Vom Vertrauen in der Seilschaft
Zwischen Gipfelglück und Spaltensturz: Warum sich Vertrauen immer im Spannungsfeld von etwas Bedeutendem und einer Gefahr bewegt. Und – warum das Risiko es trotzdem wert ist.
Der Gebrauch des Seils drückt aus, dass ein Bergwanderer zum Bergsteiger wird und mit seinen Kameraden eine Seilschaft bildet. So definiert die SAC-Sektion Interlaken den Begriff der Seilschaft. Das Seil ist die Lebensleine, die eine Gruppe von Personen im Gebirge miteinander verbindet. Es fängt im Zweifel einen gefährlichen, im schlimmsten Fall sogar einen potenziell tödlichen Sturz ab. Diese Lebensleine verflechtet das Leben Einzelner zu einem gemeinsamen Schicksal: Ganz gleich ob eine Entscheidung gefällt, ein falscher Schritt getan oder eine Routenänderung beschlossen wird – die gesamte Seilschaft ist davon betroffen.
Im übertragenen Sinne beschreibt die Seilschaft aber nicht nur diesen technischen Aspekt, sondern auch eine tiefe Verbundenheit von Gleichgesinnten. Damit ist sie im weitesten Sinne Ausdruck von Bergkameradschaft – mit oder ohne Seil. Ihr wesentlichster Bestandteil, ihre geheime Zutat, ist das Vertrauen. Fehlt es, wird aus einer Sicherungs- schnell eine Gefahrengemeinschaft.
Zwischen Hoffnung, Gewissheit und Gefahr
Thomas von Aquin, der große Philosoph des Mittelalters, beschrieb Vertrauen als „durch Erfahrung bekräftigte Hoffnung auf Erfüllung von erwarteten Zuständen“. Vertrauen ist aber mehr als reine Hoffnung, sie ist aktiver, stärker – eine Form von Gewissheit gepaart mit der Bereitschaft sich auf dieses Gefühl der Gewissheit verlassen zu können. Es spielt immer dann eine Rolle, wenn etwas auf dem Spiel steht: eine Beziehung, Freundschaft oder – im Falle der Seilschaft – sogar das eigene Leben.
Zugleich verweist es auch immer auf eine latent lauernde Gefahr, die nur durch das entgegengebrachte Vertrauen vorerst gebannt wird. Faktisch real wird die Gefahr, wenn sich die im Vertrauen enthaltene Erwartungshaltung enttäuscht sieht. Damit bewegt sich Vertrauen immer im Spannungsfeld von etwas Bedeutendem – etwa dem gemeinsam erklommenen Gipfel oder der langjährigen Beziehung – und einer Gefahr, etwa einem Spaltensturz oder Seitensprung. Das Bedeutende und die Gefahr stehen dabei in direkter Verbindung zueinander. Die Gefahr ist erst Gefahr, wenn sie etwas bedroht, das uns wichtig ist – die Beziehung, das eigene Leben, die Freundschaft.
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Zugleich ist Vertrauen immer auch ein Ausdruck von Freiheit beziehungsweise die Zubilligung von Freiheit. Vertrauen setzt voraus, dass sich innerhalb eines „freien Raums“ Handlungen vollziehen können, die über die Bekräftigung oder Enttäuschung von Vertrauen entscheiden. Solche freien Räume können genauso Berge wie auch Bars sein. Am Berg zeigt sich, ob das den Seilschaftsmitgliedern entgegengebrachte Vertrauen berechtigt ist oder nicht – ebenso wie die Bar über die Versuchung eines One Night Stands entscheiden kann.
Wer vertraut liefert sich aus. Vertrauen ist vergleichbar mit einer Art Kredit: Man gibt, ehe man mit absoluter Sicherheit wissen kann, ob dieser Kredit sorgsam genutzt oder direkt verpulvert wird. Der Wert kann im Laufe der Zeit erhöht oder entwertet werden – darüber entscheidet der Kreditnehmer beziehungsweise die Person, der man den Vorschuss an Vertrauen gewährt hat.
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Bei der Vergabe eines solchen Vorschusses schwingt aber immer eine positive Erwartungshaltung mit: Wer investiert schon in etwas, wenn er nicht erwarten würde, dass sich die Investition rechnet – oder zumindest: rechnen könnte? Es ist zwar stets die Hoffnung, die das Verschenken von Vertrauen antreibt – das Risiko ist aber da wie dort elementarer Bestandteil.
Credere!
Man hofft und glaubt zu gleichen Teilen, dass sich die Investition rechnen wird – im Wissen, dass ein Risiko besteht. Es hat einen Grund, warum sich der „Kredit“ vom lateinischen „Credere“ ableitet, was so viel wie „für wahr halten“ bedeutet – und: etymologisch mit „Vertrauen“ verwandt ist. Man kann sich zwar nie sicher sein. Die richtigen Bergkameraden aber sind das Risiko allemal wert.