Die Begegnung mit der richtigen Zeit
Foto: Harald Philipp
von Julia Stauder
Julia Stauder bewirtschaftet seit 2016 mit ihrem Partner Martin Falkner die Richterhütte in den Zillertaler Alpen. Heute erzählt sie, warum das Leben auf der Hütte ein wenig wie eine Bootsfahrt auf hoher See ist. Über ein Leben auf 2.374 Metern.
Oft werde ich gefragt, was denn mein Antrieb sei, mich auf fast 2.400 m Seehöhe in einem Meer aus Stein den unzähligen Herausforderungen zu stellen. Die Antwort darauf ist so facettenreich wie die Teilbereiche unserer Arbeit. Die Metapher des Maritimen passt hier gut: Auch wenn wir uns örtlich nicht bewegen, so leiten wir doch die Geschicke unseres Schiffes, der uns anvertrauten Alpenvereinshütte. Mit allen Kapriolen und Stürmen, bei jedem Seegang und in jeder psychischen Verfassung.
Es geht also auch um Abenteuer. Es geht um die Herausforderung, um Zielsetzung und Durchhaltevermögen. Über weite Strecken sind wir auf uns alleine gestellt – komme, was wolle. Wir müssen mit dem Vorhandenen klarkommen. Das nächste Ufer (die nächste Einkaufsmöglichkeit) 20 Seilbahn- und noch einmal 90 Autominuten, etwa 1.500 Höhenmeter und 21 Kilometer entfernt. Da will die Einkaufsliste gut durchdacht sein. Für den Strom gibt es ein eigenes Kraftwerk, das Wasser für die Hütte will oberhalb gesammelt und aufbereitet werden. Kommunikation gibt es nur über Satellit – wenn alles klappt. Wie am Schiff.
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Die Begegnung mit der Hütte
Zu Beginn der Saison war Mara da. Mara arbeitet auf der Nachbarhütte. An einem regnerischen – ihrem spontan freien – Tag beschließt sie, über die Jöcher einen Abstecher zu uns zu machen. Unbekümmert und ohne große Pläne verbringt sie den Sommer am Berg, genießt ihre Ruhephasen und lässt sich überraschen, was da kommen mag. Mara erinnert mich an mich selbst vor 15 Jahren.
Gegen Ende der Saison war Renate da. Renate arbeitete auf der Richterhütte, da war sie etwa in meinem Alter. Damals hatte sie ihre Tochter mit, als Baby. Die ist heute etwa in meinem Alter. Renate kehrte zum ersten Mal zurück nach der langen Zeit. Sie war aufgewühlt und ein wenig traurig, dass sie die Gipfel ringsum nicht mehr so flink und selbstverständlich erklimmen konnte wie früher. Wir tranken zusammen ein Honiglikörchen und ich ließ mir von ihr erzählen, bis sie wieder lachen konnte. So wie Renate – wer weiß – könnte es auch mir einmal ergehen.
Richterhütte
Und so ist es eben nun an uns. Wir haben schon genug Erfahrung und noch genug Kraft. Schon genug Wissen und noch genug Elastizität. Wir sind schon abgehärtet genug und noch nicht zu abgehärtet. Und wir haben die nötige Portion Liebe zur Sache. Die Schönheit der Bergwelt, die uns täglich umgibt, die Abendstimmung, der Sternenhimmel, die heraufziehenden Nebelschwaden, erden und belohnen. Die Begegnung mit den Menschen, die Zufriedenheit am Abend – auch das ist uns Lohn und Triebfeder.
Und schließlich: Die große Herausforderung, es als Familie zu schaffen. Und wir haben es geschafft! Die befürchtete große Langeweile blieb aus. Im Gegenteil. Es war spannend, den Kindern beim Wachsen an der Sache zuzusehen. Dorothea backt inzwischen eigenständig die besten Kuchen und ist eine tolle kleine Hüttenwirtin. Rian sammelt unweit der Hütte die spannendsten geologischen Leckerbissen, die schönsten Kristalle. Dafür hat er ein gutes Auge. Und so bringt sich jeder nach seinen Talenten ein.
Nun werden die Tage küzer, die Nächte sind schon rau im Hochgebirge. Es ist soweit: Die Hütte ist vorübergehend an die Natur abzugeben. Wir verlassen also unser Schiff. Sinken wird es nicht. Versinken höchstens, in Schnee und Eis.
Und wir haben einige Monate Zeit für Gegensätzliches. Für quirlig Kulturelles, für andere Gegenden, für die Zivilisation, fürs Schmieden von Plänen und Novellieren von Abläufen. Und fürs Warten. Doch vorübergehend warten wir nicht unsere Anlagen, sondern auf eine nächste spannende Saison als Familie in den Bergen.
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