Grenzgang mit Thomas Huber: Der Hohe Göll
Mit einem der besten Kletterer unserer Breitengrade auf seinen Hausberg gehen und dabei viel über das Leben lernen: Wir waren mit Thomas Huber am Hohen Göll bei Berchtesgaden unterwegs, ein bayerisch-österreichischer Grenzgang mit viel Tiefblick.
„Wenn man uns Berchtesgadener fragt, was der wichtigste Gipfel bei uns herinnen is, dann is des net der Watzmann, sondern der Hohe Göll.“ Ein klares Statement zur Begrüßung, Thomas Huber will das geklärt haben, und legt nach: „Da Göll is da schönste Berg, a wo ma ham. Er is einfach komplexer, verschachtelter, hat mehr Routen, im Sommer und im Winter a Traum.“
Klingt gut, das prüfen wir gerne nach. Wir sind eine motivierte Gruppe aus Bergwelten-LeserInnen, Berchtesgadener Bergführern und eben dem Thomas Huber, der uns heute auf seinen Hausberg führt, „a jeden Tag schaug‘ i vo meim Haus als erstes auffa aufn Göll.“ Zusammen mit seinem Bruder Alexander, mit dem wir letztes Jahr die Watzmann-Überschreitung unternommen haben, sind sie die Huberbuam, die wohl berühmteste und stärkste Bergsteigerseilschaft Deutschlands. Weltspitze im Sportklettern, Bigwall-Erstbegehungen von der Antarktis bis nach Baffin Island, Kinohelden – von diesem ganzen Ruhm merkt man im Umgang mit den Buam herzlich wenig, bayerisch-bodenständig sind sie beide geblieben, und als wir nach einer guten Stunde Fußmarsch bei der ersten Alm vorbeikommen, ruft Thomas der Wirtin zu: „Habt’s no a kalte Halbe?“
Der Durst auf bewährten bayerischen Hopfen ist verständlich, ist Thomas doch gerade erst von einer zweimonatigen Expedition aus der Latok-Gruppe in Pakistan zurückgekehrt, „des muss i erst amal verdauen.“ Da gibt es zwar vereiste 7.000er zu Hauf, aber weit und breit kein kühles Blondes. Vom Sonnenbankl des Perlerkaser steht er schon mächtig vor uns, der Hohe Göll, und unser nächstes Etappenziel winkt auch schon herunter: Das Purtschellerhaus, halb Deutsch, halb Österreich, die Landesgrenze läuft direkt durch die Hütte. Ein Grenzgang ist auch unsere gesamte Unternehmung, mit dem linken Fuß ist man in Salzburg, mit dem rechten in Bayern, „da könnt’s g’spian, wo’s euch besser gfällt“, meint Thomas mit einem breiten Grinsen.
Uns gefallen beide Seiten untertags gleichermaßen, am Abend aber die Terrasse mit der blau-weißen Fahne besser, denn die bekommt an diesem traumhaften Herbsttag auch noch die letzten Sonnenstrahlen ab. Als die Sonne dann hinter dem Kehlsteinhaus verschwindet, packt Thomas Huber aus seinem Rucksack Laptop und Beamer aus, wir bekommen zum Dessert einen seiner berühmten Vorträge, und das in intimer Runde in der alten Österreicher-Stube mit dem grünen Kachelofen. Bilder von den Granitriesen der Antarktis fallen auf die kleine Leinwand, Videos von der Speedbegehung der Nose im Yosemite, seine geliebte Latok-I-Nordwand. Den Anfang aber macht eine Route, die Thomas zusammen mit seinem Bruder Alexander bereits 1989 eröffnete, und zwar genau hier, am Westpfeiler des Hohen Göll: „Scaramouche“, die erste alpine Route im 10. Schwierigkeitsgrad der Alpen, und auch 30 Jahre später ist sie erst selten wiederholt worden.
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Die beschworene Vielseitigkeit des Hohen Göll, sie bewahrheitet sich auch in der Praxis. Wir wollen den nächsten Tag deutlich gemütlicher angehen und wählen den Schustersteig zum Gipfel, der kommt mit dem unteren zweiten Schwierigkeitsgrad aus. Zur Begrüßung gibt uns die Sonne ein traumhaftes Schauspiel am Grasrücken vor den Felspassagen, hier heißt es neben Staunen auch Helm auf, Gurt an. Über Felsbänder und Kamine geht es eindrucksvoll zum Gipfel auf 2.522 Metern, verschönert mit einem Kreuz inklusive Bergkristall. Mittlerweile ist die Sonne aber von Wolkenfetzen und soliden Sturmböen abgelöst worden, der Watzmannblick bleibt uns verwehrt. Dem Thomas taugt das natürlich, „da kommt a wen’g a Bergsteigerfeeling auf“, spricht der Alpinist in ihm, „is ja scho fast wie in Patagonien!“
Nach dem Gipfelfoto machen wir uns aber rasch an den Abstieg, das weite Alpeltal bietet wieder ein gänzlich andere Szenerie, schroff und einsam. „Da unten is mei Projekt für’n nächsten Sommer“, meint Thomas Huber, als wir an der Südlichen Alpeltalwand vorbeikommen, „Wollt’s no schnell zum Einstieg schauen?“ Mit mitreißender Begeisterung und gestikulierenden Armbewegungen erklärt er uns sämtliche Züge der Schlüsselseillänge, ein sechs Meter ausladendes Dach im oberen Wandteil. „Mei, wird scho bei 8c einchecken“, meint er resümierend, „aber es weat halt im Alter nit einfacher.“ Aber er, der mit über 50 noch immer im oberen zehnten Schwierigkeitsgrad klettert, dem glauben wir solche Worte nicht. Das Felspotential des Hohen Göll ist jedenfalls noch lange nicht ausgeschöpft, unsere Oberschenkel aber langsam schon. Geschenkt ist er eben nicht, der Göll, aber jeden Schritt wert.