Peter Haßlacher: Der Bergsteigerdörfer-„Erfinder“ im Interview
Foto: Christina Schwann, ökoalpin
von Christina Schwann
Die Bergsteigerdörfer sind uns ein besonders Anliegen, daher berichten wir regelmäßig über jene Gemeinden in Österreich, Deutschland, Italien und bald auch Slowenien, die sich ganz dem sanften Alpin-Tourismus verschrieben haben. Zum 10-jährigen Jubiläum der Initiative wollen wir genau wissen, woher die Idee eigentlich stammt. Christina Schwann, selbst von 2008 bis 2016 für die Bergsteigerdörfer beim Österreichischen Alpenverein zuständig, hat mit dem Mann gesprochen, der die Bergsteigerdörfer „erfunden“ hat: Peter Haßlacher.
Christina Schwann: Lieber Peter, wir kennen uns seit langen Jahren und vor allem aus unserer gemeinsamen Zeit beim Alpenverein. Du hast von 1980 bis 2013 die Abteilung „Raumplanung und Naturschutz“ beim Österreichischen Alpenverein geleitet und viele herausragende Meilensteine für den Natur- und Umweltschutz erreichen können. Auch das Projekt Bergsteigerdörfer zählt zu diesen äußerst positiven Errungenschaften. Wann reifte in dir die Idee für dieses Projekt?
Peter Haßlacher: Vom ersten Tag im Alpenverein war ich mit dem Wort des „Verhinderns“ konfrontiert. Außerdem bin ich sehr oft auf Franz Senn hingewiesen worden, der sich stark für die Bevölkerung und den Alpintourismus eingesetzt hat. Das war mein geistiges Gepäck, das ich immer im Hinterkopf hatte, das ich als ein Ziel des Alpenvereins verstand. Als das Grundsatzprogramm des Alpenvereins aus dem Jahr 1978 in den 1990-iger Jahren neu verhandelt wurde, wurde auch der Passus aufgenommen, dass es Alternativen zu den herkömmlichen Formen und den Auswüchsen im Tourismus geben soll. Lange hat sich keine gute Gelegenheit geboten, an einer Umsetzung zu arbeiten. Dennoch habe ich die Suche nie aufgegeben.
Eines Tages, ich saß am Bahnhof in Chur und wartete auf meinen Zug, bekam ich eine Zeitschrift des Graubündner Tourismus in die Hand. Darin wurde für „kleine und feine Bergdörfer“ geworben. Es handelte sich dabei zum Teil um die wirtschaftlich ärmsten Gebiete der Schweiz.
Ich habe das Heft mitgenommen. Mit den laufenden Verhandlungen der Alpenkonvention zum Tourismusprotokoll, in dem wortident alles steht, was wir angehen wollten, und der darauffolgenden VI. Alpenkonferenz im Jahre 2000 in Luzern, in deren Rahmen der damalige Umweltminister Wilhelm Molterer alle Protokolle unterzeichnete, schien die Zeit reif zu sein. Als ich am 31.10.2000 in Luzern den Zug nach Hause bestieg, fasste ich den Entschluss: wir machen ein Projekt „Bergsteigerdörfer“.
Warum der Name „Bergsteigerdorf“ und nicht vielleicht „Genussdorf“, „Wanderdorf“ oder sonstiges? Was muss ein Bergsteigerdorf „können“?
„Wanderdörfer“ hat es schon gegeben. Der Begriff Bergsteigerdorf ist auf den Alpenverein zugeschnitten, für Gemeinden, die nicht „drangekommen“ sind und es auch nie werden. Es war ein Begriff, der zu Orten passte, die eine solche neue Entwicklung mit dem Alpenverein gemeinsam durchziehen wollten.
Wie sah die Anfangsphase der Bergsteigerdörfer aus? War es schwer in Österreich Orte zu finden, die deinen Vorstellungen entsprachen?
Anfangs habe ich die Schiene über den CAA (Club Arc Alpin – Dachverband der Alpenvereine) gesucht. Dort, 2001 oder 2002, habe ich das erste Mal die Idee der Bergsteigerdörfer vorgetragen. Die Schweizer und die Italiener waren eher wenig begeistert. Die Reise brachte jedenfalls eine gewisse Ernüchterung. Dennoch bat ich Roland Kals, einen befreundeten Raumplaner, der damals am Institut für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur in Wien arbeitete, um seine Einschätzung zum Projekt. Ich hatte mir in der Zwischenzeit Gedanken über eine mögliche Finanzierung gemacht.
