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Zu Gast im Ureinwohner-Dorf Luan-Shan

Reise

4 Min.

13.03.2019

Foto: Martin Foszczynski

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von Martin Foszczynski

Taiwan ist mehr als nur der Hersteller von Elektrogeräten. Bergwelten-Redakteur Martin Foszczynski erkundet die fernöstliche Insel und berichtet von ihren Outdoor-Angeboten. In der Region Luye besucht er ein Dschungelbuch-taugliches Ureinwohnerdorf und tritt in die Pedale. Zwar nicht auf einem schnittigen Rennrad, dafür aber in Begleitung von unzähligen Schmetterlingen.

So muss sich Buddha bei seiner Erleuchtung unterm Feigenbaum gefühlt haben. Über seinem Kopf schlingen sich Äste und Luftwurzeln zu einem bizarren Geflecht ineinander. Doch wir sind nicht im indischen Bodhgaya, sondern im Dorf Luan-Shan im Osten Taiwans. Und es ist nicht Siddharta, der dort unter dem ausufernden Banyan-Feigengewächs meditiert, sondern ein junger Angehöriger des Bunun-Stammes, der uns vom Wesen der Bäume erzählt. Wie es scheint im Stil eines Stand-up-Comedians, jedenfalls lachen die Leute oft und herzhaft. Wir verstehen allerdings kein Wort.

Zum Glück gibt es Savi, die bestens Englisch spricht. Ursprünglich aus der Hauptstadt Taipeh, hat es sie ins Luan-Shan Forest Museum in die Provinz Taitung verschlagen, wo sie für ausländische Besucher wie uns übersetzt. So schwer dieses mitten im Wald gelegene Ureinwohner-„Schaudorf“ zu finden war, so routiniert wirken nun die Abläufe. In Gruppen werden wir von Station zu Station geführt. Zunächst schenkt man uns Pfirsichschnaps aus, dann sollen wir uns selbst Schweinestücke am Stiel über dem Lagerfeuer grillen. Und schließlich – ganz wichtig – heißt es den Stammes-Ahnen Geschenke darzubieten, damit sie uns wohlgesonnen aufnehmen. Wir kratzen eine Limo und Bonbons zusammen, die unser „Vertreter“ auf den mit furchteinflößenden Tier-Schädeln drapierten Schrein ablegt, nicht ohne zu betonen, dass wir „in guten Absichten“ kommen.


Tarzan im Esoterik-Camp

Das Forest Museum ist eine Mischung aus Freiluftmuseum, Erlebnispark und Esoterik-Camp. So manches hier mag eine Spur zu aufgesetzt und Touristen-kompatibel wirken – tatsächlich aber fügt sich das Projekt in eine positive Entwicklung in Taiwan ein. Immer mehr Indigene, von denen es auf der Insel etwa 500.000 gibt (2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung), versuchen im Tourismus Fuß zu fassen. Das gibt ihnen einerseits die Möglichkeit, Gästen ihre Kultur und Traditionen näherzubringen, andererseits eröffnet es ihnen neue Einkommensquellen.

Vom durchschnittlichen Lebensstandard der Insel sind sie nach wie vor weit entfernt. Erst Anfang der 1990er Jahre begann Taiwan Förderprogramme für die Indigenen (auch Aborigines genannt) zu lancieren. In den Jahrhunderten davor wurden sie von den wechselnden Herrschenden – seien es die europäischen Kolonialisten, die Japaner oder die chinesischen Nationalisten – unterdrückt. Das Lushan Forest Museum sei jedenfalls zu hundert Prozent in Eigeninitiative und ohne Geld der Regierung entstanden, wie uns Museums-Direktor Aliman versichert.

Es geht weiter im Programm: Wir klettern über Sprossenleitern, quetschen uns durch Felsenspalten und schwingen uns Tarzan-gleich an einer Liane. Der Rundweg macht wirklich Spaß und man fühlt sich trotz der bunten Besucherschar wie im tiefsten Dschungel. Dann wird ein Baum gepflanzt. Auch ein aus ineinander gefassten Händen gebildeter Menschenkreis darf nicht fehlen – schließlich sind wir alle Brüder und Schwestern. Das Beste kommt zum Schluss: Die gut 30 Meter lange, hölzerne Speisetafel auf der Panoramaterrasse wird sich bald unter allen nur erdenklichen Leckereien biegen, die man für uns in der offenen Küche gebrutzelt hat. Die Schalen müssen aber zuerst in einer langen Reihe von den Männern zur Tafel gebracht werden – so will es die Stammes-Etikette.


