Melde dich an und erhalte Zugang zu einzigartigen Inhalten und Angebote!


AnmeldenRegistrieren
Abonnieren

Die Lavarellahütte im Naturpark Fanes-Sennes-Prags

Regionen

4 Min.

08.09.2021

Foto: Elias Holzknecht

Anzeige

Anzeige

Über Liebe auf den ersten Blick, die schöne Aufgabe, Stammgäste zu begrüßen, und den Genuss, ladinische Spezialitäten zu verkosten.

Barbara Bachmann für das Bergweltenmagazin Februar/März 2019

Ein Mittwoch im Februar, glasklarer Himmel, keine Wolke unterbricht das Blau. An solchen Tagen hält sich draußen auf, wer kann. Das Los der Hüttenwirte ist, zwar an den schönsten Orten in den Bergen zu leben, täglich die imposantesten Gipfel vor Augen, aber vor lauter Arbeit nie näher an sie heranzukommen als wenige Meter aus der Hütte hinaus.

Jungwirtin Anna Frenner, 1984 geboren, und ihr Mann Gabor, zwei Jahre älter, sausen zwischen Theke und Terrasse der Lavarellahütte hin und her. Zur Mittagszeit sind die Tische an der Sonne voll besetzt. Ein paar Sonnenanbeter liegen in roten Liegestühlen. Die meisten sind über St. Vigil im Gadertal aufgestiegen und vom Parkplatz des Berggasthauses Pederü zwei Stunden durch das Rautal marschiert. 

Ein breiter Weg führt anfangs etwas steiler bergan und dann mäßig weiter bis zu einer Weggabelung, von der man links zur Faneshütte und rechts zur Lavarellahütte – auf Ladinisch Ü´cia Lavarella genannt – gelangt. Sie liegt auf 2.050 Metern im Naturpark Fanes-Sennes-Prags inmitten der Dolomiten.

In der Nähe der Hütte liegt auch der Lé Vërt, der Grünsee, den man im Winter nur erahnen kann. Rund um ihn stehen ein paar alte Almhütten. Wie Schlagobershäubchen liegt der Schnee auf ihren Dächern, von weitem sehen die Häuschen aus wie ein vergessenes Dorf.

Seit über hundert Jahren gibt es die Lavarellahütte nun schon, immer war sie im Besitz der Familie Frenner. Sie ist benannt nach einem der mächtigsten Gipfel in der Gegend, der 3.055 Meter hohen Lavarella. Die offizielle Hüttengeschichte beginnt mit Annas Urgroßvater Engelbert und einem Reisebericht aus dem Jahr 1912, der „auf eine Übernachtungsmöglichkeit in einfachen Lagern“ hinweist.

Im März 1939 brennt die Hütte bis auf die Grundmauern ab. „Aber im selben Sommer hat die ganze Familie beim Wiederaufbau mitgeholfen“, erzählt Annas Vater Hanspeter Frenner, Jahrgang 1956. Als Kind hat er viele Sommer hier oben verbracht und im Winter das Skifahren gelernt. Jahre später, 1978, übernahm er als junger Bursche von seinem Vater die Hüttenführung. 

Heute ist Hanspeter ein Wirt, wie er im Buche steht: blaue Augen, weißer Schnauzbart, weißes Haar. Seine Frau Michaela, die ihn seit 1983 unterstützt, war das erste Mal aber schon viel früher, als Baby, hier oben: Im Sommer ihres Geburtsjahres 1960 arbeitete ihre Mutter als Köchin auf der Hütte und hatte die Tochter dabei. 

Da ist es nur natürlich, dass heute Michaela für die Küche verantwortlich ist – das Kulinarische wurde ihr wohl in die Wiege gelegt. So zumindest schmecken ihre Gerichte, die Kasnocken oder die hausgemachten Spinatbandnudeln mit Wildragout. Zu besonderen Anlässen bereitet Michaela ladinische Spezialitäten zu, wie zum Beispiel Krapfen mit dem schwer auszusprechenden Namen Canci Checi, eine Festtagsversion von Schlutzkrapfen.

Extras sind immer möglich, außer beim Menü, „da muss man essen, was auf den Tisch kommt“, sagt sie und lacht. An diesem Abend ist das Pasta al forno, Saibling mit Linsen und Gemüse, Tiramisu. Allein der Küche wegen erinnert die Lavarellahütte eher an ein Hotel als an eine Schutzhütte.

