15.700 Touren,  1.700 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Elias Holzknecht
Regionsportrait

48 Stunden in Brixen

• 4. November 2021
5 Min. Lesezeit

Ein Wochenende in Südtirol: mit neuen Kletterrouten und frisch geputzten Boulderblöcken, mit einer Jam-Session in Brixen und Tirtlan auf der ladinischen Alm.

Simon Schöpf für das Bergweltenmagazin März 2017

Einmal oben am Brennerpass, geht es kontinuierlich bergab: Rechts zieht das Pflerschtal, links das Pfitschtal vorbei, wenig später das 7.000-Einwohner-Städtchen Sterzing, bald schon wird aus dem Wipptal das Eisacktal.

Spätestens hier wünscht man sich kein Eis mehr ins warme Auto, sondern ein Gelato. Zwischen die traditionellen Apfelhaine mischen sich nun sattgrüne Weinreben – die Toskana lässt grüßen. So weit braucht man für ein mediterranes Lebensgefühl aber gar nicht zu fahren: Ausfahrt Bressanone, Brixen.

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Atemberaubendes Panorama, davor ein Mann in der Felswand.
Foto: Elias Holzknecht
Markus Hofer im Klettergarten Spiluck, hoch über dem Eisacktal: Die Route „Lobos Traum“ (7a+) hat er selbst eingebohrt.

1. TAG

15.00: Einklettern

Weil wir uns seit dem Brenner nicht bloß ein Eis, sondern auch soliden Fels wünschen, geht es schnurstracks zum Klettergarten in Franzensfeste. Kurzer Zustieg, nette Routen neben einer alten Burgruine: perfekt für einen ersten Pit Stop (im unteren Schwierigkeitsgrad 5c+). Weiter geht es in die Rush Hour (6b), die Kleinen vergnügen sich im Spiel mit Lego (5a+). Schon fließt das Adrenalin (6b+). Die Touren hier sind ideal zum Strecken nach einer langen Autofahrt.
Angekommen.

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Die Kletterwand „Wonderwall“.
Foto: Elias Holzknecht
Tolle Risslinie: Der Autor in der „Wonderwall“ (6c+) von der Franzensfeste.

19.00: Brixen Urban

Ins Zentrum der Eisacktal-Metropole Brixen ist es von Franzensfeste nicht mehr weit. Jedoch weit genug, um wahnsinnig große Lust auf ein Eis – Verzeihung, Gelato – zu bekommen. Das unumstritten beste weitum bekommt man an der Gelateria Pradetto in der Nähe des Doms – zugleich ein perfekter Anlass, zu Fuß die verzweigten Gassen der lieblichen Altstadt zu erkunden.

Dass in Brixen auch ein klein wenig Weltstadt steckt, merkt man spätestens beim Aperitif im Alten Schlachthof. Das Gebäude war von 1854 bis 1983 tatsächlich das, was der Name erzählt, dann war es lange ungenutzt und wurde letztes Jahr als hippes Restaurant wiedereröffnet. „Alte Struktur, neues Leben!“, sagt die charismatische Betreiberin Lissi Tschöll Obwexer. „Wir wollen mit dem Lokal im Grunde einfach sein, aber weltoffen – und eben ein bisschen anders.“

Das gelingt jedenfalls vorzüglich. Die Hintergrundmusik dazu liefern heute drei Brixner Mädels – eine Amy-Winehouse-Stimme covert „Another Brick in The Wall“. Dazu Radicchio-Risotto, Wildkräutersalat, Zucchini-Parmigiana. „Alles frische Zutaten aus der Region, aber exotisch zubereitet. Unsere drei jungen Köche sollen sich ausleben“, sagt Lissi und zeigt Richtung Plose, Brixens 2.562 Meter hohen Hausberg. „Allein von hier sehen wir zwei unserer Biolieferanten!“ Mit einem ausgedehnten Pianosolo – Nina Simone! – zur Schokomousse klingt der Tag ganz genüsslich aus.

