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In geheimer Mission am Schilthorn

Regionen

6 Min.

17.10.2021

Foto: Julian Brückers

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Bob und Bond, Aufstieg und Abfahrt, frischer Pulver und erste Slaloms: Das Schilthorn ist ein Paradies für Wintersportler, vor allem auch abseits der Piste. Noch wissen das aber nur wenige.

Sissi Präsch für das Bergweltenmagazin Jänner 2019

Einen runden Abschluss mit dem Fegefeuer, das war „Albert Böbs“ Feuz wichtig. Wie kein anderer im Ort kennt sich der 76-Jährige mit dem Teufel aus. Und mit Hörnern obendrein. Sitzt man mit Böbs beisammen, muss man Zeit mitbringen. Der ehemalige Koch serviert die spannendsten Geschichten. Er erzählt von koscheren Gerichten, die er Produzentenlegende Harry Saltzman zubereitete. Davon, wie er aus Versehen Bond-Girls entkleidete.

Und natürlich auch vom Inferno, dem legendären Skirennen, das seit 1928 jährlich auf dem Gipfel des Schilthorns startet. Fünfzigmal hat er daran teilgenommen. Böbs führt ein wortwörtlich bewegtes Leben hier in Mürren, dem 400-Seelen-Ort, der sich im Berner Oberland am Schilthorn seinen Sonnenterrassenplatz gesichert hat.

2.969 Meter ist der Berg hoch, bekannt für seine spektakuläre 360-Grad-Aussicht und natürlich als 007-Schauplatz. Im Winter 1968/69 wurde hier ja „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ gedreht. Das kleine Mürren wurde daraufhin von Hollywood-Grössen eingenommen, das Schilthorn in Piz Gloria umgetauft und die Gondeln mit dem Logo des Bösewichts Blofeld verziert. Willy Bogner drehte seine legendäre Skiverfolgungsjagd unter anderem in der alten Bobbahn von Mürren.

Zum Showdown kommt es schließlich in dem futuristischen Gipfelrestaurant, das sich heute noch in 45 Minuten einmal um die eigene Achse dreht. Für die sensationelle Rundumsicht haben die Teilnehmer des Inferno-Rennens höchstwahrscheinlich kein Auge: für den Blick auf das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau, die gegenüber liegen und zum Greifen nah scheinen.

Oder gar für das ausapernde Flachland mit dem strahlend blauen Thunersee. Das Wallis hat man im Rücken, und die Lauberhornabfahrt gegenüber in Wengen kann man mit dem Auge abfahren. Dort stürzen sich die Weltcup-Profis eine viereinhalb Kilometer lange Strecke mit gut 1.000 Meter Höhenunterschied hinunter. Beim Inferno-Rennen sind es knapp 15 Kilometer und 1.990 Tiefenmeter.

1.850 Skifahrer treten auf der Kandahar-Piste an; sie rasen auf einem Gefälle von bis zu 88 Prozent bergab, pressen in den Flachpassagen, schieben keuchend in den Gegenanstiegen und fallen in Lauterbrunnen ins Ziel. Die Oberschenkel brennen, der Schweiß fließt – kein Höllenspaß ohne Höllenqualen.


Lieber Koch als Bond-Double

Fünfzigmal hat Böbs also an diesem Rennen teilgenommen, zweimal hat er es gewonnen. Jetzt war es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Knie und Hüfte seien nicht mehr echt, sagt er und lächelt verschmitzt, „der Rest aber schon noch“. Keine Sekunde zweifelt man daran. Böbs ist ein authentisches Urgestein, voller Geschichten über seine Heimat, speziell über die Drehzeit, in der fast jeder im Dorf als Statist diente. Böbs wurde einst als Bond-Double angefragt, aber er hatte gerade eine neue Küchenchef-Stelle angetreten, die er nicht riskieren wollte.

Allerdings wurde er immer wieder in Helis eingesetzt und sah so seine Bergwelt erstmals von oben. „Ein Wahnsinnserlebnis!“, schwärmt er. Vor ein paar Jahren ist er dann aber doch noch in die Agentenrolle geschlüpft: Als „alter Bond“ drehte er im feschen Smoking für die Bergbahn einen Clip. Besonders weit gebracht haben Böbs aber nicht die Ski, sondern das Alphorn, dessen warmer Ton ihn mit Anfang zwanzig packte.

„Unsere Melodien spiegeln ein wenig das Gemüt der Region wider“, erklärt er. „Sie sind eher gemächlich und voller Harmonie.“ Und die hat er hinausgetragen in die Welt, ist durch die USA getourt, war in Hongkong, Japan und dem Sudan. „Ich spiele aber auch gerne einfach vor meiner Haustüre“, sagt er und lässt die Lachfalten tanzen, „auf der Sonnenseite der Jungfrau-Region.“

Mürren räkelt sich tatsächlich auf einem weiten, wunderschönen Hochplateau unter den Sonnenstrahlen. Auf der einen Seite steigen die Hänge an zum Schilthorn, auf der anderen Seite fallen die Felsen schier senkrecht ab. Dort unten am Fuße der spektakulären Wand liegen Lauterbrunnen und Grindelwald auf 800 Metern. Doch das Klima oben in Mürren auf 1.650 Metern ist deutlich wärmer als im Tal.

Es ist schneesicher und dennoch offen, hell und warm. Es ist ein Paradies für Sportler, aber gleichzeitig entspannt und nicht überlaufen. Gefahren wird generell nur auf Skiern und Kufen – Mürren ist nämlich obendrein autofrei.

