Meinung nach „größer als auf irgendeiner anderen Bergspitze in den österreichischen, vielleicht in den ganzen Alpen ist“. Der Gipfelblick wird nur durch die Erdkrümmung begrenzt und reicht bis in die Berner Alpen. Wohin man auch sieht: Prächtige Gletscher, hier das Schnalstal und die Dolomiten, dort die Similaunspitze, da Vent im Ötztal und die Stubaier Alpen, im Norden die Zugspitze. „Wir Pitztaler teilen uns die Wildspitze mit den Ötztalern“, erklärt Raphael Eiter.
Die Süd- und Ostseite des imposanten Dreitausenders fällt ins Venter Tal ab, einem Seitental des Ötztals, die West- und Nordflanke bilden den Talschluss des Pitztals, das den Ruf als eines der schönsten und wildesten Seitentäler der Ostalpen hat. Es besteht aus vier Gemeinden und einer Vielzahl an „zerrissenen Dörfern“. Wachsen kann das Pitztal nämlich nicht mehr. Was verbaut werden kann, ist verbaut. Alles, was jetzt noch Freifläche ist, fällt in die sogenannte rote, will heißen: lawinengefährdete Zone. Das ist der Grund für die Urtümlichkeit dieses wilden Tals in Nordtirol. Einzig die großen Busse, die sich mehrmals täglich durch das Tal schieben, verraten, dass es hier so ausgestorben gar nicht ist. Es sind E5-Busse, die müde Langstreckenwanderer zum nächsten Etappenziel karren. Davon kriegt man hoch oben auf der Wildspitze aber nichts mit.
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Eiswände von 50° Steigung
Erstbestiegen wurde sie 1848 durch Leander Klotz, der auch 1857 den ersten „Stadtherrn“, einen Kaufmann aus Wien, hinauf auf den Gipfel führte. Beide Male war der Südgipfel, der heutige Hauptgipfel, das Ziel ihrer Tour. Erst 1861 erklomm Leander Klotz auch den – damals noch höheren – Nordgipfel. Mit dabei war Bruder Nikodem Klotz und die Gäste Anton von Ruthner sowie ein Herr von Enderes. Sie stiegen allerdings – anders als Leander – nur auf den Südgipfel. Durch die Gletscherschmelze ist der Nordgipfel mittlerweile niedriger als der Südgipfel. Auch die „Eiswände von circa 50° Steigung“, von denen Ruthner in seinen Mitteilungen ehrfürchtig berichtet, sind mittlerweile durch die Schmelze entschärft, teilweise sogar gänzlich abgeschmolzen. Das mag die Tour einfacher gemacht haben, es gibt aber auch Erschwernisse im Vergleich zum 19. Jahrhundert.
„Wir haben einen extremen Gletscherrückgang seit 1980. Früher, wenn man von der Braunschweiger Hütte auf die Wildspitze gegangen ist, hat man das alles viel flacher anlegen können. Die Leut' damals haben um 100-200 Höhenmeter weniger machen müssen – die sind eine schöne Gletscherflanke im Zick-Zack hochgegangen. Heute muss man jedes Joch komplett absteigen und wieder aufsteigen.“
Wer von der Gletscherexpress-Bergstation auf 2.840 m über das Mittelbergjoch auf den Gipfel geht und über den Taschachferner zum Taschachhaus absteigt, bewältigt insgesamt 1.113 Höhenmeter im Aufstieg, 1.518 Höhenmeter im Abstieg und legt eine Strecke von 16 Kilometern zurück. Und das in durchwegs dünner Luft. Man muss sich den Gipfel des zweithöchsten Bergs Österreichs schon verdienen. Seine Spitze trägt nicht ohne Grund den Namen „Wild“ – auch wenn die Kraxelei hinauf auf den Gipfel für jemanden wie Raphael Eiter nur ein „bissl Anhalten“ ist.
Tourentipps
Die Wildspitze kann unter anderem von Vent über die Breslauer Hütte, vom Taschachhaus über den Taschachferner, von der Braunschweiger Hütte aus oder unter Nutzung der Pitztaler Gletscherbahn über das Mitterbergjoch bestiegen werden.
Ötztaler Wildspitze über Südflanke von Vent – Mit 3.768 Hm ist die Wildspitze der höchste Berg Nordtirols und der zweithöchste Berg Österreichs. Am Weg (insgesamt 16,8 Kilometer) hinauf gilt es, Gletscherspalten und Klettersteige gekonnt zu überwinden. Der Weg führt über Gletscherspalten und Klettersteige, im Hintergrund die Aussicht über die gesamte Tiroler Bergwelt. Gute Ausrüstung und hochalpine Erfahrung sind ein Muss. Sogar bis zum Gipfel kann man die Ski mitnehmen, um dann über die Nordwestflanke abzufahren. Alternativ führt eine Abfahrt über die Südflanke, mit bis zu 50° Gefälle.
Hütten
Vier Hütten dienen als Stützpunkt bei der Besteigung der Wildspitze – jeweils abhängig vom Ausgangspunkt der Tour.
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Weitere Infos:
Die Reise erfolgte auf Einladung des Tourismusverbands Pitztal.