Renoviert wurde mehrmals: Bar, Zimmer, Küche. Heute zählt die Hütte 25 Betten in 2er- und 3er-Zimmern, ausgestattet mit Bettwäsche und Waschbecken, dazu 25 Betten im Lager. Die Wintersaison beginnt schon am Stefanitag. Dann ist die Hütte idealer Ausgangspunkt für Skitouren zu  Neuner- und Zehnerspitze, Piz Stiga, Col Bechei oder Monte Castello.

„Auch wenn die Gäste im Winter länger bleiben und es weniger hektisch ist, zu tun ist immer was“, sagt Anna, und schon klingelt das Telefon. „Lavarella“, grüßt sie gut gelaunt. Mit den großen Ohrringen, der schlichten Brille, den hochgesteckten Haaren, ist sie die moderne Version einer Vollblutwirtin.

Ihr Mann Gabor, schmales Gesicht, graue Haare, strahlt Ruhe und Freundlichkeit aus. Auch die jungen Wirtsleute haben ihre Geschichte zu erzählen. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Anna. Gabor war gerade für die Sommersaison 2003 aus Ungarn zum Arbeiten und Sprachenlernen auf die Hütte gekommen. Seine Deutschkenntnisse hat er perfektioniert, Italienisch schnell gelernt, bald auch Ladinisch.

Mittlerweile sind die beiden verheiratet und haben drei Töchter: Emma zwölf, Marta acht und Greta vier Jahre alt. Neun Monate im Jahr ist die Lavarellahütte der Lebensmittelpunkt der Familie. Aber da die Mädchen im Dorf Schule und Kindergarten besuchen, bringt sie Opa Hanspeter, nachdem er das Frühstücksbuffet aufgebaut hat, jeden Morgen hinunter ins Tal. Einmal dort, erledigt er die Einkäufe für die Hütte, besorgt Obst und Gemüse, Fleisch und Brot.


Die liebsten Stammgäste

Es ist später Nachmittag. Langsam trudeln die Übernachtungsgäste aus Deutschland, der Schweiz und den USA ein, mit müden Beinen und glücklichen Gesichtern. Paare, Familien, Freunde. Darunter auch eine 14-köpfige Gruppe niederländischer Schneeschuhwanderer. Guide Guido – der so groß ist, dass er sich bücken muss, um durch die Tür zu passen – war schon mehrmals auf der Lavarellahütte.

Er schätzt die Gastfreundschaft, die familiäre Atmosphäre. Seine Schützlinge loben indes Michaelas Essen – und die finnische Sauna, die in ein über 7.000 Liter fassendes altes Weinfass gebaut wurde. Geduscht und hungrig nehmen die Gäste Platz auf den Eckbänken und Holzstühlen in der Stube. Hanspeter macht seine Runde, er wirkt zufrieden. Zur schönsten Aufgabe eines Hüttenwirts zähle, sagt er, Stammgäste zu begrüßen.

Er kommt oft in diesen Genuss. Jetzt am Abend ist eine seiner liebsten Besucherinnen angereist: Anna Bargagli aus Florenz, 58 Jahre, 32 davon Stammgast auf der Lavarellahütte. Die beiden Annas begrüßen einander herzlich. „Du bist immer noch gleich“, sagt die Jüngere. „Du auch“, antwortet die Ältere. Frau Bargagli hat vier Freundinnen mitgebracht.

„Lavarella bedeutet für mich Heimat“, sagt sie. Hier durfte sie ihren Hund mitbringen, obwohl Hanspeter allergisch auf ihn war; der Vater durfte Zigarre rauchen, obwohl sich andere Gäste beschwerten. Der Zeiger der Uhr weist erst auf neun, als manche Gäste schon müde ins Bett gefallen sind, während andere noch bei Grüntee oder Schnaps zusammensitzen.

Eine Gruppe spielt Gitarre und singt Wolfgang Ambros’ Klassiker „Schifoan“. Anna Bargagli wippt mit, auch wenn sie den Text nicht versteht. Am nächsten Morgen starten die Niederländer – nach reichhaltigem Frühstück und Test ihrer Lawinengeräte – auf den Ju dla Crusc. Die Italienerinnen lassen es erst einmal langsam angehen.

Und Hanspeter Frenner fährt, wie jeden Tag, hinunter ins Tal.


Mehr zum Thema