Ein naturliebendes „Berg-Volk“

Die ursprünglich von der Jagd und Landwirtschaft lebenden Bunun gelten als „Berg-Volk“ unter den 16 anerkannten Stämmen Taiwans. Sie wohnen beiderseits des Zentralgebirges auf einer Höhe bis 2.300 m. Auch das Forest Museum liegt auf einem Urwald-Hang und eröffnet einen prächtigen Blick ins Dulan-Tal.

Die Bunun sind heute überwiegend Christen, wenn sich in ihrem Glauben auch Versatzstücke des Schamanen-Glaubens und Ahnenkults erhalten haben. Vor allem aber vergöttern sie die Schöpfung: „Die Natur gehört nicht dem Menschen, sondern wir gehören der Natur“, erklärt uns ein Sprecher im sogenannten „Muttershaus“, das ohne einen Nagel gezimmert wurde und dem Körper einer Frau nachempfunden ist. Die Speisen wurden im Mutterbauch gelagert, die Feuer lodern – pausenlos, um Moskitos zu vertreiben – an der Stelle der Brüste und die Schlafplätze befinden sich in etwa dort, wo uns eine fürsorgliche Mama ihre Schulter zum Ausruhen oder Ausweinen bieten würde. Angeblich wurden früher die Verstorbenen in einer Kiste unterm Bett bestattet – in Embryostellung. Ein schaurig-schöner Kreislauf.

Zum Abschied winkt uns Savi, ehe sie in ihren ausgeblichenen kirschroten Toyota Corolla steigt und davonfährt. Man fragt sich, wohin sie – und die anderen Mitglieder des Forest Museum – der Weg führen wird. In den engagierten Erhalt eines traditionellen Stammeslebens, oder doch in den Trubel einer Hightech-Stadt wie Taipeh.


Per Drahtesel durchs Tal der Schmetterlinge

Nur wenige Kilometer westlich vom Forest Museum tauchen wir in die wunderschöne Tallandschaft von Luye ein. Hier ist der perfekte Ort, um sich einen Traum zu erfüllen, den ich als Rennradler seit langem hegte – Radfahren in Taiwan, immerhin Heimat von Giant, eines der größten Fahrradherstellers der Welt!

Angeblich unternimmt die Insel gerade große Anstrengungen, um zu einem Mekka für Radfahrer zu werden. Im Fahrradverleih an der Hauptstraße von Luye kann ich trotzdem nur aus mehreren Reihen ziemlich klappriger Drahtesel wählen. Macht nichts – auf dem gut markierten Luye Longtian Bike Trail (und abseits davon) kommt man auch mit dem Dreigang-Damenrad schnell ins Rollen und kann sich an dem langen Huatung-Tal mit seinen Zuckerrohrfeldern, Teeplantagen, Palmenhainen, Bergformationen und Paragleitern nicht sattsehen.

Die Ruhe hier wirkt geradezu meditativ – beim Beobachten eines von dutzenden Schmetterlingen besetzten Baums (wir sind in der „Heimat der Schmetterlinge“) wird es fast schon kitschig. Es fühlt sich ein wenig an wie das kalifornische Rentnerrefugium Palm Springs, nur ärmer. Eine perfekte Idylle, die lediglich durch streunende Hunde hin und wieder einen gewissen Adrenalin-Kick zugeführt bekommt.

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Zwischen Palm Springs und Schwarzwald

Vielleicht ist es diese Ruhe, die Michael Zug aus dem Schwarzwald hierher verschlagen hat. In seiner an den Fahrradverleih angeschlossenen „Micha’s Küche“ kredenzt er seit 2017 „Radler“ und Bratwürste mit Sauerkraut. Weiter weg vom internationalen Radzirkus und Weißwurstäquator kann man kaum sein. Und vermutlich ist ihm das auch ganz recht.

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