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2. Tag

8.30: Bouldern & Klettern

Spiluck nennt sich die rustikale Bergsiedlung des Ortes Vahrn, einen Steinwurf nördlich von Brixen. Spiluck heißt auch der Klettergarten dort. In zahlreichen Kehren zieht die Straße vom Eisacktal steil nach oben – und nach oben will man im Sommer immer gern.

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Das Panorama auf 1.700 Metern: atemberaubend. „Links die Geislergruppe, daneben der Langkofel mit der Fünffingerspitze, hinten schaut sogar die Marmolada raus“, entschlüsselt Markus Hofer die Gipfelsilhouette.

Markus zog vor 8 Jahren nach Brixen und dachte sich: „Da bräucht’s einfach noch mehr zum Klettern!“ Also wurde Hand (und Bohrmaschine) angelegt, und der Klettergarten Spiluck entstand. „In enger Kooperation mit der Gemeinde Vahrn – das ist ziemlich einzigartig für ein Klettergebiet.“

Die Kletterrouten bieten alle einen grandiosen Ausblick, sind von der Schwierigkeit her aber doch eher etwas für Fortgeschrittene. Und weil Markus Architekt ist und deshalb auch gern zukunftsorientiert denkt, gibt es etwas unterhalb des Hauptsektors nun außerdem einen Kinderfelsen mit leichten Anfängerrouten. „Auch für meine zwei Kleinen. Wir wollten hier oben einen Platz schaffen, an dem man mit der ganzen Familie einen schönen Tag verbringen kann.“

Das funktioniert auch ohne Seil: Laura und Katharina, zwei Studentinnen aus dem nahen Sterzing, haben ihre Crashpads geschultert und sind heute zum Bouldern gekommen. „Spiluck ist sicher das schönste Gebiet in der Umgebung“, meint Laura.

Links und rechts neben dem Zustieg zu den Wänden – keine zehn Gehminuten vom Parkplatz entfernt – liegen zahlreiche Boulderblöcke im Schwammerlwald verstreut. Auch hier hatte Markus seine Finger (und Bürsten) im Spiel. 2013 fing er mit der Erschließung (und dem Putzen) der Blöcke an. „Linie für Linie hat sich so langsam ein richtig nettes Bouldergebiet entwickelt. Arbeit war’s genug!“, meint Markus. Es hat sich aber gelohnt, meinen wir.

Zwei Kletterer unterwegs vor sonnigem Panorama.
Foto: Elias Holzknecht
Idyllische Almwiesen am Würzjoch, darüber thront die Nordwand des Peitlerkofels (2.875 m).

16.00: Essen beim Ortner

Wenn dann mit der Nachmittagssonne auch der Hunger kommt, dann braucht man vom Parkplatz lediglich ein paar Kehren hinunterzufahren: Berggasthof Ortner, erste Abzweigung links.

Viel kitschiger kann ein Hof eigentlich gar nicht liegen: Ein paar Enten watscheln unbekümmert über die Wiese, im Hintergrund arrangieren sich die erhabenen Silhouetten steiler Dolomitengipfel. Die Augen runter ins Tal gerichtet, überblickt man ganz Brixen. Hier kann man bleiben. Die kulinarische Wahl für Kraxler und andere Sportler: „Südtiroler Kasnockn, die machen stark“, empfiehlt Markus.

Entsprechend gesättigt geht es weiter, ganz unten im Tal lockt der Vahrner See mit Abkühlung. Die fünf Minuten Spazierweg vom Parkplatz bis zum kühlen Nass sind selbst nach vier Kasnockn noch jedem zumutbar – zumal die kleine, sonnige Wiese am Ufer auch der ideale Platz für ein wohlverdientes Verdauungsschläfchen ist.

Der Berggasthof Ortner.
Foto: Elias Holzknecht
Der Berggasthof Ortner, hoch über Brixen.