„Ja, wir sind schon sehr verwöhnt“, nickt Audrey Ramponi. Wir treffen die 27-Jährige beim Einkehrschwung im Restaurant Allmendhubel. Hinter uns liegt ein intensiver Skitag. Das Skigebiet am Schilthorn sieht zwar überschaubar aus, entpuppt sich dann doch als sehr weitläufig – und die Pisten haben es in sich. Die Oberschenkel ziehen, die Lungen pumpen, der Magen knurrt.

Audrey rettet uns schließlich mit der Spezialität des Hauses. Für die Kreation des Halfpipe-Burgers (selbstverständlich mit Raclette-Käse) ist nicht nur ihr Vater, Hüttenwirt Päsci, verantwortlich. Audrey erzählt uns den Ursprung: Als 14-Jährige initiierte sie mit Freunden einen alternativen Freeski- und Snowboard-Event.

„Wir hatten ein paar Schweinwerfer, ein Plakat, haben Kaffee gekocht, und die Einheimischen sind gesprungen.“ Inzwischen hat der lokale Wettbewerb nicht nur seinen eigenen Burger bekommen, sondern auch eine beeindruckende Karriere hingelegt: Das White Style ist heute offizieller Stopp der Swiss Freeski Tour.

„Wir sind vielleicht ein kleines Dorf, aber dafür rücken wir eng zusammen und stemmen Sachen gemeinsam.“ Am Anfang mag der eine oder andere gemurrt haben. Als sie allerdings gebraucht wurden, standen sie dann doch sofort parat: „Wir haben alles im Team: den Forstarbeiter, den Grafiker, den Marketingmann – jeder kann was, jeder macht was.“

Aber will man als junge Frau nicht auch mal raus? Audrey lacht und lässt uns verstummen, als sie ihre Länderliste aufzählt. Thailand, Kanada, Norwegen – zwischen den Saisons ist sie ein Globetrotter. „Es zieht mich schon in die Welt. Aber genauso zieht es mich wieder zurück. Wie gesagt: Wir werden schon sehr verwöhnt von der Natur hier oben.“


Ein verboten schöner Ort

Dem können wir nun wirklich nicht widersprechen. Und so wie das Schilthorn nach allen Seiten frei steht, so scheint das Gemüt in Mürren von einer entspannten Offenheit geprägt zu sein. Das Dorf sei eine gute Mischung, meint Audrey: „Es sind viele Junge hiergeblieben oder wieder zurückgekommen, und es ziehen auch Leute aus der ganzen Welt zu uns.“ Und so kommt es, dass wir auf Audreys Vermittlung früh am nächsten Morgen mit einer Tschechin und einem Neuseeländer auf Skitour starten.

Von den idyllischen Hütten in Gimmeln spuren wir mit Jana und Buzz Lorenzo hinauf zum Rücken der Wasenegg. Die beiden sind seit 2013 in Mürren zu Hause. Die 34-jährige Pragerin hat Buzz an ihrem letzten Ferientag in Neuseeland kennengelernt und mit nach Europa gebracht. Nach Mürren wiederum kamen sie wegen seiner Leidenschaft für das Base-Jumpen. Wir haben bereits gehört, dass Mürren einer der internationalen Base-Jump-Spots schlechthin ist. Gleich hinter der Post findet man die Absprungstelle, von der die Extremsportler die senkrechte Felswand hinabfliegen.

Dass Buzz heute mit uns bei strahlender Sonne durch den flockigen Tiefschnee stapfen kann, hat er wohl seinem Schutzengel zu verdanken. Beim Test eines Fallschirmprototyps kam er vor einigen Jahren fast ums Leben. Seitdem springt er nicht mehr und fliegt umso mehr. Als Gleitschirmpilot zeigt er seinen Gästen die Jungfrau-Region von oben. Jana bleibt mit beiden Beinen auf dem Boden und unterrichtet in der Skischule. Es ist eine wunderschöne kurze Tour zur Wasenegg, einem aufsteigenden Grat zwischen Schiltgrat und Hundshorn.

„Zum Warmlaufen und Einfahren“, hat Jana gemeint. „Dann können wir nachher noch neben der Piste freeriden. Es gibt ausreichend unverspurtes Gelände.“ In anderen Skigebieten wäre der perfekte Schnee schon längst zerpflügt. „Wir sind ein kleiner Geheimtipp“, sagt Jana. „Zu uns fahren viele Einheimische, während die dicken Mietautos vorne im Tal abzweigen.“

Das kann uns nur recht sein. Wir legen unsere Schwünge in Powder, landen mit einem breiten Grinsen in Gimmeln, stärken uns im unscheinbaren Bergrestaurant mit sensationellem Apfelkuchen und verbringen noch Stunden mit Abfahrten im Abseits von Schilthorn, Birg und Oberem Hubel.

Schließlich schwingen wir ein in Mürren, diesem verboten schönen Ort mit seinen traditionellen Holzhäusern, den acht Hotels, zwei Kirchen, einem Coop und den vielen herzlichen Menschen. Auf Ski fahren wir durch die Straßen. Es geht beschaulich zu, man grüßt sich. Ganz klar: Wir müssen wiederkommen. Böbs hat es uns schon zu Beginn prognostiziert: „Entweder einmal Mürren, immer Mürren – oder nimmer Mürren. Bei euch tippe ich auf Ersteres.“ Und der Mann muss es wissen, er ist ein fünfzigfacher Teufelskerl.