Friedrich Hölderlin: „Der Spaziergang“
Wir geben euch wieder ein Berggedicht mit in die Woche. Diesmal: „Der Spaziergang“ von Friedrich Hölderlin (1770-1843), einem der bedeutendsten deutschen Lyriker überhaupt.
Der Spaziergang
„Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemalt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Beliebt auf Bergwelten
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Auch beliebt
Ihr lieblichen Bilder im Tale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt Einem das herrliche Bild
Der Landschaft, die ich gerne
Besuch' in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blitzen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.“
Friedrich Hölderlin
Friedrich Hölderlin, geboren Johann Christian Friedrich Hölderlin, erblickte 1770 in Lauffen am Neckar in Baden-Württemberg das Licht der Welt. Nach einem Studium an den Universitäten Tübingen und Jena arbeitete Hölderlin sowohl als Hauslehrer als auch als Bibliothekar. Nebenbei versuchte er sich auch schon als Übersetzer.
1806 wurde Hölderlin aufgrund von „geistiger Verrückung“ zur Zwangsbehandlung ins Universitätsklinikum Tübingen verbracht. Fortan galt er seinen Zeitgenossen als wahnsinnig. Welcher Form des „Wahnsinns“ Hölderlin aufsaß, ist bis heute umstritten. Manch einer will glauben, Hölderlin habe nur simuliert, andere attestieren ihm rückwirkend Schizophrenie.
Gewiss ist: 1807 wurde Hölderlin als „unheilbar“ aus der Klinik entlassen und zur Pflege bei einem Tübinger Tischler und Bewunderer aufgenommen. Hölderlin nahm seine dichterische Arbeit wieder auf und unternahm regelmäßig ausgedehnte Spaziergänge. Wohl aus diesen Streifzügen durch die württembergische Landschaft konnte Hölderlin auch Inspiration für sein Schaffen ziehen. „Der Spaziergang“ legt davon eindrücklich Zeugnis ab.
1843 verstarb Hölderlin in Tübingen. Seine Poesie gilt bis heute als einer der unumstrittenen Höhepunkte der abendländischen Literatur.