Für den Winter 2004/05 planten wir die erste Broschüre mit dem Titel „Kleine und feine Bergsteigerdörfer“. Die Auswahl der Gemeinden war leicht und erfolgte unkompliziert – Roland übernahm den Osten Österreichs, ich den Westen. Das Geld für den Druck haben wir jämmerlich über das Umweltministerium via Umweltdachverband sowie durch kleine Spenden von den Gemeinden zusammengekratzt.
Das Projekt Bergsteigerdörfer wurde mit 2008 auf eine solide finanzielle Förderbasis (damaliges Lebensministerium) gestellt. Die Förderschienen des zuständigen Ministeriums standen damals vor allem für landwirtschaftliche Projekte zur Verfügung. Wie konnte darin dieses doch eher touristische Projekt seinen Platz finden?
Franz Maier, damaliger Mitarbeiter des Umweltdachverbandes, und ich haben selber den Text für das Programmheft der Förderschiene „Ländlichen Entwicklung“ entworfen. Ewald Galle, damals wie heute im Lebensministerium zuständig für die Alpenkonvention, hat den Text korrigiert und finalisiert.
Ich denke, auch das Ministerium war dankbar und stolz, ein Projekt zu haben, das ein wenig anders war. Es hat gut unter den Gesamtbegriff „Ländlicher Raum“ gepasst. Und wir waren begeistert, als unser Textvorschlag schließlich in Brüssel abgesegnet wurde.
Mein Fazit daraus: Man muss eine Idee haben. Ich wollte den Alpenverein immer aus dem Verhinderer-Eck herausführen und ich hatte immer Sympathie für periphere und schwache Gemeinden. Mit der Alpenkonventionsumsetzung war das Projekt gedanklich stimmig und zeitgemäß.
Wie haben sich die Bergsteigerdörfer deines Erachtens über die Jahre entwickelt? Wie bewertest du die Ausweitung über die Grenzen Österreichs hinaus?
Ich bin sehr froh, dass die Geschichte weitergeht. Ich bin überzeugt, dass es ein sehr gutes Projekt für die Umsetzung der Alpenkonvention ist. Es stellt eine Verbindung von Tradition und modernen Trends dar.
Sehr positiv sehe ich die Ausweitung über die Grenzen hinaus. Slowenien passt perfekt, auch Südtirol. Wie es in Deutschland weitergeht, bleibt spannend. Jedenfalls hat Deutschland viel Potenzial.
Es ist absolut ein alpenweites Projekt: Derartige unterschiedliche Facetten in den einzelnen Alpinkulturen zu haben, ist hervorragend. Das fördert den gegenseitigen Austausch und regt zu neuen Ideen an.
Worin liegen deines Erachtens die Stärken der Bergsteigerdörfer?
In der Verbindung von Tradition, Bekanntheitsgrad und Eignung für diesen naturnahen Tourismus. Die Gemeinden zeigen eine besondere Sympathie gegenüber dem Bergsteiger, was die Gäste entsprechend spüren. Bergsteigerdörfer stellen den Gegenpool zum Gigantismus und der Anonymität im Tourismus dar, die vielerorts anzutreffen sind.
Zur Person:
Peter Haßlacher ist gebürtiger Osttiroler. Er war von 1980 bis 2013 Angestellter beim Österreichischen Alpenverein in Innsbruck und hat die Abteilung Raumplanung und Naturschutz aufgebaut und geleitet. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Alpinen Raumplanung in Tirol und darüber hinaus beteiligt. Er hat tatkräftig die Geburt des Nationalparks Hohe Tauern in Kärnten und Osttirol mitbestimmt, hat den Begriff „Ruhegebiet“ mit Inhalten geprägt, war bei der Ausformulierung der Protokolle der Alpenkonvention hautnah dabei und gilt als „Erfinder“ der Bergsteigerdörfer. Seit 2007 ist er ehrenamtlicher Präsident der Alpenschutzkommission CIPRA Österreich.
Zu den Bergsteigerdörfern:
Die Bergsteigerdörfer werden 2018 weiteren Zuwachs erhalten: Mit Jezersko kommt das erste slowenische Bergsteigerdorf dazu. Deutschland stellt sein drittes Bergsteigerdorf, Kreuth, vor und Italien darf mit Lungiarü aufwarten.
Hier geht's zur offiziellen Website der Bergsteigerdörfer.
Die Bergsteigerdörfer im Portrait: Hier geht's zu unseren Vor-Ort-Reportagen:
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