Alois Pollinger auf der Dent Blanche (4.357 m)
Foto: Christian Imboden, Berge: Beruf, Berufung, Schicksal, Rotten Verlag
Alois Pollinger galt als König schwieriger Kletterrouten. Weder Eiger noch Schreckhorn jagten ihm Schrecken ein. Auch den „Viereselgrat“ der Dent Blanche erschloss er als Erster – und verlieh ihm seinen Namen.
Über Alois Pollinger – den breitschultrigen, lebenslustigen Mann mit den blauen Augen aus St. Niklaus im Wallis – ist eine besonders schöne Anekdote überliefert. In den Morgenstunden des 6. August 1884 machte er sich mit Ulrich Almer und dem Gast John Stafford Anderson von der Bergli-Hütte auf, um die als ungangbar geltenden Felsen vom Fiescherfirn zum Südkamm des Eiger zu besteigen. Das Unterfangen gestaltete sich schwierig – es mussten Eisstufen geschlagen und steile Firnhalden erklettert werden, doch es gelang. Kurz vor dem Gipfel galt es noch eine besonders schwierige Stelle zu überwinden. Pollinger übersprang eine Lücke am Fuße eines Turms und bot daraufhin dem Gast seine breiten Schultern als Brücke.
Diese Episode sagt vieles über jenen Bergführer aus, der seine Laufbahn Anfang der 1860er Jahre als Träger bei Josef Marie Lochmatter (dessen Schwager er war) begann und später als „König“ schwieriger Klettertouren in Erinnerung bleiben sollte. Er war unerschrocken, geschickt und willensstark – setzte er sich ein alpinistisches Ziel, wurde es auch konsequent, aber mit viel Humor verfolgt. „Wenige Führer haben ständig so viele schwierige und wichtige Expeditionen durchgeführt“, ist im Apine Journal von 1910 über Pollinger notiert. Tatsächlich ist die Liste schwieriger Routen und Wände in seinem Tourenbuch lang. Sie umfasst u.a. den Schaligrat am Weisshorn, den Andersongrat am Schreckhorn und den Ferpèclegrat an der Dent Blanche.
Denkwürdige Überquerung
Ebenfalls an der Dent Blanche gelang Pollinger am 11. August 1882 ein besonderes Husarenstück – die Erschließung des Ostnordostgrats mit einer Höhe von 350 Metern und einer Länge von rund 700 m. Mit von der Partie waren Bergführer-Kollege Ulrich Almer, sein lebenslanger Freund George P. Baker und – wie schon am Eiger – John S. Anderson. Die Seilschaft brach um 3 Uhr 50 von der Hütte von Mountet (2.886 m) auf und stieg über den Zinalgletscher zum zweiten Schneecouloir auf, dessen Fuß sie um 5 Uhr 30 erreichten. Von dort ging es zum nordöstlichen Zweig des Ostgrates. Nach einer schwierigen Kletterei standen sie nachmittags um 3 Uhr auf dem 4.357 m hohen Gipfel. In Pollingers Führerbuch findet sich dazu folgender Eintrag: „Pollinger jedoch, der während des gesamten Aufstiegs führte, zögerte und rutschte nicht einmal aus und erwies sich als das, was er ist: einer der besten Bergsteiger der Schweiz.“
„Vier Eseln“ vom Grat
Der Abstieg erfolgte über die Normalroute des Südgrats und weiter bis zur Stockje-Hütte, die die Männer um 23 Uhr 30 erreichten. Auch hier erwies sich Pollinger als verlässlicher Führer: „Er führte uns auch sicher über den Bergschrund unter dem Col d’Hérens (3.462 m) sowie im Dunkeln über den Gletscher, was uns eine Nacht auf den Felsen ersparte.“ Auf der Hütte weilte Josef Marie Lochmatter, der am darauffolgenden Tag mit seinem Sohn Alexander die Dent Blanche besteigen wollte. Einer Überlieferung nach rief er – erstaunt von der späten Ankunft der Gipfelstürmer – aus: „Du Alois?“. „Nein“, erwiderte sein Schwager trocken, „der erste der vier Esel, die drei anderen kommen hinterher.“ Deshalb ist der Ostnordostgrad der Dent Blanche heute auch als „Viereselgrat“ bekannt. Doch die amüsante Anekdote hat auch eine tragische Kehrseite: Lochmatter und sein Sohn sollten am folgenden Tag – zusammen mit ihrem Gast W.E. Gabbett – an der Dent Blanche tödlich verunglücken.
Erfinder der modernen Abseiltechnik
Einen anderen Grat der Dent Blanche, den steilen Westgrat (auch „Ferpèclegrat“) mit Schwierigkeitsgrad IV, bezwang Alois Pollinger am 26. August 1884 im Abstieg. Die stürmische Nacht davor hatte er mit seinen Begleitern auf rund 4.000 m Höhe in der Nähe des Gipfels verbracht. Für den Abstieg benutzte er die Abseiltechnik mit doppeltem Seil – damit gilt Pollinger als Erfinder dieser modernen Abseiltechnik. Zwei Jahre später sollte ihm auch der erste Aufstieg über den steilen Westgrat gelingen.
„Vergnügen, in seiner Gesellschaft zu sein“
Noch 63-jährig führte Alois Pollinger 1907 mit seinem Sohn Josef eine Ersttour auf den Pic sans Nom (3.913 m) durch. Im letzten Tourenbericht in seinem Führerbuch vom 19. September 1909 verweist Cyril Hartee auf Pollingers nach wie vor „gute Laune und das Vergnügen (…) in seiner Gesellschaft zu sein“. Auch im Nachruf des Alpine Journal ist von dieser Eigenschaft des hoch angesehenen Bergsteigers zu lesen: „Kein Bergführer hatte einen ausgeprägteren Sinn für Humor als er oder fand mehr Gefallen an der komischen Seite des Lebens.“ Am 16. April 1910 starb Alois Pollinger nach kurzer Krankheit in seinem Haus in St. Niklaus.
Alois Pollinger
Geboren: 22. Februar 1844 in St. Niklaus
Leben: Bergsteiger, Bergführer, Erfinder der Abseiltechnik mit doppeltem Seil
Erstbesteigungen (Auswahl): Dent Blanche über Zinalgrat/ Viereselgrat sowie Abstieg über Westgrat, Eiger vom Bergli.
Dent Blanche
Höhe: 4.357 m
Erstbesteigung: 18. Juli 1862 über den Südgrat
Gebirge: Walliser Alpen
Bergportrait: Dent Blanche
Bergportrait: Dent Blanche (4.357 m)
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