Vent im Ötztal: Ein Besuch im Ur-Bergsteigerdorf
Foto: Werner Kräutler
von Werner Kräutler
Für Werner Kräutler ist Vent im hintersten Winkel des Tiroler Ötztals der Inbegriff eines traditionellen Bergsteigerdorfs. Nirgendwo sonst spüre man so sehr die Aura der Alpen – ganz besonders im Sommer, wenn tausende Schafe aus Südtirol auf die Nordtiroler Hochweiden getrieben werden. Für uns wanderte er zwischen Kultobjekten und sagenhaften Plätzen.
Für mich ist und bleibt Vent – auch historisch – das interessanteste Dorf Tirols. Nirgendwo anders ist die Geschichte der Alpen so greifbar wie hier. Ganz besonders von Mitte Juni an, wenn tausende Schafe aus Südtirol die Höhenrücken um Vent abgrasen. Die „Transhumanz“, der mehrtägige Schaftrieb von Südtirol auf die Nordtiroler Hochweiden, gehört zu den uralten Traditionen alpinen Lebens und wurde sogar als Weltkulturerbe geadelt. Vermutlich ist dieser „Weg der Schafe“ sogar ähnlich alt wie Ötzi, die weltberühmte Gletschermumie, die vor genau 25 Jahren quasi vor der Venter Haustüre aus dem Eis zum Vorschein gekommen ist.
Vent – Wiege des modernen Alpintourismus
Vent steht aber nicht nur für Tradition, sondern auch für äußerst moderne Ideen. Es war ein katholischer Kurat, der die Bedeutung der Alpen als Sehnsuchtsziel erkannte: Franz Senn. Seine Motivation, 1869 den Deutschen Alpenverein zu gründen, war ganz einfach: Als Kurat und Provisor der Pfarrgemeinde St. Jakob in Vent erkannte er rasch, dass der Lebensstandard der bitterarmen Bauern des Ortes nur durch den Tourismus angehoben werden kann. So kam ihm die Idee, in der majestätischen Bergwelt des Hinteren Ötztales Wege und Schutzhütten anzulegen, um zahlungskräftiges Publikum in die Bergeinsamkeit zu locken. Was ihm auch gelang.
Prähistorische Kultobjekte
Die Geschichte des Ortes reicht freilich weit länger zurück als bis zu den Anfängen des modernen Tourismus. Vent ist nachweislich schon vor mehr als 8.000 Jahre von Menschen geschätzt worden. Der „Hohle Stein“, kaum 30 Gehminuten von Vent entfernt, war schon vor Jahrtausenden ein sehr beliebter Treffpunkt, quasi ein „Sommerlager“ von Jägern der mittleren und jüngeren Steinzeit bis hinein in die Bronzezeit.
Ganz in der Nähe des Hohlen Steines hat der bekannte Ötztaler Volkskundler Dr. Hans Haid auf der sogenannten „Kaser“, einer einstigen Alm, prähistorische Steinsetzungen ausgemacht. Darunter einen Menhir in der Form eines Widderkopfes. Dass ausgerechnet hier eine Kapelle zu Ehren der heiligen Anna errichtet worden ist, scheint zu belegen, dass es sich bei der Kaser zumindest teilweise um einen Kultplatz gehandelt hat. Die Heilige Anna gilt im Christentum als Beschützerin von Quellen. Zudem erscheint die Spitze des Similauns von der Kaser aus betrachtet als gleichmäßiges Dreieck bzw. als gleichseitige Pyramide.
Dass Ötzi das heutige Vent als Lagerplatz prähistorischer Jäger gekannt hatte, darf als gesichert angenommen werden. Denn das heutige Vent wurde in der Vorgeschichte vor allem von Süden her erreicht, also über die Jöcher des Alpenhauptkamms wie das Nieder- und das Hochjoch. Zudem lassen Funde aus der Kupfer- und Bronzezeit bei den „Rofenhöfen“ darauf schließen, dass die Menschen damals schon Almen bewirtschafteten.
Die sagenhaften Rofenhöfe
Westlich von Vent gelegen, sind die Bergbauernhöfe seit Jahrhunderten Schauplatz von Sagen und Mythen. So soll der Tiroler Herzog Friedrich IV., von Kaiser Sigmund geächtet und finanziell völlig abgebrannt („Fridl mit der leeren Tasche“), auf den Höfen Unterschlupf gefunden haben. Friedl habe die Höfe nach seinem Aufenthalt mit dem Asylstatus versehen. Das heißt, Verfolgte konnten dort Schutz beantragen und durften von den Häschern nicht gefangen genommen werden. Die Romanfigur Geier-Wally sei so ein Fall gewesen, erzählt man sich in Vent.
Die Wally sei als Schafhirtin ins Ötztal gekommen und habe auf einer Schafalm im Rofental Schafe gehütet. Bei einem Besuch in Längenfeld habe sie dann etwas angestellt und musste flüchten. Auf den Rofenhöfen wurde sie aufgenommen. Der Erzählung nach wollten Gendarmen die Geier-Wally verhaften, wurden aber vom später berühmten Leander Klotz (er bestieg 1848 als erster den höchsten Berg des Ötztales, die Wildspitze) mit dem Hinweis auf das Asylrecht abgewiesen. Worauf – so die Erzählung – die Gendarmen unverrichteter Dinge wieder kehrt machen mussten.