3. Tag

08.00: Dolomiten für alle

Das Würzjoch ist der ideale Eintrittsort in die Wunderwelt der Dolomiten. Oben ist man schnell: Bloß einmal um die Plose, und schon ist man mittendrin. Sattgrüne Almböden, schroffe Felsen, hier und da eine verzwirbelte Zirbe – im Hintergrund sorgen die imposanten Nordwände des Peitlerkofels für eine stimmige Dramaturgie. Genau so haben wir uns Südtirol immer schon vorgestellt.

„Da heroben isch definitiv mei absolutes Lieblingsplatzl“, schwärmt Damian Lamprechter in charmantem Südtirolerisch. „A Ort, a wen’g zum Abschalten: Koane Leut, koa Geräusch, genialer Fels – was willsch mehr?“ Damian hat hier vor zehn Jahren begonnen, die alten, meist sehr fragwürdig abgesicherten Routen zu sanieren und gleichzeitig viele neue zu erschließen – die Locals nennen ihn deshalb ehrfürchtig „den Hausmeister vom Würzjoch“. Damian erinnert sich: „Am großen Block dort war noch gar nix drinnen. Die Kletterer von damals meinten, die Wand sei viel zu steil, da kann unmöglich wer raufkraxeln.“

Mittlerweile gibt es am Würzjoch Kletterrouten für alle Ansprüche – von ganz leicht bis ganz schwierig. Am besagten großen Block findet man vielleicht sogar Südtirols härteste Route. „Schwierigkeitsgrad 9a – wenn das Projekt denn endlich jemand durchsteigen könnte!“, meint der „Hausmeister“ und blickt sehnsüchtig den stark überhängenden Felsen hinauf.

Seine Freundin Lisa beweist, dass man die Sommertage am Würzjoch durchaus auch einmal gemütlicher verbringen kann. „Da drüben ist mein liebstes Picknickplatzerl – ideal für Sonnenverehrerinnen. Die Burschen sollen ruhig harte Routen klettern“, meint sie. „Wenn wir Mädels aber keine Lust mehr haben, dann gehen wir halt einfach runter zur Alm Kaffee trinken. Weit is’ ja nit.“

Ein Kalb auf der Fornella-Alm.
Foto: Elias Holzknecht
Uriges Kalb: eines der Jungtiere auf der Fornella-Alm.

13.00: Dreisprachig auf der Alm

Die Fornella-Alm liegt nur einen Steinwurf unterhalb des Klettergartens am saftig grünen Hochplateau und ist so urig, dass es unmöglich ist, nach dem Klettern an ihr vorbei zu spazieren.

Auf der Alm hört man neben dem geläufigen Italienisch und Südtirolerisch oft noch ein paar schwer zuordenbare Vokabeln: Ladinisch – eine alte rätoromanische Sprache – wird hier noch von rund 30.000 Menschen gesprochen. Die Kinder wachsen dreisprachig auf, neben „Klettergarten“ und „Palestra di Roccia“ steht auch das ladinische „Urt da Arpizé“ auf dem alten Holzschild, das in Richtung der Felsen weist – und zwar zuoberst.

Die Munt de Fornella, wie die Alm auf Ladinisch heißt, wird seit 25 Jahren von den Brüdern Albert und David Erlacher bewirtschaftet. Außerdem mit dabei: Acht zottelige Hochlandrinder – die „gehören schon zum Inventar“, meint David und wirft einen prüfenden Blick Richtung Weide.

Für hungrige Kletterer gibt es auf der Fornella bodenständige ladinische Küche, Carpaccio vom Biohochlandrind oder – immer sonntags – Südtiroler „Tirtlan“, ein traditionelles Schmalzgebäck.

Und obwohl wir gerade so gemütlich zusammensitzen, schweift der Kletterblick immer wieder vom Teller ab, Richtung Peitlerkofel-Nordwand. So viel gibt es noch zu entdecken. Das nächste Mal steigen wir dort ein!

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