Die Begegnung mit dem Rettungsteam
Foto: Harald Phillip
von Julia Stauder
Julia Stauder bewirtschaftet seit 2016 mit ihrem Partner Martin Falkner die Richterhütte in den Zillertaler Alpen. Heute erzählt sie von ihrer Begegnung mit dem Rettungsteam. Über ein Leben auf 2.374 Metern.
An dem Nachmittag, an dem ein blauer Hubschrauber vor meinem Küchenfenster seine Kreise zieht, bereite ich gerade das Abendessen für fünfzig Gäste vor. Wir wurden verständigt, dass es unterhalb der Gamsscharte einen Verletzten gibt, der Schmerzen hat und abtransportiert werden soll. Zusätzlich handelt es sich dabei aber auch um jenen Tag, an dem wir bemerken, dass unsere Internetanlage nicht mehr funktioniert. Das heißt auch, dass unser Telefon nicht funktioniert, denn das läuft übers Internet. Wir haben also keinen Kontakt zur Außenwelt, somit auch nicht einmal die Möglichkeit einen Notruf abzusetzen. Also beschließt Martin mit dem Fahrrad zu den „Nachbarn“, sieben Kilometer weiter, zu fahren, um Hilfe für den Verunfallten am Joch zu holen. Nun bin ich allein zuständig und die allgemeine Aufregung ist groß.
Der Nachmittag schreitet voran, die angemeldeten Gruppen kommen. Manche Gruppen kommen auch und sind nicht angemeldet. Das stellt mich vor zusätzliche Herausforderungen. Doch erst einmal eins nach dem anderen: Mich vom Co-Piloten aufklären lassen, wie ihre Vorgehensweise bei der Bergung ist. Der Mann ist nett. Ruhig, unaufgeregt, freundlich – ein Profi. Die beunruhigten Zusehenden informieren. Zusehen, dass das Essen am Herd nicht anbrennt. Salat waschen. Bier ausschenken, sehen, wo die Kinder sind. Ankommende willkommen heißen, ihnen sagen, wo sie liegen können. Umrühren. Hoffen, dass Martin bald wieder da ist. Dann wird der Verletze weggeflogen, sein Kollege und die helfenden Wanderer trudeln ein, berichten von den Geschehnissen. Das Abendessen, kaum zu glauben, aber wahr, wird fertig. Niemand muss Hunger leiden, alle Verletzen sind versorgt, alle Aufgeregten beruhigt. Hallelujah!
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Ein paar Wochen später schießt mir wieder eine Menge Adrenalin ins Blut, ob ich will oder nicht. Ein junger Bursche ist zu uns heraufgesprintet, um zu berichten, dass unweit der Hütte ein Mann einen Schwächeanfall hat. Aha. Was genau soll das heißen? Ist er nur müde? Muss er sich ausruhen? Soll man einen müden Wanderer vom Heli holen lassen? Oder erleidet der Betroffene gerade einen Herzinfarkt? Welche Entscheidung ist die richtige? Was sich da unten, dreihundert Höhenmeter unterhalb der Hütte, zugetragen hat, ich werde es nie erfahren, zumindest habe ich es bislang nicht. Fest steht, dass der Heli gekommen ist und dass der Mann abtransportiert wurde. Ich habe den Alpinnotruf getätigt. Fest steht auch, dass es für mich die richtige Entscheidung war, Schwäche oder Herz oder was auch immer.
Man könnte meinen, dass sich mit der Wiederholung eine Art Trainingseffekt einstellt, dass man sich an Notsituationen gewöhnt. Dem ist nicht so. Als das dritte Mal heuer berechtigter Grund zur Sorge aufkommt, ist es bereits September. Es dämmert schon früh, um 20:00 Uhr ist es dunkel. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sehen wir einen Hubschrauber, wie er bei der Reichenspitze etwas zu suchen scheint. Keine Stunde später kommen drei Holländer, gestört in ihrem Kartenspiel, zu mir und bitten mich nach draußen. „Da oben haben wir Licht gesehen, aus, ein, immer wieder“, beteuern sie. Wir warten und warten. Nichts.
Richterhütte
Was, wenn sich lediglich ein ambitionierter Alpinist mit seiner Stirnlampe im Abstieg befindet? Was aber, wenn einem Verunfallten inzwischen die Batterie ausgegangen ist und wir deshalb keine Lichtzeichen mehr erhalten? Die Temperaturen sinken in dieser Höhe nachts bereits auf circa 2 Grad. Als im Morgengrauen erneut der Hubschrauber kreist und schließlich ein Tau mit etwas Buntem daran zu erkennen ist, wird mir wohler. Obwohl ich den entspannten Herrn am anderen Ende der Telefonleitung am Vorabend nicht verstehen konnte – mit dem Satelliten ist das oft so eine Sache –, er konnte mich verstehen. Das Relevante zumindest. Die Lichtzeichen, den Ort der Sichtung. Ich hoffe, dass alles gut gegangen ist. Und ich hoffe auch, dass ich mich nicht doch noch an derlei Situationen gewöhnen werde.
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