Tiroler Gailtal – Über Grenzen hinweg
Foto: Hansjörg Schneider
von Christina Schwann
Kartitsch, Obertilliach und Untertilliach – die drei zwischen Karnischem Kamm und Lienzer Dolomiten eingebetteten Grenzorte wurden durch die Wirren des 1. Weltkrieges schwer erschüttert und sind heute ein Symbol für die Freundschaft über Grenzen hinweg. Christina Schwann hat das Tiroler Gailtal in Osttirol besucht.
Das Tiroler Gailtal und das Kärntner Lesachtal gehören eigentlich zusammen. Gemeinsam bilden sie ein Tal mit zwei Anfängen und zwei Enden. Kommt man von Osten fährt man über Kötschach-Mauthen ins Lesachtal und weiter, bis man die Grenze zu Osttirol passiert. Kommt man von Westen, biegt man nach Sillian vom Pusteral ab und folgt der Straße hinauf nach Kartitsch, dem ersten Bergsteigerdorf im Gailtal: eine stolze Kirche vor dem Bergpanorama der Hollbrucker Spitze, eine Handvoll alter Bauernhöfe, ein paar verstreute Weiler mit Kapellen und dazwischen Heumännchen in der Sonne.
Fährt man weiter über den Kartitscher Sattel – über die Wasserscheide – gelangt man nach Obertilliach, das für sein Biathlonzentrum bekannt und Austragungsort des internationalen Dolomitenlaufes ist. Das unter Denkmalschutz stehende Haufendorf selbst ist einzigartig in Tirol: die Dachgiebel zeigen alle in dieselbe Richtung, enge Gassen winden sich zwischen den alten Höfen und auf dem Feld, auf dem „Tilliacher Möser“, stehen zwei Kapellen und unzählige Heuschupfen.
Ein Stück weiter unten, schon fast an der Grenze zu Kärnten, befindet sich die Gemeinde Untertilliach: Kirche, Widum, einige alte Bauernhöfe auf der Sonnenseite.
Frontgebiet Karnischer Kamm
Nachdem 1871 die Pustertaler Bahn fertig gestellt wurde, erfreuten sich die Dolomitenorte wie etwas Prags, Toblach, Innichen, Sexten oder Weitlanbrunn regen Zuspruchs. Allein ins Tiroler Gailtal verirrten sich nur wenige Gäste. Am ehesten waren es noch Forscher und Botaniker, die vom Artenreichtum des Tales gehört hatten und den beschwerlichen Weg in das kaum erschlossene Tal auf sich nahmen.
Mit dem Beginn des 1. Weltkrieges war es dann mit der Idylle ohnehin schlagartig vorbei. Nicht nur, dass viele Männer an die Front gegen Serbien und Russland einrücken mussten, nur wenige Monate nach Kriegsbeginn, im Mai 1915, wurde das Tal selbst zu unmittelbarem Frontgebiet. Eiligst wurden befahrbare Wege in die Täler und Saumwege zu den Gebirgsstellungen am Karnischen Kamm gebaut. Verteilt auf das ganze Frontgebiet Karnischer Kamm wurden nicht weniger als 20 Kriegsseilbahnen errichtet.
Den erbitterten Kämpfen um die Grenzgipfel sowie der katastrophalen Situation im Tal, wo die ohnehin armen Ortschaften als Versorgungsstationen und Lazarette ausgeblutet wurden, widmete sich im Gedenkjahr 2015 eine berührende Ausstellung in Kartitsch. Entlang der Friedhofsmauer sind die gefallenen Kartitscher Männer gelistet – eine lange Reihe an Todesanzeigen.
Am Hochgränten befindet sich auf 2.429 m zudem der höchstgelegene Soldatenfriedhof Mitteleuropas. Die alten Grenzstellungen, die Pfade und Straßen – alles heute noch sichtbar und Mahnmal für die Gräuel dieser Zeit.
Weg des Friedens
Der Friedensweg entlang des Karnischen Kamms verläuft zum Großteil auf den damals angelegten Versorgungswegen und ist heute Symbol für ein friedliches Miteinander. Die Hütten wurden bereits in der Zwischenkriegszeit durch die damalige Sektion Austria des DuOeAV errichtet. Die Sektion beteiligte sich darüber hinaus am Wegebau, übernahm Kostenbeteiligungen für Vereinsheime und Klettersteige. Mit geführten Wanderungen brachte der Alpenverein zudem aktiv Gäste ins Tal. Sogar das Skitourengehen auf den sanften Gailtaler Alpen nahm in der Zwischenkriegszeit seine Anfänge. Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges kam der Tourismus allerdings gänzlich zum Erliegen.
Spuren der Vergangenheit
Heute präsentiert sich das Tiroler Gailtal mit den drei Gemeinden Kartitsch, Ober- und Untertilliach als eines der wenigen Tiroler Täler, das vom Massentourismus verschont geblieben ist. Obwohl nicht unter Naturschutz stehend, hat sich das Tal aufgrund seiner kleinräumigen Nutzungsvielfalt mit Almen, Hochmähdern, Wäldern und Gebirgsregionen zu einem wahren Hotspot für seltene Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Die alte bäuerliche Tradition, das gediegene Brauchtum und gepflegte Gasthäuser mit ausgezeichneter Tiroler Küche heben das Tiroler Gailtal aus der Fülle der touristischen Destinationen hervor. Als Bergsteigerdorf bietet das Tal zusätzlich ein ausgezeichnet gewartetes Wegesystem – sowohl am Karnischen Kamm mit den Hütten der Sektion Austria, als auch auf dem Gailtaler Höhenweg – , einige interessante Klettersteige – wie jenen auf die Große Kinigat, auf der das „Eurpoakreuz“ thront – , eine Fülle an Skitourenmöglichkeiten – insbesondere auf den sanften Hängen der Gailtaler Alpen – sowie ein kleines Skigebiet am Golzentipp.
Geprägt von der Geschichte als Frontgebiet sind die Talbewohner bescheiden und weltoffen zugleich. Wer zu Gast im Tiroler Gailtal ist, wird fühlen, dass die Geschichte nicht nur ihre Spuren hinterlassen hat, sondern sich auch in der Gegenwart durch den Karnischen Höhenweg oder durch Veranstaltungen wie den Dolomitenlauf ausdrückt. Und das ist gut so, denn die Menschen hier leben im Bewusstsein, dass „Vergessen“ die Gefahr der Wiederholung in sich birgt; einer Gefahr, der man ins Auge sehen will.
Fakten: Bergsteigerdorf Tiroler Gailtal, Osttirol
- Ortschaften: Kartitsch, Obertilliach, Untertilliach
- Seehöhe: 1.450 m
- Gebirgsgruppen: Karnischer Kamm, Gailtaler Alpen, Lienzer Dolomiten
- Wichtigste Gipfel: Dorfberg (2.115 m), Eggenkofel (2.590 m), Golzentipp (2.317 m), Große Kinigat (2.689 m), Hochspitz (2.581 m), Hollbrucker Spitze (2.580 m), Pfannspitze (2.678 m), Porze (2.589 m), Steinkarspitz (2.524 m)
Alpenvereinshütten:
Obstansersee-Hütte
Filmoor-Standschützenhütte
Porzehütte
Sillianer Hütte
Übernachten (Bergsteigerdorf-Partnerbetriebe):
Kartitsch: Hotel Waldruhe
Obertilliach: Hotel Weiler, Apartements Gannerhof
Links:
Touren im Tiroler Gailtal
Grenzlandwanderweg
Dorfberg von St. Oswald
Wanderung zur Filmoor-Standschützenhütte durch das Schöntal
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