Christine Thürmer: „45.000 km zu Fuß sind nicht genug“
Foto: Marc Krause
von Lea Hajner
Die Managerin Christine Thürmer hat Job und Wohnung aufgegeben, um zu wandern. Weit zu wandern. 45.000 Kilometer sind es mittlerweile. So weit wie keine andere Deutsche. Mit uns sprach sie über ihren Outdoor-Alltag, ihre Lieblings-Weitwanderrouten und die Frage, was im Leben eigentlich glücklich macht.
Dass sie einmal als meistgewanderte Deutsche gelten würde, hätte sich Christine Thürmer – 1967 im bayerischen Forchheim geboren und in der Hiker-Szene als „German Tourist“ bekannt – früher nicht gedacht. Über 45.000 Kilometer. Dazu kommen 30.000 Kilometer mit dem Fahrrad und 6.500 Kilometer auf dem Kajak. Für dieses ungewöhnliche Vollzeit-Outdoor-Leben hat die ehemalige Geschäftsführerin mit vierzig Jahren ihren Job und ihre Wohnung aufgegeben. Ihr Weitwander-Debüt – der Pacific Crest Trail durch die USA – hat sie endgültig süchtig gemacht.
Über den Pacific Crest Trail und weiter
Während ihr erstes, 2016 erschienenes Buch „Laufen. Essen. Schlafen.“ von den drei längsten amerikanischen Weitwanderwegen und den Anfängen ihrer Outdoor-Karriere handelt, berichtet sie nun von europäischen Abenteuern: zu Fuß von Koblenz am Rhein bis an den südlichsten Punkt Europas in Tarifa; mit dem Rad von Berlin über Polen und das Baltikum bis nach Finnland und mit dem Faltkajak quer durchs herbstliche Schweden. Dabei hat sie beobachtet, wie sich ihre Werte und Einstellungen gegenüber gesellschaftlichen Erwartungen veränderten. Und sich gefragt, was im Leben eigentlich glücklich macht.
Bergwelten: Liebe Frau Thürmer, welchen Moment in ihrem Outdoor-Alltag genießen Sie am meisten?
Christine Thürmer: Wenn ich mich abends nach dem Essen müde auf meiner Isomatte ausstrecke und den Tag noch einmal Revue passieren lasse – dabei überkommt mich jedes Mal ein tiefes Gefühl des Glücks über all die wunderbaren Erlebnisse und Erfahrungen, die ich unterwegs sammle.
In ihrem neuen Buch „Wandern. Radeln. Paddeln.“ erzählen Sie auch von Touren mit dem Fahrrad und Kajak. Wurde ihnen das Wandern auf die Dauer zu langweilig?
Nein, auch nach 45.000 km zu Fuß ist mir das Wandern noch nicht langweilig geworden. Aber ich habe mich schon zu Beginn meiner „Outdoor-Karriere“ ganz bewusst für eine „Diversifikations-Strategie“ entschieden, um Verschleißerscheinungen beim Wandern vorzubeugen und im Fall von Verletzungen Touren-Alternativen zu haben.
Waren Sie schon einmal in den Alpen unterwegs?
Na klar! Ich habe auf der Alpenpassroute die komplette Schweiz durchwandert und der Salzburger Almenweg war eine meiner angenehmsten und lustigsten Wanderungen!
Gerade in den Bergen sieht man oft perfekt ausgerüstete Wanderer, die ihre Ausrüstung allerdings kaum verwenden. In welchen Ausrüstungsgegenstand macht es denn ihrer Meinung nach wirklich Sinn zu investieren und wo kann man anfangs auch getrost sparen?
Der Schlüssel zum Erfolg einer Langstreckenwanderung ist das Rucksackgewicht: Alles, was man auf dem Rücken trägt, sollte insgesamt nur um die 5 kg wiegen. Ausgenommen hiervon sind Wasser und Proviant. Die größte Gewichtsersparnis erzielt man, wenn man die drei „großen“ Ausrüstungsgegenstände gleich ultraleicht kauft: Rucksack, Zelt, Schlafsack. Sparen kann man hingegen bei der Bekleidung: Hier ist es in der Regel völlig egal, ob man teure Markenkleidung oder Diskounterware kauft. T-Shirt, Fleecepullover, Wind- und Regenjacke – für keines dieser Kleidungsstücke habe ich mehr als 20 Euro ausgegeben.