Heute sind die Rofenhöfe ein ganz wunderbares Ausflugsziel. Von Vent aus in knapp einer Stunde Spaziergang über die Bartn’Ebene – einen exquisiten, hochalpinen Kunstpark – zu erreichen, ist meist das Gasthaus Alt-Rofen Ziel der Wanderer. Hier zelebriert die „lebende Legende der Höfe“, Anni Klotz, seit Jahrzehnten alpine Gastlichkeit. Die Tiroler Knödel des Hauses sind ein wahres Schmankerl alpiner Kost.
Was mich seit Jahren an Vent so fasziniert: Die Bevölkerung und auch die Hoteliers wehren sich seit langem standhaft gegen eine gemeinsame Skischaukel mit dem Pitztal. Immer wieder wird der Zusammenschluss des Pitztales mit dem Ötztal gefordert, immer wieder lehnen die Venter beharrlich ab. Sicher auch das Verdienst eines Mannes, der schon vor Jahrzehnten für den sanften Tourismus in seiner Heimatgemeinde eingetreten war: der 2011 verstorbene Ski- und Bergführer Luis Pirpamer. Dass Vent bis heute quasi ein exklusives Bergsteigerdorf geblieben ist, verdankt es diesem Mann. Schon 1980 fasste die Venter Bevölkerung den einstimmigen Beschluss, die geplante Erschließung des Hochjochferners als Sommerskigebiet abzulehnen.
In einer richtungsweisenden Presseaussendung hieß es damals: „Obwohl sich die Venter bewusst sind, dass ihnen durch den Beschluss der allseits gewünschte „Herbstskifahrer” als touristische Geldquelle entgeht, sind sie der festen Überzeugung, dass der künftige Gast das Wandern in der unberührten Natur als Urlaubsmotiv sehr schätzt. Vent in den Ötztaler Alpen wird also das Bergsteigerdorf Tirols bleiben – sehr zur Freude der naturliebenden Bergfreunde.“
Touren
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Ötztal Trek - Etappe 14: Vom Hochjoch-Hospiz zum Brandenburger Haus
Infos und Adressen: Vent im Ötztal
Was Vent-Besucher keinesfalls versäumen sollten:
Sehenswert ist das Naturparkmuseum im Alten Vidum in Vent. Auf knapp 50 m² werden die naturkundlichen und kulturhistorischen Themen in Vent angesprochen. Der Bogen reicht von der steinzeitlichen Besiedelungsgeschichte bis in die Neuzeit mit Klimawandel und Gletscherschmelze, teils multimedial aufbereitet. Hier geht's zur Ausstellungs-Seite.
Der „Hohle Stein“, rund 30 Minuten vom Dorfzentrum Vents entfernt, repräsentiert wie kaum ein anderer Platz die prähistorische Vergangenheit des hinteren Ötztals. Ausgrabungen haben ergeben, dass Menschen diesen Stein schon vor etwa 8.000 Jahren als Unterkunft geschätzt haben.
Die Kaser oberhalb von Vent wird von einem „Widdermenhir“ dominiert. Der in unmittelbarer Nähe des Wanderweges befindliche Stein ist Teil von Steinsetzungen, deren Bedeutung bis zum heutigen Tag nicht wirklich erklärt werden konnte.
Die Rofenhöfe: Österreichs höchst gelegene ganzjährig bewirtschafteten Bauernhöfe sind nach einem rund 45 min dauernden Spaziergang über eine spektakuläre Hängebrücke zu erreichen. Die Brücke überwindet die tiefe Schlucht der Venter Ache, die sich etwa 20 m unter der Brücke tosend ihren Weg ins Tal bahnt. Im Gasthof Rofenhof (bzw. Alt-Rofen) sollte man dann von den schmackhaften, deftigen Tiroler Knödeln probieren. Für die gute Verdauung sorgt ein Vogelbeerschnaps. Hier gibt's mehr Infos.
Die Ausstellung von Fotoportraits von Menschen aus dem Ötztal rund um die Bergsteigerkapelle in Vent ist eine liebenswerte Hommage an die Bewohner des Ötztales. Gestaltet wurden die Porträts vom bekannten Fotografen Bernd Ritschel. //www.vent.at/embed-eventkalender-de?do=feratel&id=290
Die ARTeVENT in Vent ist Jahr für Jahr von Ende Juli bis Mitte August der Kulturhöhepunkt des Ötztales schlechthin. Lesungen, Vorträge, Kultur- und Literaturwanderungen zeichnen diese zweiwöchige Kulturveranstaltung aus. Hier geht's zur Webseite.
Jeweils Anfang September findet in Vent das Wandertheater „Friedl mit der leeren Tasche“ statt. Eine Theateraufführung, die es in sich hat. Prädikat: Absolut sehenswert. Hier geht's zur Webseite.
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