Zu Fuß von Wien nach Marokko: Es geht los!
Aus Spaß wurde Ernst: Ernst Merkinger pilgert gerade zu Fuß von Wien nach Marokko und lässt uns in einer Blog-Serie an seinen Erlebnissen teilhaben. Heute die Top 3 Begegnungen von seinem ersten Teilstück in Österreich.
Mein Name ist Ernst, die einen kennen mich von Instagram als ernstjetzt, die anderen sagen „der 2.0 Pilger“ zu mir. Warum Pilger? Weil ich seit 10. Juni von Wien Richtung Marokko unterwegs bin. Ohne Tesla. Ohne Dreiradler. Über 3.000 km zu Fuß. Dabei werde ich Tag für Tag von spannenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aber auch von unbekannten Seelen inspiriert. All das kann man auf Social Media, ernstjetzt.com oder eben auf Bergwelten.com „live“ mitverfolgen.
Ich bin quasi schon mittendrin im Geschehen, wobei, das ist übertrieben. Sagen wir so: ich bin irgendwo im Herzen Österreichs zwischen Wien und Vorarlberg unterwegs. Genauer gesagt in Pfaffenhofen bei Telfs. Und es wird immer gebirgiger, wobei ich fairerweise ergänzen muss, dass ich Niederösterreicher bin und bei uns „Voralplern“ beginnt die imaginäre Baumgrenze bereits bei 700 Höhenmeter. Bei allen Bergen über 1.000 Höhenmetern fühlt sich die Luft für mich so dünn an wie für Reinhold Messner, wenn er den Everest besteigt.
Ok, ich geb’s zu – ich habe ein wenig übertrieben. In Wirklichkeit bin ich mit meiner Physis sehr zufrieden. Im Durchschnitt bin ich täglich 30 Kilometer gegangen. Das ist allerdings nur eine Schätzung, weil ich meinen Pilgerweg weder mit Tracking-Apps noch mit Messstab bemesse. Warum? Weil es 10-Kilometer-Strecken gibt, die sich wie ein Kilometer anfühlen bzw. 1-Kilometer-Strecken, die wie nicht enden wollende zehn Kilometer wirken.
Abgesehen von den 6-8 Stunden täglich, die ich in der freien Natur genieße, werde ich immer wieder von Begegnungen mit Menschen inspiriert und erheitert. Sie erinnern mich daran, wie richtig es war sich auf dieses Projekt einzulassen.
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Hier die Top 3 Erlebnisse der letzten Wochen:
1. Auch Pilger müssen ihr Geschäft erledigen
Am Weg von Gmunden Richtung Bad Ischl ist mir folgendes passiert:
Ich läute bei einer Haustür an, weil ich dringend mein Geschäft erledigen muss. Eine Pensionistin öffnet.
„Ja bitte, was kann ich für Sie tun?“
„Geschätzte Frau, darf ich ihre Toilette kurz aufsuchen? Es wäre dringend!“
„Du weckst mi vo mein Mittagsschlaferl auf, nur weil du gackn muasst?!“ *PAUSE*
Sie denkt kurz über das Gesagte nach...
„Andererseits gackn muass jeder! Selbst die Püger! Guat, daunn kimm hoit eina...!“
Nach dem Entleeren meines Darms legt sie mir Erdbeeren neben meinen Rucksack und erzählt mir ihre Geschichten von der Nazizeit. U.a. wie sie als Pflegekind von Berlin nach Österreich geflüchtet ist.
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2. Wenn Pilgern sinnstiftend wird
Ich darf behaupten, dass ich nach einer Woche mit circa 4.290.000 Schritten bereits jetzt überwältigt bin. Nachdem ich mein Vorhaben, von Wien nach Marokko zu pilgern, publik gemacht habe, haben mir vergessene Freunde, Wildfremde, Zweifler bzw. Träumer geschrieben und mich in meinem Tun ermutigt. Doch insbesondere die Bitte einer Krebskranken hat mich ergriffen, die darum gebeten hat für sie fünf Minuten innezuhalten und sie geistig beim Pilgern mitzunehmen. Aus der „asozialen“ Medien-Welt kann eine soziale Medien-Welt werden. Aus Schein ein Sein. Menschen öffnen mir nicht „nur“ ihre Haustür, sondern auch ihre Seelentür. Das berührt mich tief und zeigt, welche Verantwortung wir für unser Umfeld haben.
3. Wie die Friedrichs mir den Aufenthalt in St. Gilgen versüßten
Nachdem ich spontan meine Route geändert und von Bad Ischl straight das Europakloster aufgesucht habe, entschied ich mich für einen Tag Pause im romantischen St. Gilgen. Ich habe eine Nacht von Donnerstag auf Freitag reserviert, doch wie ich bei der Tür der Familie Friedrich, der Besitzer des Sonnwirtstöckl, anklopfe und mir Frau Friedrich mit skeptischem Blick begegnet, rechne ich mit schlechten Nachrichten. „Wir haben leider Ihre Reservierung storniert, weil ein Gast über zwei Nächte bleiben will, was wir bevorzugen.“
*PAUSE*
„Wobei... vielleicht finden wir doch eine Lösung,... aber das muss ich kurz mit meinem Mann besprechen. Warten Sie bitte einen kleinen Moment!“
Sie läuft in den ersten Stock zu ihrem Mann. Freudestrahlend kommt sie mit ihm an ihrer Seite retour.
„Wir würden Sie gerne einladen. Allerdings nicht in einem der anderen Quartiere, sondern in unserem privaten Gästezimmer.“
Aus einer anfänglichen Unterraschung wird eine Überraschung. Demütig nehme ich ihr Angebot an und umarme die beiden als wären sie alte Bekannte aus vergangenen Tagen.
Fazit
Das ist die Magie des Pilgerns von der ich nie müde werde zu schwärmen. Begegnungen mit Menschen, denen ich noch nie begegnet bin, mit denen ich innerhalb kürzester Zeit eine Verbindung aufbaue, die eine bedingungslose Qualität hat. Es entfacht in mir die Hoffnung, dass Menschlichkeit und Nächstenliebe nicht nur von dem Einen oder der Anderen, sondern von einer großen Schar an Menschen gelebt wird.
Liebe Grüße aus dem heiligen Land Tirol – ich melde mich bald wieder mit neuen Geschichten von unterwegs in den Süden.