Auf ihrer Facebook Seite beantworten Sie regelmäßig und sehr ausführlich Leserfragen. Haben Sie das Gefühl, dass es gerade unter Frauen Outdoor-Themen gibt, die mehr Beachtung verdienen?
Ja, viele Frauen möchten gerne raus in die Natur, trauen sich aber aus vielerlei Gründen nicht. Kein Wunder, denn in den Medien wird ihnen ja auch ständig eingeredet, dass sie schwächer und schutzbedürftiger seien als Männer. Mich macht das immer wütend, denn ich finde, dass Frauen auf Tour deutlich mehr Vorteile als Nachteile haben – aber über die redet leider niemand. Viele Langstreckenrekorde werden mittlerweile von Frauen gehalten. Frauen stoßen unterwegs generell auch auf mehr Hilfsbereitschaft und Toleranz als Männer.
Alleine in der Natur zu übernachten erfordert unter anderem Mut. Wie erlangt man ihn am besten?
Durch rationale Argumente! In Europa gibt es keine wilden Tiere, die einem nachts gefährlich werden können. Und auch als Frau alleine ist man in jeder Großstadt gefährdeter als beim Zelten im Wald – das verdeutlicht nicht nur ein Blick in die Polizeistatistik, sondern es ist auch logisch. Oder glauben Sie, dass ein Bösewicht tagelang bei Wind und Wetter im Wald darauf wartet, dass endlich mal eine allein wandernde Frau vorbeikommt?
Welchen Luxus gönnen Sie sich nach langen Wanderungen?
Wieder einmal selber in einer richtigen Küche mit frischen Zutaten etwas Leckeres kochen! Als Kontrast zum ständigen Proviantfraß unterwegs esse ich dann kiloweise Obst und Gemüse.
Nehmen Sie von ihren Wanderungen Souvenirs mit?
Nein, überhaupt nicht, denn ich bin ja ultraleicht unterwegs. Souvenirs gibt es höchstens in Form von Fotos – und selbst die mache ich nur mit dem Handy, weil eine richtige Kamera zu schwer wäre.
Welche Wanderung empfehlen Sie uns, wenn wir unsere fünf Urlaubswochen verwenden wollen, um irgendwo auf der Welt das Leben am Trail kennenzulernen?
Eine Durchwanderung Ungarns auf dem „Kektura“, dem 1.128 km langen „blauen Weg“! Die Route ist ideal für Anfänger, denn das Gelände ist einfach und sogar ganzjährig begehbar. Der Weg ist hervorragend markiert und es gibt sogar 147 Stempelstellen, denn unter ungarischen Outdoor-Fans ist der Weg Kult! Ungarn ist eines der preiswertesten Länder in der EU, so dass man sich unterwegs auch mal ein bisschen Luxus gönnen kann. Am besten nimmt man Badesachen mit, denn man kommt sowohl am Plattensee als auch an mehreren Thermalbädern vorbei. Der Clou ist allerdings, dass das Wildzelten in den wunderschönen Buchenwäldern in Ungarn legal ist!
Wo finden Sie selbst Inspiration für weitere Touren?
Je länger ich unterwegs bin, desto mehr Tourenideen bekomme ich – entweder durch andere Outdoor-Fans oder durch Entdeckungen am Wegesrand.
Haben Sie ein Traum-Reiseziel, für das Sie auch mal ihr monatliches Budget sprengen würden?
Nein, mit meinem monatlichen Budget von 1.000 Euro komme ich eigentlich überall gut aus, denn ich zelte ja in der Regel wild und koche auf dem Campingkocher.
Vielen Dank für das Interview!
Buch-Tipp
Christine Thürmers beiden Bücher „Laufen. Essen. Schlafen.“ und „Wandern. Radeln. Paddeln“ standen insgesamt über ein Jahr lang auf der Spiegel-Bestsellerliste und haben sich alleine im deutschsprachigen Raum mehr als 100.000 mal verkauft. Mit ihrem neuen Buch „Weite Wege Wandern“ hat sie eine Art Bibel des Weitstreckenwanderns verfasst. Nach über 45.000 Kilometern zu Fuß gibt sie darin Antworten auf alle Fragen zum Leben unterwegs – etwa, warum man keine Unterhose, aber einen Müllsack mitnehmen sollte. Oder einfach was daran so unfassbar glücklich macht.
Das Buch „Weite Wege Wandern“ von Christine Thürmer ist im Piper Verlag erschienen (18,00 Euro).
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